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Warum es die Jugend nicht mehr gibt

„Jeder, der glaubt, er kann „die Jugend“ als Gruppe erreichen, der irrt sich“, sagt Bernhard Heinzlmaier, Jugendforscher und Soziologe. „Die Etiketten, die wir Jugendlichen gerne verpassen würden, die stimmen einfach nicht. Es gibt unter den Jugendlichen sehr viele verschiedene Gruppen, die zum Teil völlig gegensätzliche Verhaltensweisen haben“, berichtet Heinzlmaier, der mit seinem Vortrag die „Kommunalen Sommergespräche 2014“ in Bad Aussee eröffnete.

 Insgesamt glaubt der Jugendforscher mehrere grobe Tendenzen zu erkennen. „Es gibt die so genannten Performer. Das sind die bisherigen Eliten, nämlich Menschen, die sich sehr stark über beruflichen Erfolg, Karriere und Statussymbole definieren.“

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©Gemeindebund/Event-Fotograf

Ein zweiter Typus seien die „adaptiv-pragmatischen“ Menschen. „Das sind jene Menschen, die Dinge nur deshalb tun, weil sie sich davon einen Vorteil versprechen. Sie adaptieren und konditionieren ihr Verhalten danach. Solche Menschen können auch mit anderen Masken auftreten und verschiedene Rollen spielen. Trotzdem werden sie immer den eigenen Nutzen im Auge haben. Die Gruppe der adaptisch-pragmatischen sind die Bürgerlichen minus der Moral.“

Dem gegenüber stehen zwei weitere Gruppen, nämlich die Hedonisten sowie die digitalen Individualisten. „Hedonisten findet man eher in den städtischen Bereichen. Digitale Individualisten sind Menschen, die sehr selbstbestimmt leben wollen, digital aufgewachsen sind und denen Statussymbole in der Regel nichts bedeuten. Solchen Menschen können Sie einen teuren BMW vor die Tür stellen, die würden sich darüber nicht freuen, weil ihnen der verbindliche Aufwand zu hoch ist. Parkplatz suchen, Service machen, Steuern zahlen, usw. Das wollen solche Menschen nicht. Für sie ist auch Besitz oft eine Belastung, lange Beziehungen sind die Ausnahme“, erklärt Heinzlmaier. „Das sind radikale Individualisten, für die auch nicht sehr wichtig ist, was ihr Umfeld von ihnen hält.“

Der völlige Gegensatz dazu seien die klassisch bürgerlich-konservativen Milieus. „Das sind Jugendliche, die zum Beispiel auch einen sehr starken Heimatbegriff leben und moralische Standards als verbindlich erachten“, so Heinzlmaier. „Für diese Gruppe ist der Heimatbegriff erstrebenswert, für andere Milieus ist gerade die „Heimat“ ein bedrohliches Wort, das sie ablehnen.“

Insgesamt, so Heinzlmaier, könne man feststellen, dass es eine Unterscheidung zwischen ethischem und ästhetischem Verhalten gäbe. „Oft siegt die Form über den Inhalt, das Bild über das Wort, die Verpackung ist wichtiger, als der Inhalt selbst. Das sieht man vor allem auch in den sozialen Netzwerken. Da wird nur in der Früh nachgeschaut, ob eh noch alle Freunde da sind, dann postet man etwas Belangloses oder etwas, wo die Zustimmung möglichst hoch ist. Da geht’s eigentlich nicht um Inhalte, sondern nur um Selbstinszenierung.“  Die Ästhetisierung und die Selbstinszenierung würden an Bedeutung gewinnen, so Heinzlmaier. „Wer sich in den sozialen Netzwerken umschaut, der sieht das sofort.“

Für Bürgermeister oder in der Kommunalpolitik aktiven Menschen seien die geschilderten Verhaltensweisen auch mit konkreten Folgen verbunden. „Sie können grundsätzlich nicht davon ausgehen, dass jemand, der ihnen freundlich gegenüber tritt, das auch so meint. Sehr oft ist das nur ein Mittel, um einen konkreten Nutzen zu erzielen“, so Heinzlmaier. „Wird dieses Bedürfnis nicht erfüllt, ist es mit der empfundenen Sympathie oder Freundlichkeit auch schnell wieder vorbei.“ Interessant, so Heinzlmaier, sei auch, dass die Wirtschaft die Jugendlichen heute besser verstehe, als die Politik. „Eine Marketingabteilung eines Getränkekonzerns hat wesentlich konkretere Kompetenz beim Jugendthema als jede politische Einrichtung.“

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©Gemeindebund/Event-Fotograf

In der anschließenden Podiumsdiskussion mit Helmut Mödlhammer, Bettina Rausch, IV-Chef Kapsch und dem 25jährigen deutschen Bürgermeister Michael Salomo gab es zum Teil heftigen Widerspruch gegen Heinzlmaiers Thesen. „Ich erlebe die Jugendlichen nicht so, wie Herr Heinzlmaier sie beschreibt“, sagte Gemeindebund-Chef Mödlhammer. „Ich sehe nicht, dass alle nur noch Dinge zu ihrem eigenen Nutzen tun. Junge Menschen sind sehr wohl motivierbar auch für die Allgemeinheit etwas zu leisten. Der Individualismus wird größer, das ist keine Frage, bei uns in den Gemeinden ist er aber sicherlich noch nicht so groß, wie in den Ballungsräumen. Ich wehre mich dagegen, dass man die Jugendlichen so abkanzelt. Die Analyse Heinzlmaiers stimmt meiner Meinung nach für die gesamte Gesellschaft, aber nicht so sehr für die Jugendlichen.“

Bettina Rausch, junge Abgeordnete aus NÖ, sieht im Verhalten der Jugendlichen einen Wandel. „Junge Menschen sind für sehr konkrete Projekte gut motivierbar. Sie erkennen aber sehr schnell, wenn man sich als Politiker/in nicht ernsthaft auf sie einlässt. Das wird durchschaut und dann schalten sie sofort ab. Es braucht einen ehrlichen Zugang, sonst funktioniert das nicht. Das wiederum erfordert Zeit und Lust an aufrichtigem Dialog.“

Michael Salomo, mit 25 Jahren der jüngste hauptamtliche Bürgermeister Deutschlands, sieht für die Politik einen großen Nutzen in den sozialen Netzwerken. „Für mich ist das eine ganz wichtige Kommunikationsform mit den Bürgern. Ich erfahre sehr viel über die Probleme, die es in meiner Stadt gibt nur über soziale Netzwerke. Das sind Kontakte, die ich sonst nie hätte, weil diese Menschen gar nicht ins Rathaus kommen würden, aus den verschiedensten Gründen.“ Insgesamt hält Salomo die Jugend von heute nicht für mehr oder weniger moralisch, als in den letzten Jahrzehnten.

Mit dem Vortrag Heinzlmaiers haben die „Kommunalen Sommergespräche 2014“ in Bad Aussee begonnen. Leitthema ist die Frage: „Was will die Yolo*-Generation“ (Abkürzung für „You only live once“). 

IMPULS-Vortrag Mag. Bernhard Heinzlmaier ©Gemeindebund/Event-Fotograf