Wir schaffen Heimat.
Wir gestalten Zukunft.

Pressekonferenz: Asylkrise ist ohne Einbindung der Gemeinden nicht bewältigbar

10.09.2015 – „Die Asylkrise ist nur unter möglichst großer Einbindung der Gemeinden und der Bevölkerung zu bewältigen“, sagt Gemeindebund-Präsident Helmut Mödlhammer zu Beginn des 62. Österreichischen Gemeindetages in Wien. „Das ist von großer Bedeutung, weil sonst die derzeit positive Stimmung in der Bevölkerung auch schnell wieder in Abwehrhaltungen kippen kann“, so Mödlhammer. Positiv äußerte sich Mödlhammer zur unglaublichen Hilfsbereitschaft, die in den letzten Tagen sichtbar geworden sei. „Ich sage aber auch sehr deutlich: Wer glaubt, dass auch nur eines der Probleme der letzten Monate damit gelöst ist, der irrt sich. Die Entscheidung der Bundesregierung, die Flüchtlinge aus Ungarn durchzulassen, ist eine große Geste gewesen, aber nicht mehr. Es war von Beginn an klar, dass der Großteil dieser Menschen nur durchreisen will und nicht in Österreich bleibt.“ Die Entscheidung der Regierung sei daher weitgehend risikolos gewesen.

Adäquate Unterbringung bleibt die größte Herausforderung

„Tatsache bleibt, dass es in Österreich jeden Tag noch mehrere hundert Asylanträge gibt. Wir haben also nach wie vor die Aufgabe, tausende Menschen in adäquater Form unterzubringen. Der Österreichische Gemeindebund, alle heimischen Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sind bereit, hier ihren Beitrag zu leisten, um eine menschenwürdige Unterbringung von Flüchtlingen sicherzustellen“, betonte Mödlhammer. „In den letzten Monaten sind ja auch tausende zusätzliche Quartiere bereitgestellt worden.“ Der Gemeindebund habe mehrfach und mit vielen Beispielen darauf hingewiesen, dass es mehrheitlich nicht an den Bürgermeister/innen scheitere, „sondern an zum Teil absurden bürokratischen Hürden, die sich da auftürmen“, so der Gemeindebund-Präsident. „In NÖ etwa muss man rund 60 Seiten Papierkrieg bewältigen, um Quartiere überhaupt anbieten zu können“, weiß Mödlhammer. „Bei der Bereitstellung privater Unterkünfte sind Wartezeiten von acht bis zehn Wochen, bis jemand das Quartier in Augenschein nimmt, die Regel und nicht die Ausnahme.“

Dazu kommen hohe baupolizeiliche Hürden und viele Vorschriften, die in einer Notsituation nicht zur schnellen Linderung führen können. „Wir haben immer noch viele, viele Rückmeldungen, wo nachweisbar gute Quartiere angeboten wurden und wegen der viel zu hohen Anforderungen abgelehnt oder nicht einmal angeschaut wurden“, kritisiert Mödlhammer. „So geht das nicht. In so einer Lage dürfen nicht die Paragraphenreiter das sagen haben. „Es sei daher gut, dass manche Bundesländer zumindest temporär die Bauvorschriften gelockert hätten.“

Skepsis bei Durchgriffsrecht des Bundes

Das Durchgriffsrecht des Bundes sieht Mödlhammer skeptisch: „Es ist völlig in Ordnung, dass der Bund damit auf eigene Liegenschaften oder ihm angebotene Flächen zugreifen kann. Daran haben wir nicht das Geringste auszusetzen. Problematisch wird es bei jenem Passus, in dem es heißt, dass „die Gemeinden Quartiere in einem Ausmaß von 1,5 Prozent der Bevölkerungszahl bereitzustellen haben“. Ich kann mir weder vorstellen, dass das verfassungsrechtlich hält, noch halte ich es für eine gute Idee, wenn man zu derartigen Zwangsmaßnahmen greift. Was soll denn eine Gemeinde tun, die selbst keine geeigneten Gebäude oder Quartiere hat? Wohnungen von Privaten mit Zwang requirieren? Wir können nicht in Eigentumsrechte anderer Menschen eingreifen.

Die Unterbringung von Flüchtlingen lasse sich nur dann organisieren, wenn man die Menschen mit einbeziehe. „Es gibt große Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung, das haben die letzten Tage sehr eindrucksvoll gezeigt. Zwangsmaßnahmen werden diese Hilfsbereitschaft aber nicht erhöhen sondern eher gefährden.“

Auch wenn der Bund auf eigenen oder privaten Flächen neue Quartiere schaffe, soll der/die Bürgermeisterin zumindest vorab darüber in Kenntnis gesetzt werden. „Wir haben schon wieder einen Fall (Steyregg), wo der Bürgermeister aus den Medien erfahren hat, dass 140 Menschen in seiner Gemeinde untergebracht werden sollen. Das ist  einfach keine partnerschaftliche Vorgangsweise“, so der Gemeindebund-Chef. „Bei einer Vorab-Information geht es ja nicht ums Verhindern, sondern ums gemeinsame Vorbereiten der Unterbringung.“

Auch bei der möglichen Erhöhung der Gemeindequote von 1,5 Prozent auf einen etwaig höheren Wert verlangt Mödlhammer die Einbindung des betroffenen Bürgermeisters. „Sonst legt der Bund im Alleingang höhere Quoten für einzelne Gemeinden fest, das kann auch keine erstrebenswerte Vorgangsweise sein.“

„Maßnahmen zur Integration anerkannter Flüchtlinge nicht vergessen“

Besonderes Augenmerk will Mödlhammer nun auch auf die nötigen Maßnahmen zur Integration anerkannter Flüchtlinge legen. „Da steht uns viel bevor, sowohl organisatorisch, als auch finanziell. Ich habe nicht den Eindruck, dass man sich derzeit ausreichend mit den dafür nötigen Maßnahmen befasst.“ Um tausende Menschen, die nach positiven Asylbescheiden vorwiegend in die Ballungsräume strömen, auch gut integrieren zu können, bedürfe es vieler Maßnahmen. „Da geht’s um den Spracherwerb, um die Erhebung der Ausbildungen, um Wohnraum, um Sozialleistungen, u.v.m.. Wir dürfen auf diese Maßnahmen nicht vergessen. Sie sind gerade in den ersten Monaten entscheidend, um eine nachhaltige Integration auf den Weg zu bringen.“

Finanzausgleich: Gemeindebund will mehr Gerechtigkeit

Auf der Agenda des Gemeindetages steht auch die finanzielle Ausstattung der Gemeinden. In  wenigen Wochen sollen die Detailverhandlungen für einen neuen Finanzausgleich beginnen, der die Mittelverteilung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden neu ordnen soll. Zuletzt war der Finanzausgleich von 2007 zwei Mal verlängert worden, ab 2017 soll eine neue Vereinbarung in Kraft treten. Der Vizepräsident des Gemeindebundes, Bgm. Alfred Riedl, sieht die Chance auf einen „großen Wurf“. „Das Ziel kann nicht sein, dass man nur an ein paar Schrauben dreht und sonst alles beim Alten bleibt. Wir streben eine echte Neuordnung an.“

Konkret will Riedl mehr Gerechtigkeit für kleinere Gemeinden im Finanzausgleich verankert wissen. „Der abgestufte Bevölkerungsschlüssel bevorzugt in großem Stil die Städte über 10.000 Einwohner. Sie bekommen pro Einwohner deutlich mehr aus dem Finanzausgleich als die kleinen Gemeinden.“ Diesen Verteilungsschlüssel hält Riedl für einen Anachronismus. „Der Ursprung liegt darin, dass man nach dem Krieg den Städten mehr Mittel zum Wiederaufbau zukommen lassen wollte, weil sie stärker zerstört waren. Ich gehe davon aus, dass dieser Wiederaufbau inzwischen abgeschlossen ist.“

Dem oft artikulierten Argument, wonach Städte mehr überörtliche Leistungen erbringen müssten, kann Riedl nur wenig abgewinnen. „Einerseits stimmt diese Rechnung nicht ganz, weil Städte dafür nicht so lange Wasser-, Kanal- oder Straßennetze brauchen. Andererseits sollen alle, die das behaupten, auch dazu sagen, dass Städte ja über Kommunal- und Grundsteuer deutlich mehr Einnahmen haben. Alle Pendlerarbeitsplätze sind in der jeweiligen Stadt gemeldet, dort wird daher auch die Kommunalsteuer abgeführt.“

Auch die Vielfalt der Transferströme ist Riedl ein Dorn im Auge. „Ich sehe wenig Sinn darin, dass man eine Verteilung über den Finanzausgleich macht und sich die Gebietskörperschaften dann zusätzlich noch Millionenbeträge gegenseitig hin und her überweisen. Es soll jede Ebene die Aufgaben erfüllen, die sie am besten leisten kann und dafür auch das Geld bekommen. Wenn diese Transferströme wegfallen, wird das eine merkbare Einsparung bringen.“

Voraussetzung dafür sei allerdings eine konsequente Aufgabenreform. „Bei Bildung oder Kinderbetreuung sind der Bund und alle Länder einzeln zuständig. Das ist ein Wirr-Warr, den selbst Experten kaum noch durchschauen. Und die Gemeinden sollen die jeweiligen Gesetzeslagen dann umsetzen und meistens auch bezahlen.“

Insgesamt, so Riedl, habe die kommunale Ebene in den letzten Jahren eine vorbildliche Budgetdisziplin gezeigt. „Wir sind mit beiden Füßen auf die Kostenbremse gestiegen, weil die Finanzkrise die Konsolidierung unserer Haushalte erzwungen hat. Seit drei Jahren erwirtschaften die Kommunen Überschüsse und übererfüllen damit auch den geschlossenen Stabilitätspakt, den wir vor einigen Jahren unterzeichnet haben. Ausreißer sind meist nur die großen Städte, die nach wie vor mit großen Finanzlücken zu kämpfen haben.“

Neues Haushaltsrecht kostet die Gemeinden 250 Millionen Euro

Der zweite Vizepräsident des Gemeindebundes, Bgm. Rupert Dworak, kritisiert die Debatte rund um das neue Haushaltsrecht. „Die EU verlangt von den Nationalstaaten vergleichbare Zahlen. Das ist in Ordnung und ein berechtigtes Anliegen. Die Gemeinden können diese Zahlen auch jederzeit liefern, das ist kein Problem. Der vollständige Umstieg auf die doppische Buchhaltung ist dafür aber weder nötig, noch sinnvoll. Eine Vermögensbewertung ist auch im bisherigen System möglich. Dazu kommt, dass die Bewertung von Straßen, Kindergärten oder Schulen und deren Ausweisung in einer Bilanz mir nur wenig sinnvoll erscheint. Das sind Einrichtungen der öffentlichen Hand, die keinen Marktwert haben, weil sie nicht verkäuflich sind.“

„Wir haben dem Finanzminister ein sehr gutes Modell angeboten, das alle nötigen Zahlen liefern kann. Aus unserer Sicht ist es nicht notwendig, dass jede kleine Gemeinde eine doppelte Buchhaltung führt und eine Bilanz erstellt. Selbst bei großen Einheiten scheint mir das fraglich. Die Bilanz des Bundes hat 15.000 Seiten, niemand kann mir erzählen, dass das lesbarer oder transparenter ist als vorher. Die Erstellung hat Millionen gekostet und war so komplex, dass die Experten des Finanzministeriums um einige Millionen Euro externe Berater hinzuziehen mussten.“

„Ich hoffe sehr, dass sich der Finanzminister hier vom Rechnungshof nicht vorführen lässt“, so Dworak. „Wir werden weiterhin darauf drängen, dass das Haushaltsrecht auch für kleinere Gemeinden administrierbar bleibt und nicht wochenlangen Personalaufwand nach sich zieht, wenn man ein Budget oder einen Rechnungsabschluss erstellen will. Die ausgegliederten Gesellschaften der Gemeinden werden von der Statistik Austria ohnehin seit einiger Zeit abgefragt, damit sind auch deren Schuldenstände transparent und in die Maastricht-Bewertung miteinbezogen.“

Der 62. Österreichische Gemeindetag in Wien wird heute eröffnet und dauert bis Freitag, den 11. September. Mehr als 2.000 Gemeindepolitiker/innen aus ganz Österreich daran teil. Bei der Haupttagung am Freitag werden u.a. Bundespräsident Dr. Heinz Fischer, Vizekanzler Dr. Reinhold Mitterlehner, LH Bgm. Michael Häupl und Gemeindebund-Präsident Helmut Mödlhammer zu den Delegierten sprechen.

Alle Veranstaltungen des Gemeindetages sind medienöffentlich. Pressekarten sind direkt am Messegelände verfügbar.