2.3.2016 – Mehr als 700 Europa-Gemeinderät/innen gibt es inzwischen in Österreich. Bei ihrer Generalversammlung in Wien tauschten sie Erfahrungen aus. Minister Sebastian Kurz und Gemeindebund-Chef Mödlhammer waren mit dabei und sprachen den Mandataren Mut zu.
„EU-Gemeinderat zu sein, ist derzeit eine sehr herausfordernde Aufgabe. In einer äußerst schwierigen Zeit heißt es, die europäische Entwicklung im Auge zu behalten und gleichzeitig mit den Sorgen der Bürger konfrontiert zu sein. Die Europagemeinderäte sind es, die Jahr für Jahr zu Europa mit all seinen Facetten stehen“, so Gemeindebund-Präsident Helmut Mödlhammer bei der Eröffnung der vierten Generalversammlung der EU-Gemeinderäte, an der auch Außenminister Sebastian Kurz teilnahm, der direkt vom Ministerrat kam. Aus diesem Grund müsse Europa die kommunale Ebene noch viel stärker als Partner wahrnehmen, als sie es bisher tut. Mödlhammer betonte, dass sich Europa an der Sachpolitik, die in den Gemeinden praktiziert wird, ein Beispiel nehmen könne. „Den Europa-Gemeinderäten gilt mein besonderer Dank. Sie tragen dazu bei, dass Europa auch in den Gemeinden Wurzeln schlägt. Das funktioniert nur, weil es Gemeindevertreter gibt, die mit unwahrscheinlichem Einsatz am Werk sind.“ Damit sprach Mödlhammer auch die vorbildliche Integration der Flüchtlinge auf Gemeindeebene an.
Kurz für bessere Entwicklungshilfe vor Ort
Außenminister Sebastian Kurz scheute in seinen Grußworten vor den umstrittenen Themen nicht zurück. Er zeigte durchaus Verständnis für die Forderungen Großbritanniens nach Änderungen beispielsweise bei den Regeln für Sozialleistungen: „Diese Korrekturen müssen dann aber allen Mitgliedsländern ermöglicht werden. Es wird keine Extrawürste für die Briten geben.“ Er verteidigte auch die österreichische Lösung in Sachen Obergrenzen: „Es braucht Verständnis dafür, dass wenn es ein Jahr lang keine europäische Lösung gibt, nationale Maßnahmen gesetzt werden.“ Statt unbegrenzter Aufnahme in Europa plädiert er für eine verbesserte Entwicklungshilfe vor Ort: „Man könnte mit derselben Summe viel mehr Menschen helfen.“
„FRONTEX kann nur helfen, wo Auftrag erteilt wird“
Reger Teilnahme durch das Publikum erfreute sich auch die anschließende Experten-Diskussion mit Berndt Körner, stv. Exekutivdirektor bei FRONTEX (Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der EU), Antonia Ida Grafl, BMF, die zur Eurokrise Auskunft gab, Gabriela Habermayer, Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft, zum Thema TTIP und MEP Herbert Dorfmann, Präsident der Europäischen Interparlamentarischen Gruppe zu Wein, Spirituosen und Qualitätslebensmittel.
Körner schraubte die Erwartungen an FRONTEX stark herunter: „FRONTEX verfügt weder über eigene über eigene Streitkräfte, noch kann die Organisation von sich aus einschreiten. Wir können derzeit nur auf Anfrage der Staaten mithelfen.“ FRONTEX unterstützt aber nicht nur bei der Grenzsicherung, sondern auch bei Rückfühung, wo 2015 um 64 Prozent mehr Flüge verzeichnet wurden. Es gibt aber Pläne, dass FRONTEX künftig mehr Kompetenzen erhält, verrät Körner den anwesenden EU-Gemeinderäten: „Auf europäischer Ebene laufen derzeit intensive Gespräche, das Mandat für FRONTEX auf den Einsatz an der Seegrenze zu erweitern. Es soll mehr Möglichkeiten bei der Rückführung der abgelehnten Asylwerber aus Nordafrika beispielsweise geben. FRONTEX soll künftig bei Krisen auch von sich aus tätig werden können.“ Die Umsetzung dieser Pläne wird derzeit vom niederländischen Ratsvorsitz stark vorangetrieben, weswegen es bereits im späten Frühjahr bzw. Sommer soweit sein dürfte. Noch eine gute Nachricht: Der Aufbau der Hotspots in Griechenland steht nun kurz vor dem Abschluss, anschließend kann die koordinierte Registrierung der Flüchtlinge aufgenommen werden.
Finanzkrise gut überstanden
Positives hatte Antonia Grafl auch von der Eurokrise zu berichten: „Irland und Spanien haben die Finanzkrise gut genutzt und wachsen nun schneller als der europäische Durchschnitt. Sie entwickeln sich derzeit besser als Länder, die keine Finanzhilfe gebraucht haben. Das zeigt auch, dass die gesetzten Maßnahmen gewirkt haben und die EU-Länder durchaus in der Lage sind, große Krisen zu bewältigen. Die Mitgliedsländer sollten zu ihrer Entschlossenheit, die sie in der Bewältigung der Finanzkrise gezeigt haben, zurückfinden.“
Rege Diskussion zu TTIP
Das umstrittene Thema TTIP nahm jedoch den Großteil der Diskussion ein, vor allem, weil auch die EU-Gemeinderäte die Chance nutzten, ihre Fragen an die Experten zu richten. Gabriela Habermayer versuchte dabei die Ängste so gut wie möglich zu nehmen. „Die existierenden Regeln in Europa und den USA werden anerkannt. Da braucht niemand befürchten, dass aufeinmal unsere Standards nicht mehr gelten. Aber es müssen europäische Standards und keine nationalen sein“, räumte sie ein. Herbert Dorfmann, der als Experte zum Thema Lebensmittelsicherheit am Podium saß, brachte die Chlorhuhn-Diskussion auf den Punkt: „Man muss zwischen Qualität und Lebensmittelsicherheit unterscheiden. Bei Lebensmittelsicherheit geht es um nachprüfbare Fakten. Weder die Bürger in Europa noch in den USA wollen mit Bakterien verseuchtes Fleisch essen, nur der Zugang ist ein anderer. Während wir unsere Hühner schon in ihrer Lebenszeit mit Antibiothika vollstopfen, desinfizieren die Amerikaner ihre Hühner, wenn sie tot sind, mit Chlor. Das Ziel ist das gleiche: Man will bakterienverseuchtes Fleisch verhindern.“
In Sachen Investitionsschutz erklärte Habermann außerdem, dass dies ursprünglich initiiert wurde, um die Investitionen der europäischen Konzerne in nicht so sicheren Ländern abzusichern. Derzeit wird aber gerade ein neues Konzept mit einem Gerichtshof ausgearbeitet, das zum Ziel hat, ein transparentes Verfahren mit unabhängigen Richtern zu garantieren. Dieses neue Konzept soll sowohl für TTIP aber auch für weitere Handelsabkommen zum Maßstab werden.
Im Rahmen von Workshops zu den Themen „Europa wirkungsvoll kommunizieren“, „Die Gemeinden und die EU“ und „Integration – Erfahrungen in den österreichischen Gemeinden“ konnten die Teilnehmer weiter diskutieren und ihr Wissen vertiefen.
Über 700 Europa-Gemeinderäte
Das Projekt „Europa fängt in der Gemeinde an“ ist bisher in Europa einzigartig. Mittlerweile zeigen aber immer mehr Länder Interesse. Erste Pilotversuche gibt es beispielsweise in Südtirol, wo auch einige EU-Gemeinderäte den weiten Weg auf sich genommen haben, um zur Generalversammlung zu erscheinen. Mit dabei waren auch Schüler, die ein Projekt zum Thema Europa gemacht haben. Seit 2010, das Jahr, in dem die Europa-Gemeinderäte lanciert wurden, haben sich über 700 Gemeindevertreter dem Thema Europa verschrieben. Sie dienen nicht nur den Bürgern als Ansprechpartner, sondern berichten regelmäßig über europäische Themen im Gemeinderat, organisieren Veranstaltungen und haben Kolumnen in der Gemeindezeitung. Als Service für die EU-Gemeinderäte werden regelmäßige Informationen des Ministeriums zu aktuellen Themen ausgeschickt sowie Reisen nach Brüssel veranstaltet.