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Schwellenwerteverordnung endlich kundgemacht

Nach zähem Ringen wurde am 6. Februar 2023 die Schwellenwerteverordnung kundgemacht und trat am Folgetrag in Kraft. Die Freude währt womöglich nur kurz.

Fünf Wochen lang galten alte Schwellenwerte

Bis Ende des Jahres 2022 galt die Schwellenwerteverordnung (2018), die entsprechend ihrer Intention, Vergaben im Unterschwellenbereich zu vereinfachen, seit nunmehr 13 Jahren höhere Schwellenwerte für bestimmte Vergabeverfahren vorsah.

Die Schwellenwerteverordnung ermöglicht eine Direktvergabe im Bau-, Liefer- und Dienstleistungsbereich bis zu einem Auftragswert in Höhe von 100.000 Euro. Bauaufträge bis zu einem Auftragswert in der Höhe von 1 Mio. Euro dürfen im nicht offenen Verfahren ohne vorherige Bekanntmachung vergeben werden, sowie Liefer- und Dienstleistungsaufträge bis zu einem Auftragswert von 100.000 Euro. Im Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung dürfen Aufträge im Bau-, Liefer- und Dienstleistungsbereich bis zu einem Auftragswert von 100.000 Euro vergeben werden.

Ende des Jahres ist die Verordnung mangels rechtzeitiger Verlängerung außer Kraft getreten um mit deutlicher Verspätung am 7. Februar doch wieder in Kraft zu treten (Schwellenwerteverordnung 2023) – aber nur bis Ende Juni, denn da läuft die Verordnung schon wieder aus – es sei denn, sie wird rechtzeitig verlängert.

Als ob öffentliche Auftraggeber, so vor allem Gemeinden, nicht ohnedies schon genug Probleme und Ärger mit dem komplexen Vergaberechtsregime hätten, müssen sie (strenggenommen) derzeit ganz unterschiedliche Auftragswerte berücksichtigen. Denn für Vergabeverfahren, die im Zeitraum 1. Jänner 2023 bis einschließlich 6. Februar 2023 eingeleitet wurden, gelten nicht die höheren Schwellenwerte der Verordnung, sondern die deutlich niedrigeren Schwellenwerte im Bundesvergabegesetz.

Auf Grund der fehlenden rechtzeitigen Verlängerung der Schwellenwerteverordnung war daher in diesem Zeitraum eine Direktvergabe nur mehr bis zu einem Auftragswert von 50.000 Euro und für Sektorenauftraggeber nur mehr bis zu einem Auftragswert von 75.000 Euro zulässig. Im nicht offenen Verfahren ohne vorherige Bekanntmachung durften Bauaufträge nur mehr bis zu einem Auftragswert von 300.000 Euro und Liefer- und Dienstleistungsaufträge bis zu einem Auftragswert von 80.000 Euro vergeben werden. Und im Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung galten für Aufträge im Bau-, Liefer- und Dienstleistungsbereich nicht 100.000 Euro, sondern nur 80.000 Euro.

Zickzackkurs unverantwortlich

Nachdem die Verordnung bereits Ende Juni 2023 wieder außer Kraft tritt (treten soll), herrscht massive Unsicherheit sowohl auf Seiten der öffentlichen Auftraggeber als auch auf Seiten der Auftragnehmer. Zurecht stellt sich so manch einer die Frage, welchen Sinn die Unterbrechung hatte und welche Ziele damit verfolgt werden, eine derart wichtige und weitreichende Verordnung lediglich fünf Monate in Geltung zu belassen.

In einem Schreiben des Justizministeriums wird darauf hingewiesen, dass derzeit geprüft wird, ob eine grundsätzliche Verlängerung der Maßnahmen der Schwellenwerteverordnung erforderlich ist. Es lägen fachliche Gründe vor, die eine Nicht-Verlängerung – gerade im Hinblick auf die durchschnittlichen Schwellenwerte für eine Direktvergabe innerhalb der EU – nahelegen. Die Verlängerung der Maßnahmen bis 30. Juni 2023 solle gewährleisten, dass öffentlichen Auftraggebern für den Fall eines negativen Prüfungsergebnisses und einem dementsprechenden Auslaufen der Nachfolgeregelung ausreichend Zeit zur Verfügung steht, um gegebenenfalls erforderliche Vorbereitungen treffen zu können.

Argumente liegen auf dem Tisch

Abgesehen davon, dass gar keine Zeit zur Verfügung steht um Vorbereitungen für ein endgültiges Auslaufen der Verordnung zu treffen, liegen alle Argumente auf dem Tisch, die eine Prolongierung der Verordnung nicht nur rechtfertigen, sondern geradezu als alternativlos erscheinen lassen.

Die letzten Jahre haben gezeigt, dass die mit der Anhebung der Schwellenwerte einhergehenden Erleichterungen bei der Durchführung von Vergabeverfahren wesentlich dazu beigetragen haben, dass die Konjunktur gestärkt und Arbeitsplätze gesichert werden konnten. Vor allem im Unterschwellenbereich, in dem der Großteil der öffentlichen Investitionen regional vergeben und getätigt wird, ist es wichtig, dass Aufträge rasch, unbürokratisch und kosteneffizient durchgeführt werden können. Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass die Schwellenwerteverordnung im Schnitt zu einer Verkürzung der Dauer der Vergabeverfahren um zwei bis drei Monate führt, in Einzelfällen sind die Verfahren sogar um bis zu fünf Monate kürzer. Hinzukommt, dass die Verfahrenskosten erheblich sinken.

Von den erhöhten Schwellenwerten profitieren insbesondere regional orientierte Klein- und Mittelbetriebe. Sie werden für kleinere Aufträge direkt zur Anbotslegung eingeladen, ohne sich zuvor an einem komplexen Vergabeverfahren beteiligen zu müssen. Dazu kommt, dass eine regionale Beschaffung kurze Transportwege und raschen Service bietet. Regionale Vergaben sind daher auch aus ökologischen Gesichtspunkten sinnvoll und notwendig.

Vor allem Gemeinden und Städte sowie öffentliche Unternehmen werden durch diese Maßnahme in ihrer Rolle als „Investitionsmotoren“ gestärkt. Gerade in Zeiten multipler Krisen hat diese Funktion eine immense Bedeutung. Aktuell und in den nächsten Jahren werden zahlreiche, vor allem kleinvolumige Aufträge im Zusammenhang mit Energieeinsparung, Erneuerbaren Energien und anderen ökologischen Maßnahmen gesetzt. Niedrige Schwellenwerte und komplexe Vergabeverfahren würden all diese Anstrengungen konterkarieren.

EU-Binnenmarktrelevanz zweifelhaft

Abgesehen davon, dass es sich Gemeinden (Bürgermeister) gar nicht leisten können, ohne Ausschreibung Aufträge nicht an den Best- oder Billigstbieter zu vergeben, und ohnedies Vergleichsangebote (auch gemäß Empfehlungen der Gemeindeaufsicht) einholen, muss jede Vergabe gut begründet sein.

Richtig ist, dass bei Beschaffungsvorgängen, die eine Relevanz innerhalb des Binnenmarktes aufweisen, das EU-Primärrecht (AEU-Vertrag) zu berücksichtigen ist und damit  Auftragsvergaben im Unterschwellenbereich den allgemeinen Grundsätzen des AEU-Vertrags, insbesondere den Grundsätzen der Gleichbehandlung und der Nichtdiskriminierung, sowie dem Transparenzgebot genügen müssen, sofern an diesen Aufträgen ein eindeutiges grenzüberschreitendes Interesse (sog. Binnenmarktrelevanz) besteht (EU-Vergabesekundärrecht findet im Unterschwellenbereich keine Anwendung).

Die aus dem AEU-Vertrag abgeleiteten Anforderungen gelten daher nur für die Vergabe von Aufträgen, die in hinreichendem Zusammenhang mit dem Funktionieren des Binnenmarktes stehen. Entscheidend dafür, ob ein Auftrag dem Regime des AEU-Vertrages unterliegt, ist einzig dessen Binnenmarktrelevanz. Binnenmarktrelevant ist ein Auftrag aber nur dann und nur insoweit, als er für Wirtschaftsteilnehmer anderer Mitgliedstaaten von Interesse sein könnte. Das Interesse von Wirtschaftsteilnehmern anderer Mitgliedstaaten orientiert sich dabei in erster Linie nach der Höhe des Auftrages (Auftragsvolumen).

Bedenkt man aber, dass bereits im März 2011 eine Studie der Europäischen Kommission („Wirkung und Wirksamkeit des EU-Rechts für das öffentliche Auftragswesen“) veröffentlicht wurde, die aufzeigt, dass in den Jahren 2007 bis 2009 lediglich 1,6 Prozent (!) aller öffentlichen Aufträge im EU-Oberschwellenbereich direkt grenzüberschreitend vergeben wurden, ist überhaupt zu hinterfragen, ob Aufträge unter den derzeitigen EU-Oberschwellenwerten (so etwa derzeit 5,382 Mio. Euro bei Vergaben von öffentlichen Bauaufträgen) überhaupt binnenmarktrelevant sein können.

Aber auch eine aktuelle Studie der Europäischen Kommission von März 2021 („Studie zur Messung der grenzüberschreitenden Marktdurchdringung im öffentlichen Beschaffungswesen der EU“) kommt zu keinem anderen Ergebnis. Im Durchschnitt der Jahre 2016 bis 2019 erfolgten lediglich 2,4 % aller europaweit ausgeschriebenen Vergaben direkt grenzüberschreitend, bei Bauaufträgen waren es überhaupt nur 1,2 % (!) Aber selbst bei Aufträgen jenseits der EU-Oberschwellenwerte sind die direkt grenzüberschreitenden Auftragsvergaben überschaubar: Der Studie nach werden lediglich 6,2 % aller Aufträge mit einem jeweiligen Wert von mehr als 200 Mio. Euro direkt grenzüberschreitend vergeben.

Schwellenwerte müssen nicht nur unbefristet, sondern auch erhöht werden

Die jüngste Studie der Europäischen Kommission zeigt deutlich auf, dass eine Binnenmarktrelevanz bei Aufträgen im Unterschwellenbereich (unter den EU-Oberschwellenwerten) und vor allem im Bereich der Schwellenwerte der Schwellenwerteverordnung de facto nicht vorliegt.

Die Schwellenwerteverordnung muss daher (unbefristet) verlängert werden. Aufgrund der Inflation und der damit einhergehenden Geldentwertung müssen die darin befindlichen Schwellenwerte auch angehoben werden. Nachdem die erste Schwellenwerteverordnung im Jahr 2009 (BGBl. II Nr. 125/2009) dieselben Schwellenwerte erfasste und etwa der Schwellenwert für Direktvergaben (100.000 Euro) bis heute einen realen Kaufkraftverlust von 42 % hinnehmen musste, sind die damaligen 100.000 Euro heute nur mehr 58.000 Euro wert.

Tatsächlich müssten daher die Schwellenwerte deutlich erhöht werden, so etwa jener für Direktvergaben auf rund 150.000 Euro oder jener für Bauaufträge im nicht offenen Verfahren ohne vorige Bekanntmachung von 1 Mio. Euro auf rund 1,5 Mio. Euro.

bernhard haubenberger rund

 

Über den Autor: Bernhard Haubenberger ist Fachreferent für Recht und Internationales beim Österreichischen Gemeindebund.

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