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Ybbsitz – die Gemeinde aus Stahl

15.2.2016 – Drei ausgewählte Gemeinden gewannen 2016 den Baukulturgemeinde-Preis, ausgeschrieben vom Verein zur Förderung von Baukultur in ländlichen Räumen (LandLuft) und dem Österreichischen Gemeindebund. Insgesamt hatten sich 23 Gemeinden beworben, die von der Jury vor Ort genauestens inspiziert wurden. Eine der Siegergemeinden war die 3.500-Einwohner Marktgemeinde Ybbsitz in Niederösterreich.

Was ist denn eigentlich „Baukultur“?

Doch was ist diese Baukultur, wofür Ybbsitz ausgezeichnet wurde? Das Wort „Kultur“ in der Baukultur zeigt schon, dass es sich hier um etwas Vielschichtiges handelt. Denn eine Kultur entsteht nicht einfach vom einen auf den anderen Tag. Baukultur bedeutet, dass es dabei ums Miteinander geht, um Kommunikation und Kreativität, eben um die Art, wie man ans „Bauen“ in der Gemeinde rangeht. Dabei sind auch Themen wie Nachhaltigkeit und Klimaschutz, Bürgerengagement und Flächenverbrauch wichtig.

Eisenherz

In Ybbsitz hat sich über viele Jahre eine solche Baukultur etabliert, die in dieser Zeit viele unterschiedliche Projekte hervorgebracht hat. Brücken wurden gebaut – nicht nur jene sechzehn Stahlbrücken, die über die zwei Flüsse in der Gemeinde führen, sondern auch Brücken zwischen Tradition und Zukunft, Kunst und Umweltschutz.

Schon 1988 gab es den ersten „Dorferneuerungsplan“. Mit Konzepten für Verkehr und Ortsentwicklung wollte man die Gemeinde wiederbeleben. In themenspezifischen Arbeitsgruppen diskutierten Bürger ihre Ideen. Einen richtigen Aufschwung erlebten die Pläne mit der Erstellung eines Leitbildes im Jahr 2000, bei der entschieden wurde, die eigene Geschichte als Schmiedegemeinde zum Herzstück des Konzepts zu machen. „Schmieden in Ybbsitz“ wurde 2010 gar zum UNESCO-immateriellen Kulturerbe erklärt.

Von der Vergangenheit bis in die Zukunft

„Die Motivation liegt in unserer Geschichte“, erzählt Bürgermeister Josef Hofmarcher. „Wir haben einen starken Bezug zum Handwerk und wollten das Wissen und die Technik auch an die Jugend weitergeben und weiterentwickeln. Wir dachten uns 'Schmiede werden heute nicht mehr gebraucht, was tun wir also?' So kommt man automatisch ins Zeitgemäße und mit der Architektur in Berührung.“

Das Gesamtwerk der letzten fünfzehn Jahre fällt in die Kategorien Revitalisierung, Bauen für's Zentrum, Mobilität, Infrastruktur und Energie. Mit neuen Buswartehäuschen, Radweg- und Wanderbrücken, Wohnbauten im Zentrum, einem Freibad und nicht zuletzt einer Photovoltaik-Anlage, die sich den natürlichen Gegebenheiten anpasst und an den Hang „schmiegt“, wird Ybbsitz ein 'Lebens'raum im eigentlichen Sinne.

Der Weg von Ybbsitz führt von der Schmiedemeile, auf der man das historische Handwerk kennenlernen kann, über FeRRum – das Schmiedemuseum – bis in die Zukunft, mit dem futuristischen Design der Kläranlage, welche das „eindeutig größte und gewagteste Projekt“ bisher war, so Hofmarcher.

Übermut tut auch mal gut

Doch das ist es, was für Hofmarcher Baukultur ausmacht: „Der Anlass für Projekte ist nicht die Gestaltung, sondern der Nutzen. Aber wenn es eine Notwendigkeit gibt, dann muss man sich auch trauen, etwas Besonderes daraus zu machen. Selbst wenn man nur eine Bank wo hinstellt, kann man sich etwas dazu überlegen: Wer setzt sich darauf? Was ist der Ausblick? Für so etwas braucht man kreative Köpfe und muss öfters etwas übermütig sein.“

Die Umsetzung von Projekten ist natürlich auch eine Herausforderung. Vor allem aus Arbeitsgruppen, in denen sich Bürger zu den anstehenden Themen zusammenfinden, kommen immer wieder neue Ideen. Doch da ambitionierte Vorhaben nicht unkritisiert bleiben, war es für Hausmarcher immer wichtig, ein gut eingespieltes Team von Leuten zu haben, die den Projekten Rückhalt geben und daran glauben. Solche Leute fanden sich im Zuge der langjährigen Zusammenarbeit und in den Arbeitsgruppen. Die Gemeinde fungiert als „Trägerorganisation“, die strukturiert, anleitet und unterstützt, wo es geht.

Viel bringt viel

Ein kreatives Umfeld, in dem sich Menschen verwirklichen können, lockt allerlei Leute an. So fand beispielsweise ein Philosoph aus Deutschland seine Heimat in Ybbsitz, nachdem er mit seinem Wahlberuf als Handwerker auf die Walz ging, die Welt bereiste und schlussendlich nicht mehr aus Niederösterreich fortwollte. Jetzt findet man ihn auf der „Schmiedemeile“.

Bei Workshops in alten Schmieden und Ateliers finden sich Gäste aus aller Welt, von Italien über die Ukraine bis zu den USA, die neue Paradigmen der Eisenverarbeitung erforschen, und beim letzten Schmiedefest „Ferraculum“ im Jahr 2014 zählte man 12.000 Besucher. Doch nicht nur das Eisen ist, was Ybbsitz weiterbringt. In den Arbeitsgruppen für eine „Gesunde Gemeinde“ und Soziales, die sich zum Verein „Agil“ zusammenschlossen, plant man derzeit gefördertes, begleitetes Wohnen mittem im Zentrum.

Um die viele Energie der engagierten Bürger zielgerichtet zusammenzuführen und zu fördern, will man bald wieder einen gesamtheitlichen Prozess – wie im Jahr 2000 – beginnen.  Denn die Gemeinde Ybbsitz hat noch viel vor. „Ein guter Handwerker denkt weiter, und denkt über Zusammenhänge nach. Dieses Verständnis wollen wir in unserer Gemeinde weitergeben und die neuen, jungen Leute einbinden.“