4.10.2017 – Die Anzeigen gegen Bürgermeister und Mandatare nehmen zu, die Haftungsfälle ebenso. Gemeindebund und Justiz diskutierten im Zuge einer Enquete die vielen Gesichter des Problems.
Ein funktionierender Rechtsstaat ist ein wesentliches Element einer modernen Demokratie. Nimmt die Regelungswut jedoch zu, wird dem einzelnen Bürger jegliche Eigenverantwortung abgesprochen und rechtliche Verfahren nehmen Überhand. Urteile, bei denen aus Sicht der Gemeinden, den Bürgern die Anwendung des Hausverstandes abgesprochen wird, gibt es in den letzten Jahren genügend. Statt Meinungsverschiedenheiten auszutragen, wird immer öfter auf Anzeigen oder andere Rechtsmittel zurückgegriffen.
Für Gemeindebund-Präsident Alfred Riedl ist das eine besorgniserregende Entwicklung: „Bürgermeister sind besonders stark betroffen, da sie am bürgernächsten Entscheidungen treffen müssen. Anzeigen gehören mittlerweile fast zum Alltag. Wir setzen uns dafür ein, dass das Amt auch für zukünftige Generationen attraktiv bleibt.“ Riedl sprach dieses Thema auch bei einem Treffen mit Justizminister Wolfgang Brandstetter an, der dafür, da er das Problem aus seinem früheren Beruf als Anwalt kennt, viel Verständnis zeigte. Als Folge dieses Gesprächs organisierten Gemeindebund und Justizministerium am 3. Oktober 2017 eine Enquete, bei der betroffene Gemeindevertreter sowie Staatsanwälte und Richter das Problem gemeinsam diskutierten. „Ich bin dankbar, dass wir diesen Gedankenaustausch zusammengebracht haben“, so Riedl.
Mehr Schutz gegen digitale Beschimpfungen gefordert
Christian Pilnacek, Sektionschef für Strafrecht im Justizministerium, betonte, dass nicht nur Bürgermeister mit mehr Anzeigen konfrontiert sind, sondern auch die Mitarbeiter in der Justiz: „Diffamierungen über die sozialen Medien nehmen allgemein zu.“ Für den Bereich der Justiz berichtete er über Anstrengungen, den Mitarbeitern einen höheren Schutz zukommen zu lassen. Aus Sicht der Gemeinden müsste dieses Problem generell in den Griff bekommen werden. „Persönliche Angriffe in Facebook und Co muss nicht nur der Betroffene, sondern die ganze Familie aushalten“, erzählte Riedl aus seiner eigenen Erfahrung.
In seinem Vortrag zur strafrechtlichten Verantwortung machte Pilnacek deutlich, dass nicht jedes pflichtwidrige Verhalten per se ein strafrechtlich relevanter Missbrauch der Amtsgewalt ist. Für den Tatbestand des Amtsmissbrauchs muss der Missbrauch der Befugnis wissentlich passieren. Das umfasst allerdings auch die gezielte Untätigkeit und die Vorerledigung einer Rechtshandlung. „Erlangt der Bürgermeister Kenntnis von Fehlern in der Verwaltung, muss er handeln“, so Pilnacek. Er stellte aber auch klar, dass die Staatsanwälte nur gravierendes Fehlverhalten verfolgen und mit Augenmaß vorgegangen wird. „Die Staatsanwaltschaft ist nicht der Feind, sondern es ist unsere Aufgabe, zu untersuchen und aufzuklären.“
Zivilrechtliche Haftung richtet sich meist gegen die Gemeinde
Während sich im Strafrecht die Person verantworten muss, steht im Zivilrecht oft die Gemeinde im Mittelpunkt der gerichtlichen Verfahren. Die Haftung teilt sich hier in die Amtshaftung bei Schäden, die einem anderen durch ein Organ in Vollziehung der Gesetze (z.B.: Bau-, Raumordnungs- oder Gebührensachen) rechtswidrig und schuldhaft zugefügt werden, und jene Haftung, die die Gemeinde in ihrer privatwirtschaftlichen Tätigkeit trägt. „Die Haftung in der Privatwirtschaftsverwaltung ist so umfangreich wie die privatwirtschaftliche Tätigkeit der Gemeinde selbst. Darunter fallen beispielsweise die Wegehalterhaftung, die Haftung für Bäume oder die Verletzung von Schutz- und Sorgfaltspflichten“, so Georg Kathrein, Sektionschef für Zivilrecht im Justizministerium.
Er räumte in seinem Vortrag ein, dass gerade die höchstgerichtlichen Entscheidungen auf die Größe der Gemeinden Rücksicht nehmen. Kathrein war sich aber auch der Schwierigkeiten bewusst: „Ich weiß aber, dass es für die Gemeinden oft in der Praxis schwierig ist, weil es keine Faustregeln gibt.“ Er empfahl, dass sich Gemeinden bei kniffligen Fragen rechtlichen Rat einholen und entsprechende Versicherungen abschließen.
Große Regelungswut erschwert den Bürgermeister-Alltag
Salzburgs Landesgeschäftsführer Martin Huber zeigte in seinem Vortrag die mannigfaltigen Anforderungen auf: „Bürgermeister haben eine gewisse Autonomie, aber auch eine große Verantwortung. Sie sind für alles, was den Bürger in seiner unmittelbaren Lebenswelt betrifft, zuständig. Das reicht von Baubewilligungsansuchen über Trinkwasserbefunde oder das Verbot von Laubbläsern bis hin zur Bewilligung von Plakatständern.“ Die steigende Gesetzesflut, die fehlende juristische Eindeutigkeit, die bei der Vollziehung aber essentiell wäre, und die höhere Bereitschaft, die Verantwortlichen bei vagen oder sogar haltlosen Verdachtsmomenten vor allem bei der Aufsichtsbehörde anzuzeigen, machen es immer schwieriger, das Amt auszuüben. Eine immer größere Herausforderung wird auch der Umgang mit Wutbürgern. „Unsere Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sind durch die örtliche Nähe für ihre Bürger nicht nur greifbar im positiven Sinne, sondern auch besonders angreifbar“, führte Huber aus.
Handeln auf vielen Ebenen notwendig
In der anschließenden Diskussion wurde deutlich, dass das bestehende Problem von vielen Seiten angegangen werden muss. Vor allem wird es Veränderungen in den Gesetzen brauchen. Das umfasst zum einen den besseren Schutz vor Diffamierungen, aber auch eine bessere Anwendbarkeit der Gesetze, mit denen die Gemeinden täglich arbeiten müssen. Zudem braucht es auf landesgesetzlicher Ebene eine größere Sensibilität dafür, dass Gesetze in der Praxis ausführbar bleiben und den Gemeinden eine größere Freiheit für praxisnahes Handeln eingeräumt wird. Unbestritten bleibt: Dort wo es gravierendes Fehlverhalten gibt, muss die Justiz eingreifen.
Es braucht gleichzeitig wirksame Schritte, um die Regelungswut in den Griff zu bekommen. Ein wichtiger Ansatz dabei ist, dass die Normierung, die ohne Einbeziehung der Praktiker aus den Gemeinden entsteht, eingedämmt werden muss. Die Normen sind erstens schwer zugänglich und mittlerweile so umfangreich, dass selbst Experten den Überblick verlieren.
Der Gemeindebund-Präsident resümiert: „Wir alle wollen keinen Staat, der seine Bürger in Watte packt. Daher wird es eine Kraftanstrengung vieler Partner brauchen, um die Entwicklung zu stoppen. Diese Enquete war der Startschuss dazu.“