22.7.2016 – Der Klimawandel ist das größte Problem unserer Zeit, ist Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb überzeugt. Warum wir eine Vision und eine ministerienübergreifende Koordinierungsstelle zur Umsetzung der Klimaziele, auf die sich Österreich in Paris festgelegt hat, brauchen, erklärt sie im Hintergrundgespräch.
Zahlreiche höchst anerkannte Experten stellten sich in den Foren der Kommunalen Sommergespräche der Diskussion mit den Bürgermeistern. Welche Vorteile Kooperationen bei den Themen Breitband, Kinderbetreuung, Effizienz, Integration und Klimaschutz bringen wurden in den fünf Foren am 22. Juli 2016 in Bad Aussee besprochen. Gekommen sind Ministerinnen, Landesräte und die führenden Forscher. Mit der bekannten österreichischen Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb war auch das Forum zu „Klimaschutz durch Kooperation“ sehr prominent besetzt. In ihrem Vortrag machte sie klar, dass viele unserer aktuellen Probleme mit dem Klimawandel zusammenhängen und die Begrenzung der Auswirkungen und damit die Erreichung der Klimaschutzziele, die in Paris von zahlreichen Nationen unterschrieben worden sind, oberste Priorität haben sollten.
Im Hintergrundgespräch stellte sie sich den Fragen von Gemeindebund-Redakteurin Carina Rumpold. Ein dunkelblaues Leinenkleid, eine lachsrote Häkelweste, ihre langen, grauen Haare zu einem Zopf geflochten – Helga Kromp-Kolb trotzt den sommerlichen Temperaturen mit interessanten neuen Einblicken in das Thema und aufrüttelnden Aussagen. Ob wir durch den Klimaschutz unsere Lebensqualität oder den bisherigen Lebensstandard einbüßen, war ein großes Thema in der Diskussion. Helga Kromp-Kolb ist aber überzeugt, dass die Lebensqualität durch den Klimaschutz eher steigen als sich verringern wird. Man dürfe Lebensqualität aber nicht mit dem Lebensstandard, der auf immer mehr Konsum basiert, verwechseln. Im Interview erzählt sie nicht nur wie sie das mit der Lebensqualität der breiten Masse schmackhaft machen möchte, sondern auch warum Österreich nach dem Paris-Abkommen eine Vision braucht und was sie als Bürgermeisterin auf jeden Fall sofort umsetzen würde.
Frau Prof. Kromp-Kolb glauben Sie, dass man das mit der Lebensqualität durch den Klimaschutz wirklich auch der breiten Masse schmackhaft machen kann?
Ja, das glaube ich schon. Das beginnt ja jetzt schon: Die Zahl der jungen Menschen, die sich dafür entscheiden, kein Auto mehr zu haben, steigt ja zumindest in der Stadt stark an. Es gibt zunehmend Leute, die sagen: „Ich will nicht 40 Stunden arbeiten, sondern nur 30“, einfach um die Lebensqualität zu steigern. Lebensqualität ist für mich nicht etwas, das man kaufen kann. Ich erkläre das immer am liebsten, indem man sich vorstellt, was man machen würde, wenn man erfährt, dass man nur mehr ein Jahr zu leben hat. Bei diesem Gedanken besinnt man sich auf das Wesentliche, so beispielsweise die Zeit mit der Familie noch mehr zu genießen oder noch einmal das Wasser eines Sees an den Füßen spüren zu können. Das sind Dinge, die nichts mit Konsum zu tun haben. Ich glaube, dass man die Mehrheit dafür gewinnen kann. Das sieht man ja auch daran, dass fast jeder einen im Bekanntenkreis hat, der anders denkt und diese Leute werden nicht mehr als Spinner abgetan.
Sie haben im Forum gesagt, dass jeder zweite Haushalt noch mit fossilen Brennstoffen heizt. Braucht man nicht andere Konzepte, um den Rest, der noch nicht freiwillig umgerüstet hat, zu überzeugen? Was ist mit denen, die sich eine Sanierung oder Umstellung der Heizung einfach nicht leisten können?
Ich glaube, wir haben noch keine wirklichen Versuche gemacht. Die skandinavischen Ländern reden von einem Verbot für alle Ölheizungen in neuen Häusern. In Österreich haben wir beispielsweise immer noch eine Förderung von Ölheizungen. Bei jenen, die sich das nicht leisten können, müssen wir uns mit der sozialen Frage beschäftigen. Ich habe heute auch von Umverteilung gesprochen. Und dabei hat mir im Forum sogar der Vize-Generalsekretär der Industriellenvereinigung Peter Koren recht gegeben. Also ich sehe das so, dass man hier beides zusammen denken muss.
Sie haben heute so einen schönen Satz gesagt: „Wenn die Politik das Ruder nicht mehr in der Hand hat und Entscheidungen aufschiebt, dann kommen wir in eine schwierige Position.“ Glauben Sie also, dass unsere politischen Vertreter die Weitsicht haben werden, die Klimastrategie und damit die Umsetzung der in Paris unterschriebenen Klimaschutzziele (Begrenzung der Klimaerwärmung auf +2 Grad) gemeinsam mit der Neuordnung der Wirtschaft und des Sozialen zu denken?
Also ich würde es hoffen. Ich halte das Grünbuch für eine integrierte Klima- und Energiestrategie nicht für ein gelungenes Werk. Ich halte auch den Partizipationsprozess für nicht gelungen. Aber ich denke, wenn sich genügend Leute an diesem Prozess beteiligen und damit ausdrücken, dass sie etwas Gescheites haben wollen, dann haben wir eine Chance. Auf jeden Fall müssen wir es versuchen.
Ist das Grünbuch die große Vision, die Sie in Ihrem Vortrag skizziert haben, die wir für eine nachhaltige Politik brauchen?
Dieses Grünbuch hat 120 Seiten und wurde von vier Ministerien publiziert. Darin ist extrem trockene, fade Materie zu lesen. Das besteht in erster Linie aus kommentierten Zahlen der Statistik Austria und in der zweiten Hälfte aus Studien, die schon älter sind und Szenarien für die Zukunft entwickeln. Daran schließen sich dann 60 Fragen an, die zum Teil brauchbar sind und zum Teil überflüssig, weil sie sowieso schon in den Paris-Zielen fixiert sind und zum Teil setzen Sie Detailwissen voraus, das die Bevölkerung nicht hat. Und die allerletzte Frage erst bietet Platz für allgemeine Kommentare. Aber da kommt dann fast keiner mehr hin. Ich glaube, es wäre besser gewesen, eine Vision für Österreich in einem partizipativen Prozess zu erarbeiten. Ich glaube, dass es machbar ist, diese Ziele umzusetzen, aber es braucht eine ungeheure Kraftanstrengung von Österreich, nicht nur von Ministerien. Das lässt sich nicht schnell so nebenbei in einer Internetumfrage machen. Aber es ist nun einmal so und wir müssen schauen, dass wir das Beste daraus machen. Ich hoffe, dass die Leute im Rahmen dieser 60 Fragen klar machen, dass sie zu Grundlegenderem befragt werden wollen.
Wenn Sie Bürgermeisterin einer mittelgroßen Stadt wären, was würden Sie machen?
Also ich würde auch dort mit einem partizipativen Visionsprozess beginnen und dabei überhaupt keine Tabus und Grenzen kennen. Also ich denke zum Beispiel, dass man hier nicht nur in Parteigrenzen denken darf. Das können auch Interessierte sein. In Island hat man zum Beispiel beim Verfassungskonvent 25 Personen ausgelost und die haben sich in einem sehr offenen Prozess direkt beteiligt.
Welcher Bereich müsste auf kommunaler Ebene nun am schnellsten angegangen werden?
Auf der Gemeindeebene geht es wirklich um das Verkehrs- und Energiesystem. Es gibt so viele tolle Beispiele in Österreich, man muss sich nur umsehen und umsetzen. Und was ich auch schön finde: Gemeinden, die mit dem eher engen Fokus auf Energieautarkie angefangen haben, haben im Laufe des Prozesses gesehen, was man noch alles machen kann. Und das läuft letzten Endes wieder auf Lebensqualität hinaus und half vielen dieser Gemeinden auch wieder attraktiv für neue Bürger zu werden.
Und was würden Sie als Umweltministerin oder Bundeskanzlerin machen?
In beiden Fällen glaube ich, dass Österreich eine zentrale Koordinationsstelle braucht. Diese muss ministerienübergreifend und auch zentral beim Bundeskanzleramt angesiedelt sein. Ich glaube, die Verfassung gibt das auch her. Die Koordination sollte von einer kleinen Zahl an Beamten übernommen werden. Die Beratung sollte ein Expertengremium übernehmen. Und zwar nicht mit dem Ziel, Dinge zu verhindern, sondern neue Lösungen zu finden und etwas zu verändern. Das Expertengremium sollte aus Wissenschaftlern, NGOs und Stakeholdern, aber nicht aus den klassischen Interessensvertretern wie Wirtschaftskammer oder Industriellenvereinigung bestehen. Und zwar weil die Strukturen in diesen Gremien so verkrustet sind, sodass sie sich nicht mehr bewegen. Aber es könnten die verschiedenen Wirtschaftssektoren einfach jemanden wählen, der nicht schon in den herkömmlichen Strukturen verortet ist. Es sollten auch die Gemeinden drinnen sitzen. Man muss schauen, dass dort wirklich die Leute drin sitzen, die was erreichen wollen.
Und wie wäre es, wenn Sie Kommissionspräsidentin wären?
Da muss man wirklich ganz stark das ganze Finanz- und Wirtschaftssystem angehen. Ich finde das völlig unverantwortlich, was die Kommission und andere Stellen im Fall von Griechenland gemacht haben. Da wäre es doch das Logische gewesen, zur Stärkung der lokalen Wirtschaft, eine Lokalwährung ergänzend zum Euro zu installieren. Ich würde auch die Verträge ändern. Es ist in der jetzigen Lage nicht zulässig zu sagen, zuerst kommt die Wirtschaft, dann die Gesellschaft und dann die Umwelt. Die Umwelt ist unsere Lebensbasis. Das heißt, zuerst kommt die Umwelt und innerhalb der Grenzen, die die Umwelt vorgibt, gilt es für alle ein möglichst gutes Leben zu ermöglichen. Man muss erkennen, dass sich die Zeiten und die Aufgaben ändern und dann entsprechend agieren.