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Bürgermeisterinnen brauchen “Mut”

Ihre Schwangerschaft wurde 2011 österreichweit thematisiert: St. Valentins Bürgermeisterin Kerstin Suchan-Mayr bekam im März 2012 einen gesunden Bub. Die sozialrechtlichen Gesetze Österreichs sehen aber nicht vor, dass eine Bürgermeisterin im Amt ein Kind bekommt. Mutterschutz für eine Bürgermeisterin? Ein Fremdwort. Kerstin Suchan-Mayr hat inzwischen geheiratet und die Herausforderung von Bürgermeisterinnen-Amt und Familie erfolgreich gemeistert. Ihr Sohn Martin hat sich von Beginn an auf die Situation eingestellt. Es ist das „brave Kind“ geworden, das sich Suchan-Mayr beim Kommunalnet-Interview im Jahr 2011 gewünscht hat. Vier Jahre später bereut sie ihre Entscheidung, beides unter einen Hut bringen zu wollen, nicht. Ein zweites Kind möchte sie aber aus Gründen der noch schwierigeren Vereinbarkeit auch nicht bekommen. Ein Gespräch mit Redakteurin Carina Rumpold über das neue Leben der „Mama Bürgermeisterin“.

Gemeindebund: 2011 die Schwangerschaft: Wie ist Ihr ganz persönliches Resümee für diese Zeit?

Suchan-Mayr: Ich habe noch am letzten Tag der Schwangerschaft Termine wahrgenommen und drei Wochen nach der Geburt wieder gearbeitet. Es war alles eine Sache der Einteilung und ich muss auch dazu sagen, dass ich auf die große Unterstützung meiner Familie und meines Vizebürgermeisters zählen konnte. Grundsätzlich hat es für mich soweit gepasst. Es ist ein Job, den ich mir  trotz der vielen und großen Aufgaben variabel einteilen kann. Mein Sohn war anfangs immer bei mir in der Gemeindestube. Danach haben wir das familiär ganz gut abgedeckt. Seit Dezember 2013 geht er am Vormittag in eine Kleinkinderbetreuungseinrichtung. Das ist für mich persönlich eine ganz interessante Entwicklung, weil ich ja beruflich aus dem Bereich komme. Eines der ersten großen Vorhaben, die ich als Stadträtin umgesetzt habe, war der Ausbau der Kinderbetreuungseinrichtungen – allen voran, die Schaffung einer Kleinkindbetreuung. Damals habe ich selbst noch nicht gewusst, dass ich das selbst einige Jahre später nutzen werde.

Das Ganze ist auch jetzt, wo Martin schon größer ist, durchaus immer noch anstrengend. Es ist jede Woche eine Herausforderung, die Termine immer unter einen Hut zu bringen. Gute Planung und Strukturierung sind die Grundvoraussetzungen. Aber ich hab den Schritt, ein Kind während meiner Zeit als Bürgermeisterin zu bekommen, auf keinen Fall bereut.

Wie wird das Dasein als berufstätige Mutter in der Bevölkerung aufgenommen?

Negative Meinungen in der Bevölkerung werden mir nicht zugetragen, eher das Positive. Es gibt immer wieder Menschen, die mich am Hauptplatz sehen, zu mir kommen und sagen, dass sie das toll finden, dass ich das alles unter einen Hut bringe. Ich denke mir immer: Jeder soll so leben, wie es für ihn passt. Ich glaube, dass es für unseren Sohn keine Nachteile gebracht hat. Dadurch, dass er gerade anfangs immer bei mir im Büro war, hat er sprachlich sehr schnell Fortschritte gemacht. Was er an sprachlicher Vielfalt gehört hat, hört wahrscheinlich sonst kein Kind. Durch diese Zeit geht er offen auf die Menschen zu. Er ist es gewohnt, viele Menschen um sich zu haben.

Wie sieht so ein typischer Tagesablauf von Kerstin Suchan heute aus?

Bis auf ein oder zwei Tage pro Woche gehe ich nicht vor neun Uhr ins Stadtamt. Da nehme ich mir in der Früh bewusst Zeit für Martin. Für den Vormittag bringe ich ihn ins Kinderhaus. Wenn in der Gemeinde nicht so viel los ist, nehme ich ihn auch mal ins Gemeindeamt mit wie früher. Am Vormittag hab ich dann meist Termine. Um 11.30 Uhr hole ich meinen Sohn meist selbst vom Kinderhaus ab, dann gehen wir beide zu einer seiner Großmütter, die für uns kochen. Das ist für ihn und mich eine gewisse Auszeit. Den Nachmittag verbringt er dann bei seinen Großeltern und ich gehe wieder zurück ins Gemeindeamt. Am Abend passt meist mein Mann auf den Kleinen auf, wenn Sitzungen sind. Jetzt im Wahlkampf hatte mein Mann einige Wochen lang Kinderdienst. Da Martin am Nachmittag meist bis zu drei Stunden lang schläft, geht er dann nicht schon wieder um sieben Uhr schlafen, und ich kann ihn oft abends nach Sitzungsterminen noch selbst zu Bett bringen. 

Jammert er da nicht, wenn seine Mama am Nachmittag wieder weggeht?

In der Früh fragt er schon manchmal ob er nicht in die Arbeit der Mama mitkommen kann, aber er hat sehr früh gelernt, dass ich weggehe und wieder komme. Das hat er von Anfang an akzeptiert. 

Wieviel Zeit wenden Sie jetzt fürs Amt auf?

Schätzungsweise sicher über 60 Stunden in der Woche. Acht Stunden sind es sicher jeden Tag und was halt dann noch so dazu kommt. Schwer zu messen, weil kein Tag wie der andere ist und es ja in dem Sinn kein „freies“ Wochenende gibt.

Die Wahl im Jänner war der erste Wahlkampf, den Sie mit so einem kleinen Kind bestreiten mussten. Wie haben Sie das geschafft?

Das gemeinsame Frühstück war mir sehr wichtig. Wenn es sich ausgegangen ist, hab ich ihn auch abgeholt vom Kinderhaus. Ich hab auch versucht, dass ich am Abend früh genug daheim sein kann, damit ich ihn ins Bett bringen kann und bin dann wieder weggegangen. Ich habe mir auch bewusst Zwischenzeiten herausgenommen. Martin hat mich außerdem auf den Plakaten gesehen und sagte öfter: Mama du bist Bürgermeisterin und ich hab dich gewählt.

Klingt nach Stress rund um die Uhr.

Ja, es war schon sehr anstrengend. Ich sage aber immer, ich habe keinen Stress, ja, viel zu tun aber das mache ich gerne! Nach der Wahl haben wir uns bewusst eine Woche Urlaub gegönnt.

2011 hat Ihr Fall ja zu österreichweitem Interesse geführt. Hat sich dadurch in Niederösterreich etwas zum Positiven verändert?

Ich glaube nicht. Mir wäre keine wesentlichen Änderungen bekannt.

Was sollte aus Ihrer Sicht unbedingt gemacht werden, damit sich mehr jüngere Frauen dieses Amt zutrauen?

Die Unsicherheit ist groß. Für Frauen ist das Amt schon ein Risiko, man gibt seinen Job auf und ist für fünf Jahre gewählt. Wird man nicht wieder gewählt, hat man keine Aussicht, in den alten Job zurückzukehren, bekommt kein Arbeitslosengeld. Man muss auf jeden Fall mutig sein, wenn man Bürgermeisterin werden will. Aus meiner Sicht sollte es auch von der Wirtschaft her mehr Möglichkeiten geben, bei politischen Ämtern die Arbeitszeit zu reduzieren oder sich karenzieren zu lassen. Weil, wenn es keine Politiker mehr gibt, kann man das ganze System in Frage stellen. Die Entlohnung der Bürgermeister/innen ist für mich immer noch eine Frage, die thematisiert werden sollte. Ich habe mich immer noch nicht, wie viele andere Kollegen, bei der Gemeinde anstellen lassen, sondern lebe von meinem Bezug als Bürgermeisterin.

Sie haben in Ihrer eigenen Fraktion bei 21 Gemeinderäten nur acht Frauen. Woran scheitert es in Ihrer Gemeinde?

Im gesamten Gemeinderat sind es elf Frauen bei insgesamt 33 Gemeinderatsmitgliedern. Ich bemühe mich schon, dass wir immer wieder Frauen auf die Listen bringen. Bei der Gemeinderatswahl im Jänner haben wir zum Beispiel geschaut, dass an jeder dritten Stelle eine Frau gereiht ist. Aber zugegeben: Wir haben das Reißverschlusssystem nicht ganz geschafft. Oft ändert sich einfach die Lebenssituation der Gemeinderätinnen. So ist zum Beispiel eine Gemeinderätin wieder eingestiegen, nachdem sie ihr Mandat vor ein paar Jahren zurückgelegt hatte, um sich um ihre kleinen Kinder zu kümmern.

Was tun Sie in Ihrer Gemeinde, damit die Kommunalpolitik für Frauen attraktiver wird? Haben Sie Strukturen, wie die Termine für Gemeinderatssitzungen oder ähnliches verändert?

Wir haben eingeführt, mehrere Sitzungstermine an einem Abend zu machen, damit nicht jeder Abend belegt ist. Man muss sich trotzdem nach den Berufstätigen richten. Auch andere Öffnungszeiten in der Gemeinde haben wir ausprobiert. Das wurde aber nicht angenommen.

Würden Sie heute nochmal ein Kind im Amt bekommen?

Mein Mann und ich haben uns bewusst für den Weg mit einem Kind entschieden. Ein zweites möchte ich aber nicht mehr bekommen. Mit zwei Kindern wäre es sehr schwierig machbar. Grundsätzlich bereue ich den Schritt überhaupt nicht. Ein Kind macht das Leben ja besonders lebenswert und Martin ist für mich nicht mehr wegzudenken. Ich sage offen und ehrlich, dass es gut ist, dass wir das alles mit Kind, Familie und Beruf so schaffen, wie es nun ist. Ich bewundere viele Eltern – insbesondere berufstätige Mütter – mit zwei oder mehreren Kinder, die auch ihre Mehrfachbelastung und Familie und Beruf zu vereinen, gut schaffen.