Die Erweiterung des europäischen Katastrophenschutzes ist ein Beispiel dafür, welche Aufgaben in Zukunft besser auf europäischer Ebene gelöst werden sollten. Eine Einigung steht allerdings noch nicht bevor.
Seit gut einem Jahr läuft die Debatte über die Zukunft Europas und darüber, welche Aufgaben besser auf europäischer Ebene erledigt werden sollen und welche im Sinne des Subsidiaritätsprinzips in den Mitgliedstaaten. Die Taskforce Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit wurde eingerichtet und vielerorts wird darüber nachgedacht, wie eine Kompetenzbereinigung aussehen könnte. In Wahrheit werden diese Diskussionen aber schnell an ihre Grenzen stoßen, denn die Wahrscheinlichkeit einer Vertragsänderung ist äußerst gering.
Einigung wird immer mühsamer
Das informelle Motto der EU, das vom EU-Verfassungskonvent, also noch vor der großen Erweiterung im Jahr 2004 geprägt wurde beschreibt die Herausforderung einer derartigen Übung gut: „In Vielfalt geeint.“ Derzeit steht eher Vielfalt auf dem Programm, die Einigung in haarigen Fragen wird immer mühsamer. Dabei ist keineswegs nur an die großen politischen Diskussionen wie die Revision der Dublin-Verordnung, die Wahrung der Rechtsstaatlichkeit, die Weiterentwicklung der Währungsunion oder den mehrjährigen Finanzrahmen zu denken.
Auch ein kompetenzrechtlicher Nebenschauplatz wie der Katastrophenschutz kann dafür herhalten. Für den Katastrophenschutz sind in erster Linie die Mitgliedstaaten verantwortlich, die Union kann Maßnahmen unterstützen, koordinieren und ergänzen. Im Zuge der großen Waldbrände letzten Sommer zeigte sich jedoch, dass die gegenseitige Unterstützung der Mitgliedstaaten, koordiniert durch die EU, an ihre Grenzen stößt, wenn mehrere Staaten mit denselben Problemen kämpfen. Die in Portugal dringend benötigten und von Frankreich grundsätzlich zugesagten Löschflugzeuge wurden zuerst in Frankreich selbst benötigt, danach dauerte auch die Überstellung der Flugzeuge einige Tage. Von 17 Hilfsansuchen konnten nur zehn beantwortet werden.
Bedrohung der eigenen Systeme?
Die Kommission nahm dies zum Anlass, einen Vorschlag für eine Erweiterung des europäischen Katastrophenschutzes vorzulegen. Denn potenzieller Eigenbedarf, Verwaltungsaufwand und notwendige Transportzeiten sind schlechte Argumente, wenn Menschenleben auf dem Spiel stehen und der Ruf nach Beistand unerträglich wird.
Was aber von den einen positiv aufgenommen wurde, sehen andere als Bedrohung der eigenen, gut funktionierenden Systeme. Gerade aus Deutschland und Österreich kamen sehr kritische Stimmen zur vorgeschlagenen Revision des Europäischen Katastrophenschutzmanagements. Rein rechtlich ist die Argumentation stimmig: Die EU darf lediglich unterstützend tätig werden, Katastrophenschutz ist Aufgabe der Mitgliedstaaten. Diese sind für die Bereitstellung der nötigen Ressourcen verantwortlich, die EU soll sich darauf beschränken, Hilfeleistung im Bedarfsfall zu koordinieren. Dennoch kann auch die beste Vorsorge an ihre Grenzen stoßen, Katastrophen haben es an sich, unvorhergesehen aufzutreten und katastrophale, also kaum zu bewältigende Ausmaße anzunehmen. Üblicherweise wird in solchen Situationen der Ruf nach der EU lauter.
rescEU soll bei Katastrophen helfen
Worum geht es nun aber konkret? Die Kommission schlägt den Aufbau eines eigenen europäischen Katastrophenschutzmechanismus, rescEU genannt, vor. Dieser soll etwa Löschflugzeuge, Hochleistungspumpen, Feldlazarette u.ä. umfassen, die aus EU-Mitteln erworben, gemietet oder geleast, in Brüssel verwaltet und auf Abruf bereitgestellt werden.
Zusätzlich zu dieser europäischen Infrastruktur soll auch die Koordinierung der Tätigkeiten der Mitgliedstaaten verbessert werden, indem der Katastrophenschutzpool der EU ausgebaut wird. In diesen Pool melden die Mitgliedstaaten diverse Möglichkeiten zur Hilfestellung, wie etwa Gerät und Personal für die Bekämpfung von Waldbränden oder Bergungs- und Rettungseinsätze, aber auch die Zurverfügungstellung mobiler Labors zur Feststellung chemischer, biologischer, radiologischer oder nuklearer Gefahren. Die Kofinanzierungssätze für Aktivitäten aus dem Pool sollen wesentlich erhöht und erweitert werden, im Gegenzug sollen Einsatzmittel außerhalb des Pools gar keine Unterstützung mehr erhalten.
EU-Gesetzgeber soll pragmatische Lösung finden
Soweit die grundsätzlich Intention: Eigenes Gerät auf europäischer Ebene, bessere Planbarkeit der zugesagten Hilfe, größere finanzielle Unterstützung derer, die Hilfe zur Verfügung stellen.
Kritisch zu hinterfragen ist allerdings die Streichung des Wortes „freiwillig“ im Zusammenhang mit dem Katastrophenschutzpool: Laut Art. 11 sollen die von der Kommission vorgegebenen und auch kontrollierten Kapazitätsziele von den Mitgliedstaaten durch Bereithaltung der Bewältigungskapazitäten erreicht werden. Sind die Ziele nicht erreicht, „ermutigt“ die Kommission die Mitgliedstaaten, die Lücken zu schließen. Auch dass die zugesagten Kapazitäten nicht von den Mitgliedstaaten freigegeben werden müssen, sondern im Fall begründeten Eigenbedarfs zurückgehalten bzw. abgezogen werden können, scheint realitätsfern.
Genau hier setzt die österreichische Kritik an, denn die verpflichtende Vorabmeldung von Kapazitäten ist kaum mit dem freiwilligen Katastrophenschutz vereinbar. Im aktuellen System (s.u.) können Staaten Hilfe im Bedarfsfall zusagen und erhalten auch für diese spontane Unterstützung einen Beitrag zu den Transportkosten. Laut dem neuen Kommissionsvorschlag würde ad hoc-Hilfe jegliche finanzielle Unterstützung aus dem EU-Budget verlieren. Doch auch wenn die Kommission übers Ziel hinausschießt darf nicht vergessen werden, dass nun der EU-Gesetzgeber am Zug ist um eine pragmatische Lösung zu finden.
Tatsächlich gibt es bereits eine „Europäische Notfallbewältigungskapazität“, auch Freiwilliger Pool genannt. Dieser koordiniert die Zusagen der Mitgliedstaaten zur gegenseitigen Hilfeleistung. Einsatzgebiete sind u.a. Waldbrände, Erdbeben, Lawinenkatastrophen, Hochwasser. Aus dem EU-Budget werden v.a. Transportkosten finanziert, die jedoch meist nur einen Bruchteil der tatsächlichen Kosten ausmachen. Werden Menschen und Material im eigenen Land benötigt, stößt die Solidarität an ihre Grenzen.
Europäische Integration weiterbringen
Fazit: Es ist Aufgabe der Kommission, die europäische Integration weiter zu bringen. Ihre Vorschläge sind aus Sicht vieler Mitgliedstaaten oft zu weitgehend, doch dies ist Teil des Prozesses, die Kommission bildet mit ihrem Vorschlagsrecht nur die Spitze des Gesetzgebungsprozesses. Mitgliedstaaten (Rat) und Bürgervertreter (Parlament) haben ausreichend Gelegenheit, die Vorschläge der Kommission zu verbessern und abzuändern, hier steht man erst am Anfang.
Insofern ist eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Vorschlag der Kommission und dem bereits vorliegenden Berichtsentwurf des EU-Parlaments ratsam. Bringt man entsprechende Expertise in den Gesetzgebungsprozess ein, gelingt es auch, Änderungsvorschläge durchzubringen. Die Frist zur Einreichung von Änderungsanträgen im zuständigen Ausschuss für Umweltfragen (ENVI) endet Anfang April, die österreichischen Abgeordneten Karin Kadenbach und Lukas Mandl haben erfahrungsgemäß ein offenes Ohr für kommunale Anliegen.