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Reportage: “Wir sind nicht mehr am Ende der Welt”

28.1.2015 – Das Waldviertel ist österreichweit bekannt für die periphere Lage und die dadurch bedingte Abwanderung. Der geografische Grenzübergang von Gmünd nach Ceské Velenice (ehemals Gmünd 3), der symbolhaft für die wechselvolle Geschichte der ganzen Region steht, ist Ausgangspunkt, für die Beantwortung der Frage, ob die Assoziationen immer noch gerechtfertigt sind.

Von der Unmöglichkeit zur Selbstverständlichkeit

Beim Fall des Eisernen Vorhangs war Otto Opelka Finanzstadtrat, später versuchte er als Bürgermeister die Möglichkeiten, die sich durch die Grenzöffnung ergaben, zu nutzen. Wie es damals war, kann er genau sagen: „Wir waren hier wirklich am Ende der Welt.“ Gmünd wurde durch den Eisernen Vorhang ähnlich wie Berlin zerrissen. Die Grenze lässt sich heute einfach „per pedes“ überschreiten – früher eine Unmöglichkeit. Wirtschaftlich stand die Region sehr schlecht da, eine große Abwanderungswelle prägte die Zeit.

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Diese Grenze war früher das „Ende der Welt“.

„Als die Grenze geöffnet wurde, kamen die Menschen am nächsten Tag in Scharen zu uns herüber. Aber sie wagten sich nur bis über die Brücke, sahen sich um und gingen wieder zurück“, erinnert sich Opelka mit einem Schmunzeln. Mit besonderer Freude denkt er an das Fest zurück, das am Samstag danach stattfand: „Von drüben brachten die Menschen Bier und wir feierten das neue Zusammensein gemeinsam am Gmünder Stadtplatz.“

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Hertha Huber, Pensionistin: „Als die Menschen nach der Grenzöffnung in Scharen nach Gmünd gekommen sind und wir wieder die tschechische Sprache in den Kaffeehäusern und auf der Straße hörten, das war schon etwas Besonderes.“

Erster internationaler Wirtschaftspark in Gmünd entstanden

Diese Aufbruchsstimmung wollte die Politik für einen Aufschwung nutzen. Noch vor dem EU-Beitritt wurde 1993 der erste internationale Wirtschaftspark gegründet. Die Idee war, dass Unternehmen die Vorteile beider Seiten nützen könnten. „Die einzige Firma, die diese Idee wirklich umgesetzt hat, ist die Firma Kinshofer: Die Produktionshalle steht auf tschechischer und die Verwaltungsbüros auf österreichischer Seite. Beide Hallen sind nur wenige Schritte voneinander getrennt“, erzählt Opelka, der bis 2012 Bürgermeister von Gmünd war.

Für seinen Nachfolger Andreas Beer – er war 1989 vier Jahre alt – gehören die offene Grenze und die bisher errungene Verflechtung bereits fix zum Bild der Stadt: „Wir profitieren bis heute von den Möglichkeiten, die uns die Grenzöffnung und der EU-Beitritt gebracht haben. Durch unsere Lage im Herzen Europas haben wir immer wieder Anfragen großer Betriebe, die sich im grenzüberschreitenden Wirtschaftspark ansiedeln wollen, weil die Wegstrecken unabhängig davon, dass wir verkehrsinfrastrukturmäßig noch ein wenig benachteiligt sind, keine schlechten sind. Wir haben ungefähr gleich weit nach Wien, wie nach Linz oder in den tschechischen Zentralraum nach Budweis oder Prag. Außerdem haben wir uns im Tourismus durch die Eröffnung des Sole-Felsen-Bads in den letzten zehn Jahren extrem gut entwickelt. Dieses Projekt wurde beispielsweise durch EU-Fördermittel zu 25 bis 30 Prozent gestützt. 160 Arbeitsplätze konnten geschaffen werden.“

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(Bild: ZVG)
Monika Hag, Wirtin im „Hopferl“: „Die anfänglich nicht so positive Stimmung hat sich gewandelt. Unsere Kleinen lernen bereits im Kindergarten Tschechisch. Wir haben uns auch im Betrieb eingestellt: Es gibt tschechische Speisekarten und wir beschäftigen drei tschechische Mitarbeiter.“

Prozess des Zusammenwachsens noch lange nicht beendet

Das Potenzial der Zusammenarbeit ist aber noch lange nicht ausgeschöpft. Nach einem Vorfall, bei dem ein verletzter Österreicher an der Grenze den österreichischen Rettungskräften übergeben werden musste, weil die tschechischen nicht bis ins Gmünder Krankenhaus fahren durften, wurde der Startschuss für die nähere Zusammenarbeit im Gesundheitssektor gegeben, wie Bürgermeister Beer erzählt: „Eines der wichtigsten Zukunftsprojekte ist sicherlich das grenzüberschreitende Krankenhaus, wo Bürger beider Länder versorgt werden können.“ Die Feuerwehren pflegen seit vielen Jahren enge Kooperationen. Im kulturellen Bereich haben sich die Verflechtungen ebenso intensiviert: Seit zehn Jahren findet erfolgreich das Kulturfestival „Übergänge – Prechody“ statt. Weitere Initiativen und Projekte haben sich daraus ergeben.

Ein Projekt mit Symbolcharakter, das aber leider aufgrund des Auslaufens der letzten ETZ (Europäische Territoriale Zusammenarbeit)-Förderperiode nicht mehr gefördert wurde, war das Jugendzentrum am ehemaligen Grenzübergang. „Der Gedanke ist, bereits bei den Jugendlichen das Zusammenwachsen zu fördern. Aus einem Ort der Trennung soll ein Ort der Begegnung werden. Dieses Projekt werden wir auf jeden Fall im Zuge der neuen Förderperiode weiter forcieren.“

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Walter Müllauer, Filialleiter „Vögele“: „15-20 Prozent unserer Kunden kommen aus Tschechien. Der Kundenstamm reicht dabei bis Prag.“

Wirtschaft: Bereits 15 bis 20 Prozent tschechische Kunden

Profitiert hat aber vor allem die regionale Wirtschaft. Walter Müllauer, Filialleiter der Bekleidungsfirma Vögele, erzählt, dass inzwischen 15 bis 20 Prozent der Kunden aus dem nahen Tschechien kommen: „Wir inserieren kaum. Das ist reine Mundpropaganda, die uns die Kunden bringt. Vor allem an Samstagen kommen die Kunden bis von Prag hierher, um zu shoppen.“ Aktiv um Kunden aus Tschechien bemüht man sich im Sportgeschäft Stöckl. „Wir schalten regelmäßig Werbung im ganzen südböhmischen Raum“, erzählt Heinrich Stöckl, der sich aber auch noch mehr Unterstützung von Seiten der Wirtschaftskammer wünschen würde. Stöckl sieht noch reichlich Entwicklungspotenzial: „Wir können hier noch so fleißig sein, wenn es zu langwierig ist, ins Waldviertel zu kommen, dann sind unsere Potenziale begrenzt.“

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(Bild: ZVG)
Katrin Pilz, GF der Bäckerei Pilz: „Ich finde es schade, dass wir in der Schule die Sprache nicht gelernt haben. Die offene Grenze gehört für mich einfach dazu und ich denke, wir haben auch vom EU-Beitritt sehr profitiert.“

„Verkehrslandschaft muss unbedingt verbessert werden“

Damit spricht er auch ein Herzensanliegen von Bürgermeister Andreas Beer an: „Wir bieten eigentlich ein umfassendes Angebot in der Daseinsvorsorge – das beginnt bei der Kinderbetreuung, geht über die Einkaufsmöglichkeiten, das Freizeitangebot bis hin zur medizinischen Versorgung. Aber wir brauchen gute Verkehrsnetze, um wieder attraktiv zu sein. Es muss möglich sein, innerhalb einer guten Stunde von Wien in Gmünd zu sein. Die Investitionen, die hierfür nötig wären, sind im Vergleich zu so manchem Tunnelbau gering und würden einen unbedingt notwendigen Impuls für die ganze Region bringen.“

Es bleibt also noch viel zu tun, bis das Waldviertel den Anschluss an die restlichen Regionen in Niederösterreich wieder geschafft hat. Rückblickend ist Altbürgermeister Opelka aber stolz: „Aus fester Überzeugung und ruhigen Gewissens kann ich sagen, dass die Region Gmünd von der Grenzöffnung und dem EU-Beitritt stark profitiert hat. Man muss nur bedenken, dass die Hälfte unseres Einzugsgebiets an der Grenze liegt. Heute kann ich mit Stolz sagen, dass ich Waldviertler bin.“

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Heinrich Stöckl, Eigentümer „Sport Stöckl“: „Wir profitieren von der Grenzöffnung, würden uns aber eine bessere Verkehrsanbindung auf österreichischer Seite wünschen.“
Eine Brücke mit Geschichte. Hier wagten die Menschen den ersten Kontakt zu den Bürgern des jeweils anderen Landes. ©Gemeindebund