14.4.2015 – Elisabeth Wicke wird als Bürgermeisterin in der 1.300 Einwohner zählenden Gemeinde Mellau im Bregenzerwald mit 13. April 2015 aufhören. Zehn Jahre führte die bald 63-Jährige die Gemeinde und stieg als eine von wenigen Frauen in den Vorstand des Vorarlberger Gemeindeverbandes und als eine von sechs Frauen 2011 in den Bundesvorstand des Österreichischen Gemeindebundes auf. Warum trotz der zusätzlichen Belastung überörtliche Funktionen dennoch wichtig sind, verrät sie Kommunalnet-Redakteurin Carina Rumpold.
Kommunalnet: Wie war das, als Sie 2005 zur Bürgermeisterin gewählt wurden?
Elisabeth Wicke: Eigentlich war meine Situation damals ähnlich wie es nun in der Nachbargemeinde Reuthe ist. Mein Vorgänger hat eine Entscheidung gefällt, die nicht alle gut geheißen haben. Das hat bei der Gemeinderatswahl 2005 offensichtlich dazu geführt, dass die Bürger jemand anderen in diesem Amt sehen wollten. Ich war in Mellau bereits fünf Jahre Vizebürgermeisterin. Schon bei der Vorwahl hat sich gezeigt, dass ich die Favoritin bin, da ich die meisten Stimmen bekommen habe. Bei der Bürgermeisterdirektwahl hatte ich am Ende sieben Stimmen mehr als die notwendigen 50 Prozent. Ich habe deshalb nicht gleich zugesagt, sondern zögerte, weil ich den Stimmenvorsprung doch recht knapp fand und ich überlegte, ob ich deswegen meinen Vorgänger, der ja schon viele Jahre in der Kommunalpolitik erfolgreich war, quasi „absägen“ soll. Außerdem stellte ich mir die Frage, ob ich wirklich meinen Beruf als Lehrerin aufgeben sollte. Ich war ja bei meinen Schülern beliebt und in meinem Job nicht unglücklich.
Was gab den Ausschlag, dass Sie sich dann doch für das Amt entschieden haben?
Ganz ehrlich? Es hat mich einfach gereizt und ich habe mir gedacht, dass es auch mit nur sieben Stimmen Vorsprung der Wille der Bürger ist, dass ich Bürgermeisterin werde. Mellau war 2005 in einer touristisch schwierigen Situation. Es gab laufend Rückgänge bei den Nächtigungen und das obwohl Mellau in den 80ern einer der bekanntesten Tourismusorte war. Ich hatte damals das Gefühl, dass man mehr für diesen Ort erreichen kann, wenn man das mit voller Kraft selbst macht. Außerdem bekam ich viel Zuspruch. Sogar die Mütter meiner Schülerinnen und Schüler haben mich ermutigt, das zu machen.
Als ich dann beim Bezirkshauptmann anrief, um zu sagen, dass ich mich dafür entschieden habe, das Amt trotz denkbar knapper Mehrheit anzutreten, erklärte mir dieser, dass ich mich mit der Einverständniserklärung, die man vor der Wahl abgibt, verpflichtet habe, das Wahlergebnis zu respektieren. Das heißt, ich hätte frühestens nach der Angelobung zur Bürgermeisterin wieder zurücktreten können.
Ich bin kein Freund der Quote, aber wenn die Chance da ist, muss man sie nutzen. Wenn die Menschen sehen, dass Frauen so ein Amt genauso gut wie Männer ausüben, dann wird das akzeptiert. Das sieht man ja schon daran, dass bei den letzten Gemeinderatswahlen Judith Bischof, die Listenneunte und zweite Frau auf der Einheitsliste, die meisten Vorzugsstimmen erhalten hat.
Hatten Sie Angst, dass Sie als Lehrerin nicht das nötige Fachwissen haben?
Natürlich. Aber ich dachte, man kann alles lernen und wenn man etwas nicht weiß, dann muss man fragen. So hatte ich als Lehrerin zum Beispiel vorher nie etwas mit dem Bauwesen zu tun. Das war ein schwieriges Terrain für mich, vor allem weil mein Vorgänger Baumeister und damit Spezialist war. Aber auch hier hab ich viel gefragt und inzwischen zehn Jahre Baugenehmigungen ohne größere Probleme erteilt.
Die nächtelangen Nachdenkprozesse, ob Entscheidungen richtig sind, hatte ich nur am Anfang. Dann kam das Hochwasser im August 2005. Da hatte ich nicht mehr viel Zeit zum Grübeln. Damals habe ich gelernt, dass man manchmal mutiger sein muss, als man eigentlich ist. Aber mich hat gerade beim Hochwasser auch beeindruckt, wie in so einer Notsituation das Dorf zusammenhält und wie die Strukturen ineinandergreifen. Da wächst man auch als Bürgermeisterin über sich hinaus. Diese engen Beziehungen, die ich damals zu Feuerwehr und Bergwacht aufgebaut habe, halten bis heute. Man merkt, dass es in einer Gemeinde letztendlich nur um Teamwork geht. Der Bürgermeister alleine kann gar nichts. Der Bürgermeister muss es schaffen, die Leute zu motivieren, auf ein Ziel auszurichten und alles zusammenzuhalten.
Wie sind Sie zur Gemeindepolitik gekommen?
Ironischerweise hat mich eigentlich mein Vorgänger zur Gemeindepolitik gebracht. Er hat einen Abend „Frauen in der Gemeindepolitik“ organisiert und mich gefragt, ob ich moderieren möchte. Damals war auch die Bezauer Bürgermeisterin Anna Franz als erste Bürgermeister Vorarlbergs eingeladen. Ich hatte zu dem Zeitpunkt noch keine Ambitionen in die Gemeindepolitik zu gehen. Diesen Abend habe ich aber offenbar so gut gemacht, dass ich bei der darauffolgenden Gemeinderats-Vorwahl auf den fünften Platz und bei der Hauptwahl auf den dritten Platz der Liste gerutscht bin. Aufgrund dieser Platzierung hat mich mein Vorgänger gefragt, ob ich Vizebürgermeisterin werden möchte. Und ich habe das Amt damals aus demselben Grund angenommen, wie ich später auch das Bürgermeisteramt angenommen habe: Ich habe mir gesagt, wenn ich als Frau diese Chance bekomme, dann muss ich sie nutzen.
Ihr Urgroßvater und Ihr Bruder waren schon Bürgermeister, Ihr Großvater und Vater im Gemeinderat. Liegt Ihnen die Kommunalpolitik im Blut?
Man kann schon sagen, dass ich aus einer politischen Familie stamme. Aber ich würde das weiter fassen: Ich komme aus einer für die Gemeinschaft engagierten Familie. Die politischen Ämter der Familienmitglieder haben sich eher aus ehrenamtlichem Engagement ergeben. Diese Prinzipien und Werte bekommt man mit Sicherheit schon als Kind mit.
In Ihrem bisherigen Berufsleben waren Sie Lehrerin für Deutsch und Geschichte. Was haben Sie sich aus diesem Beruf für die Rolle als Politikerin mitgenommen?
Als erstes fällt mir da meine Schreibfähigkeit ein. Immer, wenn ich mich über etwas aufgeregt habe, hab ich geschrieben. Ich glaube, ich habe mittlerweile bei verschiedenen Stellen schon den Ruf, dass ich gerne Briefe schreibe und kampfeslustig bin. Im Hochwasserjahr ist zum Beispiel eine Firma aus Mellau abgewandert, da hab ich mich bei der betroffenen Firma, zwei Landesräten und beim Landeshauptmann brieflich beschwert. Der Landeshauptmann hat 50 Minuten für den Rückruf gebraucht, die Landesräte einen Tag und der Betroffene von der Firma hat sich nie bei mir gemeldet.
Als Lehrerin habe ich auch kein Problem damit, in einer Runde aufzustehen und etwas zu sagen. Man ist daran gewöhnt, Publikum zu haben. Ich hatte weder in der Schule und noch in der Gemeinde Autoritätsprobleme. Es kam vielleicht am Anfang meiner Bürgermeisterinnenkarriere einmal vor, dass ein paar Klienten gesagt haben, ob ich nicht jemanden schicken könne, der etwas von der Materie verstehe. Aber ich habe gleich gesagt, dass ich nun Bürgermeisterin bin und ich das mache. Aber auch in dem Fall hat das Hochwasser geholfen, weil die Leute gesehen haben, dass ich diese Situation meistern kann.
Die mit Abstand meisten Vorzugsstimmen hat Judith Bischof (199) bekommen – noch vor jenen Männern, die bei der Vorwahl auf die vordersten Plätzen kamen. Es wird trotzdem ein Mann dein Nachfolger?
Judith Bischof ist meine Nachbarin. Ich hätte gerne eine Frau als Nachfolgerin gehabt, aber sie meinte, sie könne das nicht mit ihren anderen Aufgaben vereinbaren. Man muss dazu sagen, dass sie in eine Landwirtschaft eingeheiratet hat, Mutter von drei Kindern ist und den Betrieb um Ferienwohnungen erweitert hat. Sie ist zudem im Pfarrgemeinderat aktiv. In ihrer momentanen Lebenssituation passt das Bürgermeisteramt einfach noch nicht so gut. Vielleicht wird das ja später einmal. Mir hat es auf jeden Fall gezeigt, dass die Mellauer nichts mehr gegen eine Frau „an der Macht“ haben.
Wo sehen Sie die Vorzüge der Mehrheitswahl bzw. von Einheitslisten?
Gerade in den kleinen Einheiten bin ich ein Fan der Mehrheitswahl. Wir wollen die Bundes- und Landespolitik aus der Gemeinde draußen halten. Bei der letzten Wahl haben wir das so gemacht. Dieses Mal haben wir eine Vorwahl gebraucht, weil niemand von vornherein bereit war, sich als Bürgermeisterkandidat zu deklarieren. Letzendlich wird nun der Listenerste Tobias Bischofberger nun auch Bürgermeister. In unseren Gemeindevertretungen ist es üblich, dass trotz Einheitsliste alle politischen Farben vertreten sind, aber es geht stets um die Sache und nicht um die Parteifarbe. Das finde ich wichtig. Gerade in den Gemeinden bis 2.000 Einwohnern, wo jeder jeden kennt, ist das doch eine gute Sache.
Was hat es Ihnen bedeutet, auch im Vorstand des Vorarlberger Gemeindeverbandes und des Österreichischen Gemeindebundes zu sein?
Manche überörtliche Verpflichtungen verdanke ich meinem Frausein. Also in den Vorstand des Gemeindeverbandes wäre ich wahrscheinlich als Mann nicht gekommen. Aber ich fand meine Tätigkeit als sehr interessant und auch für die Gemeinde wichtig. Man bekam wichtige Informationen aus erster Hand und hatte auch die Möglichkeit, eigene Vorschläge einzubringen. Dass ich andere Posten wie zum Beispiel jenen der Obfrau der Musikschule Bregenzerwald angeboten bekommen habe, habe ich als Auszeichnung empfunden. Diese überörtlichen Funktionen machen viel Arbeit, sind aber ungemein befruchtend für die eigene Tätigkeit vor Ort. Meinen neu gewählten Kolleginnen möchte ich den Rat geben, sich gut zu vernetzen. Man glaubt gar nicht, wie wichtig das ist. Manche Dinge kann man überörtlich einfach leichter lösen.
Konnten Sie Ihre Vision verwirklichen?
Dazu muss ich sagen, dass zu meiner Vision, Mellau im Tourismus besser zu positionieren, 2005 noch der Hochwasserschutz dazu gekommen ist, für den im letzten Jahrzehnt fast unsere ganzen frei verfügbaren Mittel verwendet wurden. Dafür sind wir seit 2012 nach menschlichem Ermessen wieder sicher vor größeren Hochwässern. Mit der Verbindung der Skigebiete Mellau und Damüls ist ein wichtiger touristischer Meilenstein geschafft worden. Und da unsere Skipisten in 1.400 Metern Höhe sind, glaube ich auch an eine gewisse Schneesicherheit in den kommenden Jahrzehnten. Ein noch nicht ganz abgeschlossenes Projekt ist die Zentrumsgestaltung mit neuem Kindergarten und Mehrzwecksaal, die nun von meinem Nachfolger weiter vorangetrieben werden muss.
Was gab den Ausschlag, dass Sie nun nicht mehr Bürgermeisterin sein möchten?
Dass ich heuer 63 werde und in meinem erlernten Beruf in Pension gegangen bin. Die Perioden als Bürgermeisterin waren ein Lebensabschnitt. Nun ist es einfach an der Zeit, es etwas ruhiger anzugehen und etwas Neues zu machen. Ich möchte in der Heimatgeschichte forschen und mich intensiv um die Musikschule Bregenzerwald kümmern.