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Türkis-grün und die Gemeinden

Am 2. Jänner 2020 präsentierte die türkis-grüne Bundesregierung ihr über 300 Seiten starkes Regierungsprogramm für die Periode 2020 bis 2024. Es trägt den einprägsamen Titel „Aus Verantwortung für Österreich“. Hier finden Sie eine Bestandsaufnahme davon, was das Regierungsprogramm für die Gemeinden Österreichs bedeutet.

Die österreichischen Gemeinden sind mit ihrem breiten Aufgabenspektrum, sinnbildlich „Von der Wiege bis zur Bahre“, von vielen Passagen des neuen Regierungsprogramms unmittelbar oder mittelbar betroffen. Was die angekündigten Maßnahmen und Zielsetzungen für die Kommunen bedeuten könnte, sah sich der Österreichische Gemeindebund genauer an.

Hier finden Sie einen kurzen Überblick – das vollständige Statement des Österreichischen Gemeindebundes zum Regierungsprogramm 2020-2024 finden Sie in der Info-Box zum Download.

Staat, Gesellschaft und Transparenz



Gleich zu Beginn hält das neue Regierungsprogramm fest, dass der bereits eingeschlagene Weg einer Kompetenzbereinigung fortgesetzt und Doppelgleisigkeiten reduziert werden sollen. Das liegt ganz klar im Sinne des Gemeindebundes, der in der Vergangenheit immer wieder auf eine Neuordnung der Zuständigkeiten gedrängt hat – so etwa im Bereich der Personalverantwortlichkeiten im Schulwesen. Auch Vorhaben wie etwa eine Bürokratiebremse und vereinfachte Gemeindekooperationen sowie Verfahrensbeschleunigungen sind als durchwegs positiv zu werten. Bei der Darstellung der Reform des Wahlrechtes zeigt sich, dass zwar zahlreiche Vorschläge des Gemeindebundes übernommen wurden, gewichtige Punkte jedoch noch fehlen. Für Diskussionsstoff wird wohl auch noch die Abschaffung des Amtsgeheimnisses sorgen.

Finanzen und Finanzausgleich

Neben der Senkung der Steuer- und Abgabenquote bekennt sich Türkis-Grün auch zu einem Null-Defizit sowie zur weiteren Senkung der gesamtstaatlichen Schuldenquote (der Anteil der Gemeinden ohne Wien liegt daran bei gerade einmal 3 Prozent). Dennoch finden sich auch in diesem Regierungsprogramm einige immer wieder kehrende Überlegungen der Bundesebene, die Gemeindeautonomie zu beschneiden oder bewährte Ko-Finanzierungen des Bundes zu hinterfragen. Auch die kommenden Verhandlungen zum Finanzausgleich ab 2022, die wohl in der zweiten Jahreshälfte starten dürften, werden somit wieder sehr herausfordernd sein.

Klimaschutz, Verkehr und Infrastruktur

Wie erwartet stellt der Klimaschutz ein zentrales Thema im Regierungsprogramm dar, welches sich quer durch alle Lebens- und Rechtsbereiche zieht. Dazu gehören unter anderem eine klimaneutrale Verwaltung, ein nationaler Energie- und Klimaplan und der Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs. Auch eine klimaschutzorientierte Raumplanung ist vorgesehen. In diesem Kernbereich der Gemeindeautonomie wird der Gemeindebund sehr genau prüfen, dass es hier „durch die Hintertür“ nicht zu einer Beschneidung der kommunalen Selbstverwaltung kommt. Bei dem vorgesehenen „Phase-Out“ für Öl-Kessel mahnt der Gemeindebund rechtzeitige Information und Mitspracherechte ein, da Gemeinden Planungssicherheit brauchen.

Tourismus

Hier ist erfreulich anzumerken, dass auch einige langjährige Forderungen des Österreichischen Gemeindebundes in das Regierungsprogramm aufgenommen wurden. Einige ausgewählte Kernthemen sind die Prüfung der Regelungen für Buchungsplattformen, konkrete Maßnahmen gegen das Gasthaussterben, die Vermeidung von „Overtourism“ und die Bekämpfung des Fachkräftemangels.

Europa, Integration, Migration & Sicherheit

Zu einem für die Gemeinden wichtigen Punkt gehört der im Regierungsprogramm vorgesehene konsequente Einsatz auf europäischer Ebene für das Grundprinzip der Subsidiarität. Enthalten ist auch der Ausbau der Beteiligungsmöglichkeiten von Städten und Gemeinden an Entscheidungsprozessen der EU und die Stärkung lokaler Initiativen. Des Weiteren soll die auch vom Gemeindebund von Beginn an mitgetragene Initiative „GEMEINSAM.SICHER in Österreich“ fortgeführt und weiterentwickelt werden. Erfreulich ist, dass die Tauglichkeitskriterien für den Wehrdienst überarbeitet werden sollen. Der Gemeindebund kritisiert schon seit Jahren, dass für den Wehrersatzdienst bzw. den Zivildienst immer weniger junge Österreicher zur Verfügung stehen.

Reform der Pflege

So viel wie möglich daheim und ambulant – so viel wie nötig stationär, wohnortnahe und dezentrale Angebote schaffen, Personaloffensive, Weiterentwicklung des bestehenden Systems und Sicherstellung der Finanzierung, Fokus auf den hohen Frauenanteil in der Pflege und Schaffung von Entlastungsmaßnahmen für pflegende Angehörige: So lauten die Grundprinzipien der angestrebten Pflegereform im türkis-grünen Regierungsprogramm. Auch die langjährige Forderung des Gemeindebundes, die rechtliche Möglichkeit zur Beschäftigung einer 24-Stunden-Betreuung für mehrere Kundinnen und Kunden zu schaffen, findet sich darin.

Gesundheit und ärztliche Versorgung

In diesem Kapitel, das viele Forderungen der kommunalen Ebene enthält, bekennt sich die Bundesregierung zu einer hochqualitativen, flächendeckenden und wohnortnahen Gesundheitsversorgung vor allem durch niedergelassene Kassenärzte. Zu den Zielsetzungen gehören unter anderem der Ausbau der Primärversorgung und Schaffung flexibler Kooperationsmodelle für Ärzte, die kontinuierliche Ausweitung des Angebots an Medizin-Studienplätzen, die an eine befristete Verpflichtung, in Österreich ärztlich tätig zu sein gekoppelt sind sowie die Weiterentwicklung der E-Card.

Kinderbetreuung und Bildung

Umfangreich widmet sich das Regierungsprogramm dem Thema Bildung und Kinderbetreuung. Neben Maßnahmen, die durchwegs zu begrüßen sind und sich mit den Forderungen des Gemeindebundes decken, gibt es auch kritische Punkte zu verzeichnen, die zwar in der Sache vernünftig sind, deren Finanzierung aber ungeregelt bleibt. Dass die Zweckzuschüsse ab dem Kindergartenjahr 2020/21 wesentlich erhöht werden sollen ist erfreulich, ein Wermutstropfen ist aber, dass keine Regelung für eine nachhaltige Finanzierung ganztägiger Schulangebote vorgesehen ist. Auch hinsichtlich der vorgesehenen universitären Ausbildung aller Elementarpädagogen sowie der Ausstattung der Schüler mit digitalen Endgeräten (Tablet) stellt sich die Frage der Finanzierung.

Digitalisierung

Wenngleich es auf die konkrete Ausgestaltung ankommt, sind die im Regierungsprogramm genannten Maßnahmen zur flächendeckenden Breitbandversorgung zu begrüßen. Dazu gehören die Neustrukturierung der Breitbandmilliarde, die Anpassung der Förderbedingungen, der Einsatz von neuen Technologien und die flächendeckende Versorgung mit festen und mobilen Gigabit-Anschlüssen mit besonderem Fokus in öffentlichen Einrichtungen.

Wie in anderen Bereichen auch (etwa Abschaffung des Amtsgeheimnisses) wird man bei der Umsetzung auf die Gemeindespezifika Rücksicht nehmen müssen. Die Behördenstrukturen und -abläufe in den Gemeinden sind nicht mit jenen auf Landes- oder Bundesebene vergleichbar.

Das neue Regierungsprogramm wurde am 2. Jänner 2020 vorgelegt. Es ist über 300 Seiten lang, fast jede zweite Zielsetzung ist auch für Kommunen von Relevanz. © Bernhard J. Holzner/BKA