13.10.2016 – Hanspeter Wagner begab sich als Vertreter der österreichischen Gemeinden auf europäischer Mission. In Brüssel war er von früh bis spät für eine gemeinsame Tourismusstrategie und den Zugang zum Juncker-Fonds für kleine und mittlere Tourismusbetriebe im Einsatz.
Ein ganzer Stapel Tiroler Werbeplakate aus unterschiedlichsten Zeiten, sieben Freiwillige, die unschlüssig drum herum stehen. Dann packen es Hanspeter Wagner, Mitglied des Österreichischen Gemeindebundes im Ausschuss der Regionen (AdR), die Wissenschaftlerin Anita Zehrer, der Berater des AdR-Generalsekretär Christian Gsodam, der gerade zufällig vorbeispazierende Christof Kienel, Referatsleiter des Ausschusses für natürliche Ressourcen (NAT) im AdR, Ronald Petrini, der Geschäftsführer des Tourismusverbandes in Reutte, und Daniela Fraiß, Leiterin des Europabüros des Gemeindebundes in Brüssel, doch gemeinsam an. Die Plakate werden aus ihren Schutzhüllen genommen und an der Wand im fünften Stock des AdR-Gebäudes angeordnet. Die Ärmel hochkrempelt bauen die sieben eine kleine Ausstellung auf.
Welttourismustag als Ausgangspunkt für eine europaweite Tourismusstrategie
Was wie ein Projekt für mehr Teamfähigkeit aussieht, hat einen ganz wichtigen Hintergrund. In den Räumen des AdR wird am folgenden Tag, dem Welttourismustag, im zuständigen NAT-Ausschuss über die europäische Tourismusstrategie abgestimmt. Hanspeter Wagner ist dabei Berichterstatter. Der Ausschuss der Regionen übernimmt damit eine Initiativrolle, die EU-Parlament und Kommission dazu anregen soll, eine entsprechende Strategie für alle Mitgliedstaaten in Europa zu verabschieden. Zweiter Grund für die Ambitionen ist, dass auch touristische Klein- und Mittelunternehmen vom Juncker-Fonds (Europäischer Fonds für strategische Investitionen – EFSI) profitieren sollen.
An diesem Abend wird eine Ausstellung vorbereitet, die den Mitgliedern des Ausschusses das Tourismusland Tirol näher bringen soll. Die aufgehängten Plakate, Filme, die auf großen Flat-Screens präsentiert werden, und zahlreiches Info-Material zeugen davon, wie professionell die Österreicher in diesem Bereich aufgestellt sind.
Termin beim Kommissar
Wie groß das Vertrauen in Österreich in diesem Bereich ist, sieht man auch am nächsten Tag. Um 10:45 Uhr durch die nach den Anschlägen in Brüssel sehr strengen Sicherheitskontrollen des Kommissionsgebäudes gekämpft – was vor allem für Ronald Petrini in seiner Tiroler-Tracht mit zahlreichen Metallknöpfen zum Hürdenlauf wurde – erwartet die Gruppe der für Investitionen zuständige EU-Kommissar Jyrki Katainen mit seinem Mitarbeiter in einem mittelgroßen, hell-dunkel ausgestatteten Besprechungszimmer. Das Setting scheint für ihn Routine. Zielstrebig setzt er sich an eine Seite des Tisches. Der Rest platziert sich rund um ihn. Es ist schon eine Besonderheit, bei einem EU-Kommissar einen Termin zu erhalten. Leichte Nervosität ist im Raum zu spüren. Aber nicht vom Kommissar selbst. Ruhig, wie man es schon fast von einem Finnen erwartet, hört er sich das Anliegen der Österreicher an. Wagner, der Direktor der Neuen Mittelschule mit sportlichem Schwerpunkt Königsweg in Reutte ist und selbst einmal das Nationalteam der nordischen Kombinierer trainiert hat, spricht davon, dass der Juncker-Fonds für Klein- und Mittelunternehmen im Tourismus geöffnet werden soll.
„Wir begrüßen es sehr, dass die Regionen in diesem Bereich zu unserem Partner werden“, so Katainen. Hinter der positiven Antwort steht ein großes ABER, denn es braucht einiges an Vorarbeit, um an die Kredite aus dem Juncker-Fonds zu kommen. Dafür muss zuerst ein großes Ziel definiert und aus den einzelnen interessierten Unternehmen eine übergeordnete Plattform gebildet werden, um die nötige Masse zu bilden. Und es braucht auch eine regionale Bank, die mitabwickelt. Erst dann können sich auch kleinere Unternehmen um die Gelder aus dem Juncker-Fonds bewerben. Wagner versichert, dass die Pläne schon sehr konkret sind: In fünf Pilotregionen sollen beispielhaft Projekte umgesetzt werden. Darunter auch in Tirol. Präzise wie ein Uhrwerk scheint Katainen seine Termine abzuarbeiten, denn nach 15 Gesprächsminuten verabschiedet er sich und sichert der anwesenden Gruppe nochmal seine Unterstützung zu, wenn die entsprechende Vorarbeit geleistet wird.
Der Ball liegt bei den Regionen
Sein Mitarbeiter bleibt noch, um weitere Details zu klären. An diesem Punkt werden die Dimensionen klar: Wir sprechen hier von Investitonsvolumina in Höhe von 15 bis 20 Millionen Euro. Es braucht also schon wirklich große Projekte, um sich um Kredite bewerben zu können. Er erklärt, dass es bereits im Bereich der Energieeffizienz entsprechende Projekte gibt. Durch die günstigen Kredite aus dem Fonds werden beispielsweise Energieeffizienzmaßnahmen an Gebäuden zu sehr guten Konditionen finanziert. Ein weiteres Einsatzgebiet ist der Ausbau der Breitbandinfrastruktur.
Was Wagner wissen wollte, weiß er nun. Der Ball liegt bei den Regionen, die Kommission wird ihnen die Hilfe nicht verwehren, sondern würde sich im Gegenteil über vorzeigbare Best-Practice-Beispiele sogar freuen. (Wahrscheinlich mit ein Grund, warum Katainen sich Zeit nimmt, ein AdR-Mitglied zu treffen)
Mittagspause: Termin mit EU-Abgeordneten
Bei seltenem Brüsseler Strahlewetter marschiert die Gruppe vorbei an den Brüsseler Dauerbaustellen und dem immer starken Verkehr in Richtung AdR. Hier findet heute die entscheidende Sitzung des zuständigen NAT-Ausschusses statt. Nach Wagners Vorschlag für eine gemeinsame Tourismusstrategie, den er beim letzten Mal eingebracht hat, sollen die Abgeordneten diesmal über die eingebrachten Änderungsanträge aus den Mitgliedsländern abstimmen. Eine Arbeit, die im Hintergrund zahllose Meetings und Treffen erfordert, um eine halbwegs gemeinsame Linie zu garantieren. Dieser Tagesordnungspunkt soll aber erst am Nachmittag behandelt werden.
Wieder im fünften Stock angekommen, freut sich die Gruppe zunächst, dass die Plakate immer noch an ihrem Platz hängen. Wagner verschwindet sogleich hinter der großen Holztüre, um den anderen Tagesordnungspunkten der Ausschusssitzung zu lauschen. Doch nicht lange, denn selbst die kurze Mittagspause nützt er, um Abgeordneten des Europäischen Parlaments sein Anliegen näher zu bringen. Während der Rest der Gruppe zumindest die Vorspeise genießen kann, sprechen Wagner und Gsodam angeregt mit der portugiesischen Abgeordneten Cláudia Monteiro der Aguiar und ihrer Assistentin.
Immerhin gilt es erstens willige Regionen zu finden, die so ein Megaprojekt angehen wollen und zweitens soll es ja nicht beim reinen Initiativantrag des AdR bleiben. Damit eine Tourismusstrategie umgesetzt werden kann, braucht es vor allem das Europäische Parlament und die Kommission. Sie sind es, die europäische Initiatiiven voranbringen. Gerade der Wechsel der Ratspräsidentschaft zu Malta im ersten Halbjahr 2017 könnte ein günstiges Zeitfenster für die Umsetzung der Bestrebungen sein. Das Gespräch läuft gut, auch sie zeigt sich sehr interessiert. Doch viel Zeit für nähere Details bleibt nicht, Wagner übergibt ihr eine kurze Zusammenfassung der Tourismusstrategie und verabschiedet sich, um nicht zu spät zur Eröffnung der Ausstellung zu kommen.
Tirol präsentiert sich in Brüssel
Der Marathon geht weiter: Vom Erdgeschoß wieder in den fünften Stock – hier warten die Ausschussmitglieder schon auf ihn. Ein Schluck Kaffee, kurze Begrüßungsworte zwischen Kollegen und Hanspeter Wagner schreitet zum Rednerpult. Auf der Rückwand die aufgehängten Plakate, gegenüber der derzeit noch gut gefüllte Tisch mit Infomaterial, im Hintergrund läuft stumm der Imagefilm, der das bergige Österreich wie im Bilderbuch präsentiert und die Entwicklung des Tourismus in Tirol seit den 1930er Jahren dokumentieren soll. Mit seinem gewinnenden Lächeln auf den Lippen begrüßt er die Anwesenden kurz und erklärt, dass heute – am Welttourismustag – diese wichtige Entscheidung für Regionen getroffen wird. Er freut sich, dass das Land Tirol sich hier in den Räumlichkeiten des AdR präsentieren kann. Dass er kein Mann der langwierigen Reden ist, wird wohlwollend durch einen Applaus zur Kenntnis genommen. Er gibt ab an Ronald Petrini, der in seinem Tiroler Anzug glaubhaft erklärt, warum Tirol so eine erfolgreiche Tourismusdestination ist. Ein kurzer Hinweis auf den Film – nun wird der Ton eingeschalten. Der Tisch mit den Infobroschüren leert sich als sich die Mitglieder wieder durch die große Holztüre in den Sitzungssaal begeben.
NAT-Sitzung: Nun wird endlich abgestimmt
Nach all den vorangegangenen Terminen findet nun die Sitzung statt, bei der alles entschieden wird. Wagner nimmt vorne in der Mitte des halbkreisförmig angeordneten Sitzungssaals Platz. 43 Änderungsanträge sind eingegangen. Wie wichtig die Vorbereitung ist, zeigt sich bei der Abstimmung. Obwohl es Dolmetscher in neun verschiedenen Sprachen gibt, herrscht – nach einem Einwand eines dänischen Abgeordneten kurzzeitig Verwirrung, über welchen Änderungsantrag nun abgestimmt wird. Manche Mitgliedstaaten finden, dass der Aufbau einer kostenlosen „European Citizen Travel Card“, mit der EU-Bürgern zu vergünstigten Preisen in öffentlichen Verkehrsmitteln, Museen etc. angeboten werden sollen, zu aufwändig in der Praxis wäre. Der Punkt wird aus dem Gesamtergebnis ausgeklammert. Statt mit Handzeichen, muss nun elektronisch abgestimmt werden, um ein eindeutiges Ergebnis zu erhalten. Manche brauchen länger, manche kürzer – kurzum, der Antrag wird mit einer Stimme Mehrheit und am Ende die Tourismusstrategie mehrheitlich angenommen.
Nach der vierstündigen Sitzung, in der im Zuge einer Diskussion viele europäische Regionen ihre guten Beispiele zur Nutzung der EU-Fonds für regionales Wachstum und Beschäftigung durch den Tourismus vorstellen, geht es über zum gesellschaftlichen Teil. Nach einem weiteren Hürdenlauf durch die Zugangskontrollen im Europäischen Parlament, laden die beiden EU-Parlamentsabgeordneten Claudia Tapardel und István Ujhelyi, die sich schon in der NAT-Sitzung für ein verstärktes Engagement Europas im Tourismus ausgesprochen haben, zu einer Vertiefung der Gespräche im Zuge eines Empfangs. Unglaubliche zehn Vortragende aus allen Regionen Europas wollen an diesem Abend noch zum Thema Tourismus gehört werden. Sogar die aus Polen stammende Tourismus-Kommissarin Elżbieta Bieńkowska gesellt sich zu den Ausschuss-Mitgliedern.
Trotz aller Müdigkeit, die Wagner nach diesem Tag von Gesprächen im nicht gewohnten Englisch schon ins Gesicht geschrieben ist, kann er lächeln. Er hat viel auf den Weg gebracht. Es braucht noch zwei Abstimmungen im AdR, und weitere Maßnahmen von Kommission und Parlament, aber was er tun konnte, hat er getan. In der Umsetzung liegt der Ball nun bei den Regionen.