Der Fall des „Kuh-Urteils“ hat in den letzten Jahren für viel mediales Aufsehen gesorgt. Die Diskussion erbrannte abermals, als ein Salzburger Landwirt als Reaktion auf das Urteil Anfang Juli einen Wanderweg sperrte. Der Jurist und Landesgeschäftsführer des Salzburger Gemeindeverbandes Dr. Martin Huber hat sich den Fall aus rechtlicher Sicht genauer angesehen.
Nach dem „Kuh-Urteil“ des Obersten Gerichtshofs vom 30. April 2020 (Zl 5 Ob 168/19w) hat Anfang Juli ein Landwirt im Salzburger Krumltal in Rauris die Verbindung zwischen einem beliebten Wanderweg und mehreren alpinen Steigen, die über seine Alm führt, gesperrt. Der Gerichtshof hat zwar festgehalten, dass Weideflächen im Almgebiet im Allgemeinen nicht abgezäunt oder eingefriedet werden müssen, bei besonderen oder örtlich eingegrenzten Gefahren aber zusätzliche Sicherungsmaßnahmen erforderlich sein können.
Ist die Sperre rechtswidrig?
Die Sperre der Verbindung im Krumltal erfolgte mittels eines Holztores, mit dem Hinweis auf die Entscheidung des Höchstgerichtes. Die Maßnahme hat nicht nur für großes mediales Aufsehen und zahlreiche Reaktionen – beginnend von den alpinen Vereinen bis hin zur Bundes- und Landespolitik – gesorgt. Sie wirft auch – unabhängig vom Motiv der Sperre – die Rechtsfrage auf, ob ein privater Grundbesitzer einen öffentlich zugänglichen Wanderweg sperren darf oder nicht.
Zu dieser Frage besteht nicht nur eine sehr umfangreiche zivilrechtliche Entscheidungspraxis, sondern finden sich auch in den einzelnen Bundes- und Landesgesetzen spezifische öffentlich-rechtliche Regelungen. Dies soll am Beispiel des Schauplatzes der aktuellen Wegsperre, dem Bundesland Salzburg, gezeigt werden. Vorweg ein kurzer Streifzug durch die Judikatur des Obersten Gerichtshofes:
Ersitzung durch Gemeingebrauch kann Sperre ausschließen
Grundsätzlich ist die Ersitzung – also der Erwerb – des Wegerechtes für die Allgemeinheit durch eine Gemeinde unter den im ABGB genannten Voraussetzungen möglich. Dazu zählt insbesondere die mindestens 30-jährige (bei Grundstücken, die juristischen Personen des öffentlichen oder privaten Rechtes gehören, mindestens 40-jährige) gutgläubige und hinsichtlich Zweck und Umfang im wesentlichen gleichbleibende Nutzung durch die Allgemeinheit. Es genügt die Benützung durch Gemeindeangehörige und/oder durch Touristen so, wie wenn es sich um einen öffentlichen Weg handeln würde (OGH vom 7.9.1999, 10 Ob 144/99w). Für die Ersitzung von Wegedienstbarkeiten in Gemeinden mit bedeutendem Tourismus genügt der Bedarf nach Wanderwegen in ausreichender Zahl (OGH vom 26.1.2010, Zl 6 Ob 22/09i).
Landesstraßengesetz untersagt Wegsperre bereits nach 20-jähriger Nutzung
Zu den wichtigsten öffentlich-rechtlichen Grundlagen, um die Benützung eines Weges durch die Allgemeinheit sicherzustellen, zählt das Salzburger Landesstraßengesetz. Dieses findet ausdrücklich auch auf Privatwege Anwendung (§§ 1 Abs 2 iVm 40 Sbg. LStrG 1972). Wurde ein Privatweg zumindest 20 Jahre lang auf Grund eines dringenden Verkehrsbedürfnisses allgemein und ungehindert genutzt, ist eine Ausschließung des öffentlichen Verkehrs unzulässig – dies gilt sinngemäß auch für Wanderwege.
Nach der Judikatur des VwGH ist von einem dringenden Verkehrsbedürfnis allerdings nur dann auszugehen, wenn die Wegnutzung nicht auf Grundlage einer zivilrechtlichen Benützungsberechtigung erfolgt. Weganrainer, die zivilrechtlich zur Benutzung des Weges berechtigt sind, sind bei der Beurteilung des dringenden Verkehrsbedürfnisses nicht zu berücksichtigen (vgl. dazu LVwG Sbg. vom 29.6.2017, Zl 2/103/58-2017).
Gesetz über die Wegefreiheit im Bergland
Unbeschadet der genannten Bestimmungen zum Straßenrecht gibt es noch andere Regelungen zur Offenhaltung wichtiger Wege für die Allgemeinheit bzw. den Tourismus. Aus den 70er Jahren stammt das aktuelle Gesetz über die Wegefreiheit im Bergland (für das Bundesland Salzburg LGBl 31/1970 idF 58/2005). Ähnliche Rechtsvorschriften bestehen auch in anderen Bundesländern teilweise schon über viele Jahrzehnte (im Bundesland Steiermark z.B. seit 1921, aktuell LGBl 87/2018).
Auch in der Salzburger Regelung besteht die Zielsetzung darin, für den Tourismus wichtige Wanderwege für diesen Zweck offenzuhalten und von einer Sperre auszuschließen. Gleichzeitig werden hier auch die Interessen der Grundeigentümer dadurch gewahrt, dass bei der Öffnung von Privatwegen die Offenhaltung davon abhängig gemacht werden kann, dass jene Rechtsträger, welche die Interessen des Tourismus in diesem Gebiet wahrnehmen (z.B. ein Tourismusverband), die Erhaltung dieser Wege übernehmen oder einen angemessenen Beitrag zur Erhaltung leisten (§ 1 Abs 2 des Gesetzes über die Wegefreiheit im Bergland). Bestimmte Einschränkungen für Alp- und Weidegebiete finden sind in § 5 des zitierten Gesetzes.
Forstgesetz sichert das Betreten der Wälder durch die Allgemeinheit
Als bundesrechtliche Vorschrift ist – jedenfalls im bewaldeten Bereich – die Bestimmung des § 33 Forstgesetz zu erwähnen. Auf Grundlage dieser Regelung darf jedermann den Wald zur Erholungszwecken betreten und sich dort aufhalten. Freilich gibt es Ausnahmen, die sich in § 33 Abs 2 und 3 sowie in § 34 Forstgesetz finden (z.B. betreffend Wiederbewaldungsflächen). Eine Ersitzung der Benutzung des Waldes zu Erholungszwecken ist ausdrücklich ausgeschlossen (§ 33 Abs 4 Forstgesetz).
Weiterhin Unklarheit im betreffenden Fall
Die Rechtslage ist und bleibt durch die große Bandbreite der in Frage kommenden Rechtsvorschriften verzwickt. Je nach Einzelfall ist der Sachverhalt genau zu prüfen, oft bezieht sich diese Prüfung auf einen historischen Zeitraum von vielen Jahren oder Jahrzehnten. Im Rauriser Krumltal selbst haben sich die Wogen dank der aktuellen Öffnung des Tores – das Weidevieh befindet sich derzeit auf einer höher gelegenen Alm – wieder etwas beruhigt. Wie auch immer die Angelegenheit weitergeht: die Entwicklung im „Tal der Geier“ – wie dieser paradiesische Ort auch genannt wird – wird von vielen mit Aufmerksamkeit verfolgt werden.