Der ländliche Raum – in Politik und Medien wird er selten der Realität entsprechend dargestellt, wenn nicht sogar vernachlässigt. Was die Gemeinden wirklich brauchen, und wer das am besten zu wissen glaubt war Thema bei einer Podiumsdiskussion mit Vertretern aus Politik, Wissenschaft, Technik und Medien.
Den Begriff „ländlicher Raum“ hört man ja immer wieder in Verbindung mit dem Stichwort Breitbandausbau oder gepaart mit negativen Begriffen wie Ausdünnung, wirtschaftsschwach, überaltete Gesellschaft. Dabei könnte man schnell vergessen, dass der sogenannte ländliche Raum eigentlich einen überaus großen Teil Österreichs darstellt und sich aus sehr vielfältigen Wirtschafts- und Lebensräumen zusammensetzt.
Sind die Medien schuld an der Stereotypisierung?
Doch woher kommen diese Vorurteile? Ein Grund, warum die vielen kleinen Gemeinden Österreichs immer wieder in dieselbe Schublade „ländlicher Raum“ gesteckt werden, sind die Strickzieher im öffentlichen Diskurs. Fakt ist, dass sowohl die Massenmedien als auch die Bundespolitik dabei den Ton angeben. Leider werden dabei nun mal manche Bereiche vernachlässigt. Auch die Wissenschaft befasste sich bis in die 1990er Jahre kaum mit dem ländlichen Raum.
Wenn der ländliche Raum heute in den Medien thematisiert wird, so wird er in vielen Fällen in ein bestimmtes Licht gerückt. Dieses ist geprägt von der Abwanderung von Berufstätigen, aufgelassenen Bahnstrecken, Bank- und Postfilialen. Schulen, Nahversorger und sogar Bankomaten verschwinden aus den Orten und gemeinsam mit dem traditionellen Handwerk und kleinflächiger Landwirtschaft schrumpft auch das Selbstbewusstsein der Bevölkerung.
Diversität der Gemeinden oft außer Acht gelassen
Die obige Darstellung könnte aus einer Reportage über den ländlichen Raum stammen. Mancherorts mag sie zwar zutreffen, doch eines wird dabei komplett ignoriert: Die österreichischen Gemeinden können nicht unter einem einzigen „ländlichen Raum“ zusammengefasst werden. Aber was ist der ländliche Raum überhaupt?
Die Österreichische Raumordnungskonferenz (ÖROK) definiert mit dem Begriff „ländlicher Raum“ alle Orte, Gemeinden und Städte mit weniger als 20.000 Einwohnern. Allein diese Definition ruft schon Stirnrunzeln hervor, wenn eine Stadt wie Kufstein in Tirol mit knapp 19.500 Einwohnern mit einer 475-Seelen-Gemeinde wie etwa Falkenstein im niederösterreichischen Weinviertel gleichgestellt wird.
Stadt und Land als Symbiose
Dass sich die einzelnen Gemeinden nicht vergleichen lassen, zeigt auch ein näherer Blick auf die Lebenswelten, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Neben „klassischen“ Bauerndörfern finden sich nämlich Industriegemeinden, Tourismusorte und Umlandgemeinden im Einzugsgebiet von größeren Städten. Aufgrund ihrer Diversität stehen diese Gemeinden vor sehr unterschiedlichen Herausforderungen. Nicht alle haben mit Abwanderung zu kämpfen und nicht alle verlieren ihre Ortskerne an große Einkaufszentren.
Ländlicher Raum als Sorgenkind von Politik und Medien?
In einer Podiumsdiskussion tauschten sich Vertreterinnen und Vertreter aus den Bereichen Wissenschaft, Politik, Umwelttechnologie und Journalismus darüber aus, wie der ländliche Raum von der Politik und den Massenmedien vernachlässigt wird. Die einzelnen Referenten sprachen dabei über sehr unterschiedliche Problemfelder.
Der Verkehrsplaner Univ. Prof. Dr. Hermann Knoflacher machte die Digitalisierung und die Auto-Mobilität für die Ausdünnung der ländlichen Räume in Richtung Städte verantwortlich. Zukunftsforscher Mag. Franz Nahrada stellte währenddessen das Projekt „DorfUni.at“ vor, mit dem die Dörfer durch regionale Bildungsräume wiederbelebt werden sollen.
Öffentlicher Verkehr und Bodenverbrauch sind wichtige Themen
Die Kommunalpolitikerin und ehemalige Staatssekretärin im Bundesministerium für Verkehr und Innovation Dr. Christa Kranzl beklagte die Einstellung einer Nebenbahnstrecke im südlichen Waldviertel. Eine Wiederbelebung der Bahn, so die Kommunalpolitikerin, würde den betroffenen Gemeinden viele Vorteile bringen: Die Verkehrsbelastung könnte enorm reduziert werden und viele regionale Unternehmen würden von der Transportmöglichkeit profitieren.
Eine andere aktuelle Herausforderung sprach Karl-Heinz Wingelmaier, Projektentwickler für nachhaltige CO2-freie Gebäude, an: Mit der Abwanderung von jungen, ausgebildeten Personen und Frauen stünden viele Gebäude ungenutzt. Dennoch, so Wingelmaier, würden nach wie vor viele Einfamilienhäuser gebaut werden, was den Bodenverbrauch ankurble. Er sieht hier vor allem ein gesellschaftliches Problem und plädierte für mehr Problembewusstsein in den Behörden.
Was wurde aus dem Masterplan für den ländlichen Raum?
Auf die Forderungen der unterschiedlichen Akteure durften bei der Podiumsdiskussion auch zwei Vertreter aus den Medien, bzw. aus der Politik Rede und Antwort stehen. Als Sektionschefin für die Bereiche Tourismus und Regionales im Bundesministerium für Nachhaltigkeit ist Mag. Ulrike Rauch-Keschmann für den Masterplan „Ländlicher Raum“ zuständig. Dieser wurde 2017 entworfen und beinhaltet 20 Handlungsfelder zur Stärkung der ländlichen Regionen. Der Föderalismus mache die Umsetzung dieser Handlungsziele zu einer großen Herausforderung, gab Rauch-Keschmann zu. Sie betonte aber die Bedeutung der Gemeinden und forderte die Medien dazu auf, in ihrer Berichterstattung besser zu differenzieren.
Mag. Michael Jungwirth, Innenpolitik-Redakteur bei der „Kleinen Zeitung“ verteidigte die Medien, indem er auf Regionalzeitungen hinwies und die Kluft zwischen Stadt und Land in der Gesellschaft verankert sah. Das erkenne man unter anderem an dem auseinanderklaffenden Wahlverhalten der ländlichen und urbanen Bevölkerung bei der Bundespräsidenten-Stichwahl im Jahr 2016, so Jungwirth.
Verschiedene Ansätze, aber Konsens bei Diversitätsförderung
In der Diskussion mit dem Publikum kamen auch die Themen Breitbandausbau, Kinderbetreuung und Dezentralisierung zur Sprache. Die Lösungsansätze reichten von Gemeindekooperationen über eine Reform der Bauordnung und Gesellschaftswandel bis hin zu Mediennutzung als demokratiepolitischem Partizipationsprozess. Trotz divergierender Ansichten war man sich in einem einig: Man müsse mit den jeweiligen regionalen Bedürfnissen im ländlichen Raum arbeiten, um die Gemeinden in ihrer Diversität zu fördern.
Eva Schubert – 1