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Erwin Mohr-Interview: Abschied von den europäischen Ämtern auf Raten

Mit Erwin Mohr (66) verlässt ein großer Europäer die Bühne. Nach sechs Jahren als Mitglied des Ausschusses der Regionen (AdR), im Rat der Regionen und Gemeinden Europas (RGRE) und dem Kongress der Regionen und Gemeinden Europas (KGRE), wird der ehemalige Bürgermeister von Wolfurt und fleißige Gastautor auf Kommunalnet noch in der ersten Jahreshälfte seine Funktionen im Gemeindebund an seine Nachfolger übergeben und möchte sich mehr seiner Familie und seiner neuen Aufgabe als Seniorenbundobmann widmen.

Warum es trotzdem ein Abschied auf Raten ist, und wie es für ihn war, als er zum ersten Mal die österreichischen Gemeinden auf europäischer Ebene vertreten hat, erzählt er im Interview mit Kommunalnet-Redakteurin Carina Rumpold.

Kommunalnet: Erwin, du bist wahrscheinlich nicht nur bei den EU-Gemeinderäten dafür bekannt, dass du die komplexen europäischen Themen so auf den Punkt bringen kannst, dass das jeder versteht. Du hast dafür auch große Anerkennung bekommen – zuletzt das Verdienstzeichen, das dir sogar vom Bundespräsidenten persönlich überreicht wurde. Jeder, der dich einmal über die EU reden gehört hat, weiß, dass für diese Sache dein Herz schlägt. Wie schwer fällt es dir nun, dich von diesen Aufgaben zu verabschieden?

Erwin Mohr: Also zuerst: Bürgermeister können das, weil Bürgermeister müssen den Menschen immer in relativ kurzer Zeit die Dinge am Punkt erklären können. Diese Fähigkeit habe ich als Bürgermeister erlernt. Der Abschied fällt mir leicht und schwer zugleich. Diese Tätigkeit war mit sehr vielen Reisen verbunden. Das heißt, ich war auch nach meiner Zeit als Bürgermeister viel unterwegs. Ich werde auch in Zukunft nicht ganz uninformiert sein, denn die meisten Sitzungen kann man sich ja auch via Internet anschauen. Ich bleibe auch weiterhin ein politischer Mensch und genauso, wie mir die Gemeindepolitik am Herzen liegt, wird mich auch die europäische Sache weiterhin begleiten. Außerdem verschwinde ich ja noch nicht ganz ins Privatleben. Ich werde Othmar Karas noch bei der Europawahl als Vorarlberger Kandidat für das Europaparlament – allerdings an unwählbarer Stelle – unterstützen. 

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Bild: ZVG
Mohrs erste Sitznachbarin: Emilia Müller, Bayerische Staatsministerin für Europaangelegenheiten im AdR.

Nach deiner Ankündigung, dich aus den europäischen Funktionen im Gemeindebund zurückziehen zu wollen, kam die Nachricht, dass du für ein Mandat im Europäischen Parlament auf der Vorarlberger Liste kandidieren wirst, für viele recht überraschend. Was gab den Ausschlag dafür?

Das ist das Gegenteil von dem, was ich vor hatte, du hast recht. Das ist auf Anfrage von Landeshauptmann Markus Wallner zustande gekommen. Er meinte, du kennst dich in Europa aus, hast viel Erfahrung und kannst dich gut in Diskussionen zu Europa äußern, sei uns Kandidat. Zwei, drei oder vier Leute haben vor mir abgesagt, weil in der ÖVP momentan die Bereitschaft, sich dafür in die Schlacht zu werfen, nicht wirklich groß ist. Und ich hab dann zugesagt, weil ich doch sehr viel von der Gemeinschaft in der ÖVP profitiert habe und nun die Möglichkeit habe, auch etwas zurückzugeben. Und vor allem ist das Engagement zeitlich begrenzt. Mit Listenplatz elf, habe ich mich an eine Stelle setzen lassen, an der ich überhaupt nicht in die Nähe von einem Nachrückerplatz komme.

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Bild: ZVG
Als Delegationsleiter des KGRE brachte Erwin Mohr den albanischen Bürgermeistern das Beispiel der österreichischen Gemeindeverbände näher.

Aber du wärst grundsätzlich bereit, wenn jetzt die ÖVP so stark gewählt wird, dass du das Mandat auch aktiv ausfüllst?

Meine Lebensentscheidung ist eine andere. Ich möchte einfach den Othmar Karas und sein Team unterstützen und wenn Markus Wallner glaubt, dass ich da irgendeinen positiven Beitrag leisten kann, dann mache ich das. Ins Europaparlament gehören jüngere Leute.

Wie bist du eigentlich 2008 zu diesen europäischen Funktionen gekommen?

Ich war ja noch Bürgermeister bis 2009. Ich hab gewusst, dass wir Kommunalpolitiker immer mehr Gesetzesbeschlüsse nachvollziehen müssen, die auf europäischem Recht basieren. Also mir war klar, dass die wichtige Entscheidungen in Brüssel fallen. Mich hat es damals gereizt, zu wissen, wie das auf europäischer Ebene läuft. Durch meine Tätigkeit in den Verbänden habe ich jetzt wirklich einen absolut guten Einblick, wie Lobbying funktioniert. Lobbying nicht wie im Fall Strasser, sondern Lobbying für die Kommunen. Wie sich die einbringen, Positionen formulieren und schauen, dass man die Gesetzestexte, Richtlinien und Vorschläge in diese Richtung beeinflussen kann.

Und was hat deine Frau 2009 dazu gesagt, dass du nach deiner 24-jährigen Tätigkeit als Bürgermeister nun wieder viel herumreisen wirst?

Sie war nicht wirklich begeistert, aber sie hat geglaubt, wenn ich die Bürgermeisterfunktion aufgebe, dann habe ich mehr Freizeit, denn ich konnte die Funktionen in Europa ja während meiner aktiven Bürgermeisterzeit auch ganz gut miteinander vereinbaren. Das war dann aber doch etwas anders, denn mit zunehmenden Möglichkeiten, nimmt auch die Zeit zu, die man dafür aufwendet. Da übernimmt man eher einmal eine Berichterstattung oder leitet eine internationale Delegation wie damals in Albanien. Aber meine Frau wusste, dass ich eine Leidenschaft entwickelt habe für das und hat gesagt, wenn du glaubst, du musst es machen, dann mach es. Im Finale jetzt hat sie dann schon gesagt, dass das so intensiv ist, hätte sie nicht gedacht.

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Bild: ZVG
Swetlana Orlova, russische Delegationsleiterin im KGRE mit Erwin Mohr.

Hast du dein Bürgermeisteramt hauptberuflich ausgeübt?

Bei einer 8.500-Einwohner-Gemeinde ist das eine hauptberufliche Tätigkeit.

Was hast du vorher gemacht?

Ich war 22 Jahre in der Privatwirtschaft, bei einer Versicherung, war zuerst im Innendienst und dann in der Außendienstorganisation tätig.

Das heißt, du hast schon vorher viele Leute gekannt?

Ja, das war sicher von Vorteil. Ich habe dort auch gelernt, Menschen zuzuhören und zu schauen, was sie brauchen.

Wie war das damals, als du deine erste Sitzung auf europäischer Ebene besucht hast?

Für mich war das damals unheimlich beeindruckend. Mir war klar, dass die EU 27 Miglieder hat, aber eigentlich war Europa für mich unbekannt. Bei der ersten Sitzung im AdR fühlt man sich wieder wie ein Schüler, der beim Wienausflug zum ersten Mal im Nationalratssitzungssaal sitzt. Nur nun denkst du dir, dass die EU eine halbe Milliarde Europäer vertritt. Gesteigert hat sich das alles dann noch im KGRE. Dort sind ja 50 Mitglieder nicht nur aus ganz Europa, sondern auch Russland oder Aserbaidschan. Du sitzt drinnen und bist erstmal begeistert, weil du alle Sprachen hörst. Da spürst du zum ersten Mal, dass du nun auf  internationaler Ebene bist und denkst, da bist du ganz klein. Und du bist auch ganz klein, aber du lernst Leute kennen, baust Netzwerke auf und merkst, dass du gemeinsam etwas bewegen kannst. In Straßburg bin ich dann das erste Mal neben der russischen Delegationsleiterin gesessen, die im engeren Führungskreis Putins ist, oder auch neben ukrainischen Kolleginnen und Kollegen. Das ist das Einzigartige. Auf dieser Ebene begegnest du diesen hohen Politikern auf Augenhöhe oder du hast Gesichter zu Staaten, die du vorher nur dem Namen nach gekannt hast. Spannende Gespräche hatte ich auch mit dem Bürgermeister von Ankara oder dem Bürgermeister von Lissabon zum Beispiel. Ich habe Menschen kennengelernt, die ich sonst nie kennengelernt hätte. Mein Blick hat sich extrem erweitert. Viele Dinge sehe ich nun in einem anderen Licht.

Wenn du nun zurückblickst, wo siehst du inhaltlich deine größten Erfolge?

Ein wesentlicher Erfolg war, dass wir es vor drei Jahren geschafft haben, die Sanierung aller öffentlichen Gebäude für Kommunen zu verhindern. Demnach wäre allen Kommunen, egal, ob groß oder klein, arm oder reich, verordnet wurden, dass sie drei Prozent des Gebäudebestandes jährlich sanieren müssen, damit wir in 30 Jahren alle öffentlichen Gebäude saniert haben. Damals haben sich die kommunalen Interessensvertreter von Italien bis Schottland zusammengetan, und Lobbying betrieben, um das zu verhindern. Das hätten natürlich viele Gemeinden, die nicht so finanz- und zahlungskräftig sind, beim besten Willen nicht geschafft. Eine andere Geschichte war die Zusammensetzung beim Ausschuss der Regionen. Damals wollte man das Mandatsverhältnis unter den Ländern ändern. Das hätte zur Folge gehabt, dass Österreichs statt wie derzeit zwölf nur mehr neun Sitze gehabt hätte. Diese wären natürlich von den neun Bundesländern in Anspruch genommen worden und die Kommunen hätten kein Mitbestimmungsrecht mehr gehabt. Das haben wir damals verhindern können. Ob die Idee endgültig weg ist, weiß ich nicht. Das waren jetzt zwei Dinge, die mir so im Gedächtnis geblieben sind als Erfolge.

Wann wird der Wechsel in den politischen Ämtern auf europäischer Ebene vollzogen?

Der Wechsel wird folgendermaßen vollzogen: Carmen Kiefer, Vizebürgermeisterin aus Kuchl, hat bereits den Rat der Gemeinden, den Dachverband der Gemeindeverbände in Brüssel, und den Kongress (KGRE) in Straßburg übernommen. Und im Ausschuss der Regionen bin ich noch bis Juni, weil wir da 2,5 Monate für den Mandatswechsel brauchen. Dort wird mir Hanspeter Wagner, Bürgermeister der Tiroler Gemeinde Breitenwang, nachfolgen.

Erwin Mohr vertrat die Interessen der Gemeinden auf europäischer Ebene als Präsidiums-Mitglied im Ausschuss der Regionen und Vizepräsident im Rat der Gemeinden und Regionen Europas. ©Gemeindebund