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Digitales Europa: Sind die neuen Regeln streng genug?

Jetzt beginnt sie, die digitale Dekade. Dabei liegen die Vorschläge für Digital Services Act, Digital Markets Act und Data Governance Act schon seit geraumer Zeit auf dem Tisch. Dazu kommt die Konsultation über die Digitalabgabe und seit März die digitale Dekade bis 2030. Es könnte einem schwindelig werden vor lauter digital. Doch dafür ist keine Zeit, Europa muss aufschließen und die digitale Agenda weiter vorantreiben.

Die aktuellen Vorschläge stellen jedenfalls eine große Herausforderung dar und erfordern einiges an Expertenwissen, will man sie in ihrem Gesamtumfang verstehen. Wenn man bedenkt, dass die großen Digitalkonzerne im letzten Jahr laut Transparency International allein in Brüssel 19 Millionen Euro für Lobbying ausgegeben haben, kann man sich ausrechnen, wie viel potenziell auf dem Spiel steht. Aber die Corona-Krise hat möglicherweise dazu beigetragen, bei der Regulierung des Digitalen einen europäischeren Weg einzuschlagen und sich von den Vorstellungen und Wünschen der Tech-Giganten zu emanzipieren.

Digitale Dienstleistungen

Die meiste Aufmerksamkeit von den Kommissionsvorschlägen bekommt die Digitale Dienstleistungsakte oder Digital Services Act (DSA). Laut Kommissarin Vestager kommt der DSA einer der Einführung von Verkehrsampeln vergleichbaren Revolution gleich. Wenn man beim Ampelvergleich bleibt, passt auch die Kritik vieler NGOs und Gemeinwohlvertreter, denen die Vorschläge der Kommission nicht weit genug gehen und die auf einer richtigen Straßenverkehrsordnung bestehen. Tatsächlich werden viele Erwartungen, auch der kommunalen Familie, enttäuscht.

Schon seit mehreren Jahren wird die Reform der E-Commerce-Richtlinie intensiv diskutiert, vor allem die Plattformwirtschaft stand im Fokus. Diese genießt durch ein unpassendes Regelwerk zahlreiche Wettbewerbsvorteile, trägt zum Niedergang traditioneller Betriebe bei und respektiert Arbeitnehmerschutz, Konsumentenschutz, Herstellerverantwortung, Steuer- und Abgabenrecht wenn überhaupt, dann auf freiwilliger Basis. So die Kritik.

Erleichterungen für kleine und mittlere Plattformen bzw. KMU

Der nun diskutierte Kommissionsvorschlag ist ein reiner Ordnungsrahmen, der gleiche Regeln für alle digitalen Dienstleister aufstellt und sie etwa verpflichtet, Geschäftspartner zu kennen oder die Gründe für personalisierte Werbung offenzulegen. Erleichterungen für kleine und mittlere Plattformen bzw. KMU sollen der europäischen Digitalwirtschaft zugutekommen, die Plattformwirtschaft mit ihren zahlreichen sektorübergreifenden Auswirkungen wird aber nicht eigens geregelt.

Das Aussparen der Plattformwirtschaft, deren Auswirkungen in den Gemeinden ganz konkret zu spüren sind, macht die Identifikation von Anknüpfungspunkten für kommunales Lobbying nicht einfacher.

Wahrscheinlich muss man vor allem bei dem ansetzen, worüber der Richtlinienvorschlag nicht spricht. Das heißt: klare, neue Regeln für Haftungsfragen, den gleichberechtigten Zugang der öffentlichen Hand zu Unternehmensdaten, wenn dies für die Kontrolle gesetzeskonformen Handels oder die Erfüllung von Gemeinwohlaufträgen nötig ist, und taugliche Definitionen für Aufgabenbereiche und Handlungsspielräume der zuständigen Behörden.

Große im Visier

Die ganz großen Plattformen werden übrigens im Digital Markets Act ins Visier genommen. Zu diesen zentralen Diensten gehören: Online-Vermittlungsdienste wie Marktplätze oder Mobilitätsvermittler, Suchmaschinen, soziale Netzwerke, Video-Sharing-Plattform-Dienste, interpersonelle Kommunikationsdienste, Betriebssysteme, Cloud-Dienste und Werbedienste.

Unlautere Geschäftspraktiken dieser Gatekeeper, wie die Bevorzugung eigener Angebote gegenüber jenen von Mitbewerbern, sind abzustellen, kleinere gewerbliche Nutzer sollen gestärkt werden und etwa Zugang zu den durch ihre Angebote generierten Daten erhalten. Auch Konsumentenrechte stehen im Fokus, d. h., auf den ersten Blick gibt es wohl keine kommunalen Anknüpfungspunkte. Sag aber niemals nie.

Personenbezogene Daten als Handelsware?

Jedenfalls wichtig für die Gemeinden ist der Data Governance Act, auf Deutsch Verordnung über eine europäische Daten-Governance. Auch hier bleibt dem Generalisten einiges unklar. Sicher ist aber, dass sich dieser Vorschlag an die öffentliche Hand richtet und auf jene Daten abzielt, die noch nicht von anderen einschlägigen Richtlinien wie INSPIRE oder PSI erfasst sind. Um den europäischen Datenraum und die Datenwirtschaft zu stärken, soll der Weg freigemacht werden für den Handel mit anonymisierten bzw. pseudonymisierten personenbezogenen und sensiblen Daten.

Zwar gibt es im Gegensatz zu INSPIRE oder PSI keine Verpflichtung, einen Datenzugang zur Wiederverwendung zu schaffen. Es ist aber anzunehmen, dass Interesse und Nachfrage ausreichend Druck auf die zuständigen Behörden ausüben werden.  Wie es sich aber mit der Datensicherheit von an Drittstaaten übermittelten Daten oder der möglichen Verschneidung und Re-Personalisierung anonymisierter Daten verhält, zählt noch zu den Unbekannten.

Auswirkungen auf Gemeinden

Die Gemeinden verwalten nur wenige derartige Daten selbst, Grundbuch oder Adressregister sind bereits jetzt zugänglich. Dennoch stellt sich die Frage, ob z. B. die diskutierte Gebührenregelung ausreichend ist und welche zusätzlichen Anforderungen etwa im Bereich der Anonymisierung auf die zuständigen Stellen zukommen. Auch Haftungsfragen sind zu berücksichtigen: Wer ist für die Verlässlichkeit und Aktualität gehandelter Daten verantwortlich?

Digitale Agenda, digitale Dekade, digitaler Kompass – alles ist miteinander verwoben. Dazu kommen die traditionellen Politikbereiche wie Binnenmarkt oder Wettbewerbsrecht, d. h., die getrennte Behandlung erleichtert es nicht gerade, einen Überblick zu behalten.

Wichtig wäre es, mit den Endprodukten die europäische Wirtschaft und den „European way of life“ zu stärken. Daher können Steuer- und Gebührenfragen nicht allein im Rahmen der Digitalabgabe behandelt werden – fairer Wettbewerb und Steuergerechtigkeit gehören zusammen. Wir wissen natürlich, dass Steuerfragen in der EU sehr delikat sind, andererseits preschen immer mehr Länder alleine vor: Österreich mit der Unterwerfung von Plattformen unter das Umsatzsteuergesetz, Frankreich mit der Werbeabgabe und zuletzt Spanien mit der arbeitsrechtlichen Anerkennung und Gleichstellung von Plattformbeschäftigten.

Das heißt, selbst wenn die öffentliche Hand in den Vorschlägen der EU-Kommission nur als Nebendarsteller auftritt, spielt sie doch eine tragende Rolle. Die schon umgesetzten nationalen Regeln werden in den EU-Gesetzgebungsprozess einfließen – am Ende wird sich zeigen, was europaweit konsensfähig ist.

Bisherige Richtlinien nicht mehr zeitgemäß

Dass etwas getan werden muss, liegt auf der Hand. Die E-Commerce-Richtlinie stammt aus dem Jahr 2000, einer Zeit vor Social Media und dem Boom der Plattformwirtschaft. Sie bietet keine Handhabe für aktuelle Herausforderungen. Die Digitalwirtschaft entscheidet in vielen Bereichen eigenmächtig, siehe die Reaktionen der Social-Media-Kanäle auf Donald Trump oder den Umgang mit Arbeitnehmern bei Fahrdienstleistern oder Zustelldiensten.

Daniela Fraiß

Zur Autorin: Daniela Fraiss ist Leiterin des Brüsseler Büros des Österreichischen Gemeindebundes.