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KSG-Forum 1: Regional statt global: Wie Dezentralisierung funktionieren könnte

Wie ein Leben nach der Krise aussehen könnte wurde bei den 15. Kommunalen Sommergesprächen im Forum 1 diskutiert. Ein Fazit: Die Digitalisierung könnte ein Schlüsselfaktor für die „progressivere Provinz“ sein.

Die Gemeinden sind von der Corona-Krise in dreifacher Hinsicht betroffen: als unmittelbarer Arbeit- und Auftraggeber, als Wirtschaftsstandort für die Unternehmen und als Lebensstandort für ihre Bürgerinnen und Bürger. Im Forum 1 der Kommunalen Sommergespräche 2020 wurde vor diesem Hintergrund die Frage diskutiert, wie Digitalisierung und Nachhaltigkeit die Position der Kommunen stärken können.

Globalisierung macht krisenanfällig

Daniel Dettling, Geschäftsführender Gesellschafter vom Institut für Zukunftspolitik in Berlin sieht vor diesem Hintergrund auf die Kommunen eine besondere Herausforderung zukommen. Corona beendet nämlich seiner Ansicht nach die Phase der wie er es formuliert „hyperschnellen Globalisierung“. Die bisherige globale Vernetzung habe die Welt anfälliger für Krisen gemacht.

Nach der Krise spricht laut Dettling „einiges für eine neue Epoche und ein neues Verhältnis zwischen Stadt und Land“. Dettling prognostiziert eine Ära der „nachhaltigen Glokalisierung“ als Antwort auf die steigende Nachfrage nach Heimat und Nachhaltigkeit. Als Gewinner dieser Entwicklung sieht Dettling die „progressive Provinz“, die beide Welten verbinden würde: die urbane, weltoffene und die lokale, verbundene Welt. Die zunehmende Digitalisierung würde diese Entwicklung unterstützen, da sie dezentrale Strukturen von Arbeit, Wirtschaft und Verwaltung ermögliche.

Digitalisierung für Dezentralisierung nutzen

Christoph Badelt, Leiter des Wirtschaftsforschungsinstituts WIFO, ist daher der Ansicht, dass die Digitalisierung dezentral aufgesetzt werden muss, um die Kommunen als Standort zu unterstützen und um damit „den Unternehmen auch außerhalb der Ballungsräume die wirtschaftliche Integration zu erleichtern.“

Für Badelt sind die Gemeinden „ein Schlüssel für die öffentliche Investitionstätigkeit. Und dabei werden die beiden Themen Digitalisierung und Nachhaltigkeit eine ganz besondere Rolle spielen, denn diese beiden Themen leben vor allem auf der Gemeindeebene.“

Breitbandausbau stärkt ländlichen Raum

In puncto Digitalisierung stellt für A1-CEO Marcus Grausam gerade abseits großer Städte die Breitband–Anbindung von Gemeinden, Unternehmen und Haushalten einen der wichtigsten Faktoren sowohl für die wirtschaftliche Entwicklung, als auch für die Lebensqualität dar. „Im Zuge des Breitbandausbaus werden Standortnachteile abseits städtischer Gebiete ausgeglichen und räumliche Distanzen überwunden“, sagt Grausam. „Digitale Entwicklungen wie Remote Working oder Distance Learning verändern die Arbeits- und Bildungswelt in einem rasanten Tempo und stärken gleichzeitig die Region als Lebensmittelpunkt der Bevölkerung.“

Breitband-Internet verhindere so in ländlichen und suburbanen Regionen die Abwanderung in die Stadt und sei damit maßgebend für die regionale Entwicklung. Grausam: „Davon profitieren auch alle Industrien, auch die Landwirtschaft, bei der die Vernetzung von Maschinen und Sensoren immer wichtiger wird.“

Unternehmen in die Verantwortung nehmen

Robert Nagele, Vorstand beim Lebensmittelkonzern Billa/Merkur sieht nicht nur die Politik, sondern auch die Unternehmen in der Verantwortung für die Zukunft ländlicher und suburbaner Regionen. Die Corona-Krise habe im Handel jedenfalls zu einem massiven Umbruch geführt, sagt Nagele. Das Kunden- und das Kaufverhalten hätten sich verändert, Digitalisierung und Regionalität hätten einen enormen Schub bekommen. Die Bestellungen im Billa-Onlineshop hätten sich verachtfacht, die Zahl der Click- und Collect-Bestellungen (online bestellen, vor Ort abholen) hätten ein Plus von 580 Prozent verzeichnet. Bis Jahresende soll die Anzahl der Click & Collect-Filialen daher von derzeit 140 auf 400 erhöht werden, so Nagele.

Ausweiten und verstärken will Billa/Merkur aber auch sein Konzept als regionaler Rundumversorger. Das bedeutet, dass in Absprache mit den Kommunen rund um die Rewe-Standorte weitere Einrichtungen integriert werden können. Die Palette reicht von Co-Workspace-Arealen, über E-Ladestationen und Restaurants bis hin zu Wohnungen und Kinderbetreuungseinrichtungen.

Besonderer Fokus auf Regionalität durch Krise

Dass sich durch die Krise soziale Verhaltensweisen verändern, stellt auch Herbert Greisberger, Chef der Energie- und Umweltagentur Niederösterreich, fest. Große Veranstaltungen wie etwa der Umweltgemeindetag Niederösterreich sind heuer vollständig digitalisiert worden. Greisberger ist überzeugt, dass Veranstaltungen und Kongresse, die nun wohl schon zwei Mal abgesagt wurden, generell nicht wiederkommen werden. „Lediglich Bewährtes wird bestehen. Neues kann und wird entstehen.“

Greisberger ist ebenfalls der Ansicht, dass Regionalität sozusagen ein aktueller Verstärker in der Krisenbekämpfung ist.  „In der Krise liegt ein besonderer Fokus auf Regionalität. Regionale Lebensmittel haben eine neue Wertigkeit, Urlaub in Österreich einen Imagegewinn und die Bedeutung regionaler Kreisläufe ist stärker ins Bewusstsein gedrungen als durch eine Vielzahl volkswirtschaftlicher Studien.“

Das habe auch unmittelbare Auswirkungen auf sein Unternehmen. „Wenn wir heute für die Gemeinden etwa beschaffen, so ist das Thema der Kostengünstigkeit nicht mehr das zentrale Kriterium. Regionalität und Qualität haben der kurzfristigen Wirtschaftlichkeit den Rang abgelaufen.“

Eine großes Thema für die Gemeinden sieht Greisberger in den Klimazielen. „100 Prozent erneuerbaren Strom bis 2030 stellt uns vor enormen Herausforderungen.“ Die Energiewende auf kommunaler Ebene sei freilich das Rückgrat bei der Bekämpfung der Klimakrise. Bereits heute würden viele Kommunen in erneuerbare Energieträger, allem voran Photovoltaik. Wind- und Wasserkraftanlagen investieren – und dazu auch die Gemeindemilliarde nützen.

Dr. Wolfgang Unterhuber

Prof. Christoph Badelt, Dr. Dettling, Marcus Grausam, Robert Nagele und Herbert Greisberger diskutierten in Bad Aussee angeregt über das Leben nach der Krise. ©Gemeindebund/event-fotograf