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Direkte Demokratie: Wissen, wie!

7.11.2014 – Direkte Demokratie und Bürgerpartizipation liegen im Trend – doch wann bringt Bürgerbeteiligung was und welche rechtlichen Hürden sollte man auf dem Weg zur Bürgerbefragung nehmen? Beim Symposium der Kommunalwissenschaftlichen Gesellschaft (KWG), das am 5. November 2014 stattfand, trafen sich die Spitzen der heimischen Wissenschaft, um dieses Thema von allen Seiten zu betrachten. Die KWG wurde 2009 als überparteiliche Plattform für kommunalwissenschaftliche Aktivitäten von Gemeindebund, Städtebund und dem MANZ Verlag gegründet.

Den Vortragsreigen eröffnete gleich eine Größe unter den kommunalen Wissenschaftlern: Ass.-Prof. Mag. Dr. Karim Giese von der Universität Salzburg sprach über die rechtlichen Grundlagen und Grenzen direkter Demokratie und Partizipation in den österreichischen Gemeinden. Gleich zu Beginn suchte er nach Definitionen für die beiden Sammelbegriffe „direkte Demokratie“ und „Partizipation“. Während die direkte Demokratie durch die Mitwirkung der Wahlberechtigten eingeschränkt wird, stellt diese bei der Partizipation nur eine Sonderform dar. Partizipation umfasst alle geregelten und ungeregelten Mitwirkungsformen. Die beiden Begriffe lassen sich jedoch direkt kaum in den Gesetzestexten finden – nur indirekt durch Volksbegehren, Volkabstimmungen beispielsweise. In der Verfassung wird gar keine Unterscheidung zwischen direkter Demokratie und Partizipation getroffen. In Art. 117 Abs. 8 der Bundesverfassung wird lediglich erwähnt, dass die Landesgesetzgeber in Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereichs der Gemeinden „die unmittelbare Teilnahme und Mitwirkung der zum Gemeinderat Wahlberechtigten vorsehen“ können.

Vielfalt an Möglichkeiten zeigt rechtliche Hürden

Perfekt illustriert hat Giese wie unterschiedlich die Regelungen in den Bundesländern dazu aussehen. Können Petitionen in den meisten Bundesländern formfrei als Bitten und Beschwerden an die Gemeinde gerichtet werden, so gibt es in Vorarlberg beispielsweise die Pflicht, diese  innerhalb von zwei Monaten auch zu beantworten. In manchen Stadtrechten ist zudem vorgesehen, dass diese mit Stellungnahmen des zuständigen Stadtrates schließen müssen.

Rechtlich gesehen werden durch den Gesetzgeber nicht alle derzeit praktizierten Formen von Befragungen und Versammlungen gedeckt. So äußerte Giese beispielsweise datenschutzrechtliche Bedenken, wenn bei Bürgerbefragungen ein weiterer Kreis als jener der Wahlberechtigten befragt wird und für die Beschaffung der Daten auf das Zentrale Melderegister zugegriffen wird.

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Karim Giese äußerte datenschutzrechtliche Bedenken bei manchen Formen der Bürgerbefragung.

Was kann direkte Demokratie?

Ass.-Prof. Dr. Klaus Poier von der Karl-Franzens-Universität Graz zeigte weitere Grenzen der direktdemokratischen Mittel auf: Die Volksabstimmung ist zwar als Instrument in der Verfassung verankert, hat aber das Volk deshalb wirklich mehr Mitsprache? Formell ja, inhaltlich: Kommt drauf an. Die Fragen, die man sich hier stellen muss, sind: Wie kommt es zur Volksabstimmung?(Wollen es die politischen Eliten oder die Bürger?) Worüber wird abgestimmt? Gibt es eine Mindestpräsenzquote? Bezüglich Quoten ist Poier skeptisch, denn die Erfahrungen aus Italien zeigen, dass oft auch die Nichtteilnahme bei einer Volksabstimmung als Wahlentscheidung getroffen wird, eine Volksabstimmung dadurch aber selten die dafür nötige Quote erreicht.

Wie der Einsatz der direktdemokratischen Elemente in der Vergangenheit gezeigt hat, gibt es Strategien dahinter: Grundsätzlich muss zwischen der direkten Demokratie „von oben“ und jener „von unten“ unterschieden werden. So kann eine Regierung, egal ob auf Bundes-, Landes- oder Gemeindebene, eine Volksabstimmung beispielsweise einsetzen, um eine bedeutsame Veränderung zu legitimieren (wie dies z.B. beim EU-Beitritt passiert ist), eine weitere Strategie ist die Emotionalisierung der Regierungspolitik, oder das Heraushalten von Themen aus dem Wahlkampf. Von unten angeregt werden können diese Elemente um neue Ideen einzubringen, zu mobilisieren oder ein Veto gegen Regierungsentscheidungen einzulegen.

Während man sich über den Einsatz von Befragung, Volksbegehren und Co auf Bundes- und Landesebene recht schnell eine Übersicht verschaffen kann, ist die Datenlage auf kommunaler Ebene eher mager. Eine erste Erhebung Poiers hat gezeigt, dass direktdemokratische Elemente in den letzten Jahren vermehrt zum Einsatz gekommen sind. Gerade in der Steiermark gibt es aufgrund der zahlreichen Bürgerbefragungen zur Gemeindestrukturreform einen sprunghaften Anstieg. Partizipation und direkte Demokratie liegen auf kommunaler Ebene „im Trend“.

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Klaus Poier stellte erste Ergebnisse seiner Forschung zu kommunalen Bürgerbeteiligungsprozessen vor.

Energie besser in die Umsetzung statt die Verteidigung stecken

Wie die Einbindung der Bürger gelingen kann, zeigte Dr. Anton Hütter, Philosoph, Mediator, Organisations- und Personalentwickler aus Tirol. Für ihn gibt es derzeit zwei gegenläufige Tendenzen: Einerseits die Politikverdrossenheit, andererseits gibt es mehr Interesse für die Gestaltung des eigenen Umfelds. Das zeigt sich an den guten Beteiligungszahlen bei den Gemeinde- und Stadtentwicklungsprozessen. Grundvoraussetzung ist der ernst gemeinte Einsatz der Beteiligungsmittel. Der „kooperative Planungsweg“ findet nicht im stillen Kämmerlein statt. Die Bevölkerung wird eingebunden, Ideen gesammelt, es wird beraten, entschieden und dann das Ergebnis kooperativ umgesetzt. Bei diesem Planungsweg fließt die Energie in die Umsetzung und nicht in die Verteidigung einer Entscheidung, die ohne die Beteiligung der anderen getroffen wurde.

In der Praxis umgesetzt wurde diese Theorie beim Planungsverfahren für eine Straßenverbindung im vorarlbergerischen Rheintal, bei dem zwei Autobahnen durch eine Schnellstraße verbunden werden sollten. Dort wurde die Bürgerbeteiligung erst eingesetzt als Teile der Trassenverordnung nach 30-jähriger Planungsdauer vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben wurden. Durch die Beteiligung der Bürger konnte dieser Prozess in drei Jahren zu einem Ende gebracht werden und die Bevölkerung trug die Entscheidung mit.

Was man aus der „Mahü“-Befragung lernen kann

Einen eher unbekannten Blick auf den Umbau der Mariahilferstraße zur Begegnungszone bot der Regionalplaner Dipl.-Ing. Herbert Bork von „stadtland“ Wien in seinem Vortrag. Bereits 2011 wurde der Dialog mit den Anrainern gestartet. Nach dem Bürger/innen-Dialog gab es bereits eine Befragung. Dabei fragte man jedoch nicht danach, ob es die Verkehrsberuhigung geben soll, sondern nach gestalterischen Elementen. Erst kurz vor Ende des Beteiligungsverfahrens flammte die politische Diskussion auf, worauf sich die Stadtregierung zu einer verbindlichen Umfrage über die Begegnungszone entschied. Das Ende ist bekannt.

Ohne größere Vorkommnisse fanden Agenda-21-Prozesse beispielsweise auch bei der Stadtteilentwicklung im Wiener Donaufeld statt. Was können sich kleinere Kommunen von solchen Prozessen abschauen? Es müssen hauptsächlich „Bottom-up“-Prozesse sein. „Von oben“ können nur Ideen eingebracht werden. Entscheidend für den Erfolg des Projekts ist die Kommunikation der Umsetzung der Ergebnisse. Weitere Erfolgsfaktoren sind Kontinität vor allem bei längeren Prozessen, ein ergebnisoffener Zugang, gegenseitiges Vertrauen zwischen Politik und Bevölkerung, Transparenz im Entscheidungsprozess und beiderseitige Lernbereitschaft.

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Anton Hütter hat beim kooperativen Planungsverfahren im Rheintal gezeigt, dass kooperative Planungsvorhaben zum Erfolg führen.

Wie die Beteiligung Jugendlicher funktioniert

Eindrucksvoll zeigte Dr. Peter Egg, Lektor an der Universität Innsbruck, im letzten Vortrag des Symposiums, wie einfach die für Gemeinden oft so schwierige Partizipation von Jugendlichen an kommunalen Entscheidungen sein kann. Sein Erfolgsrezept ist, die Jugendlichen nicht zu holen, sondern zu ihnen zu gehen. Mit seiner Methode erreicht er bis zu 98 Prozent Beteiligung. Mittels selbst gedrehter Videos dokumentieren die Jugendlichen ihre Wünsche. Die Filme werden ausgewertet, nach Themen geordnet und dann dem Gemeinderat präsentiert.

Dabei betonte Egg, dass man den Stellenwert dieser „kommunalen Beziehungsarbeit“ gar nicht hoch genug einschätzen kann: „Die Erlebnisse in der Jugend prägen. Bereits hier entscheidet sich, ob jemand in seiner Gemeinde leben und sich engagieren will.“ In Tirol werden diese Lokale-Agenda-„U“21-Prozesse vom Land mit 15 bis 75 Prozent an finanziellen Zuschüssen unterstützt.

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Peter Eggs Erfolgsgeheimnis bei der Beteiligung von Jugendlichen: In den Lebenswelten der Zielgruppe die Wünsche und Interessen herausfinden.

Gesetzgeber hinkt den Anforderungen aus der Praxis hinterher

„Die Wahl ist der direkteste Weg mitzubestimmen. Trotzdem zeigt sich, dass das politische Engagement derzeit nicht in der allgemeinen Politik, sondern eher in einzelnen Projekten zum Vorschein kommt. Gerade im kreativen Einsatz der partizipativen und direktdemokratischen Elemente sind die Kommunen dem Gesetzgeber auf Landes- und Bundesebene weit voraus“, nahm Gemeindebund-General Dr. Walter Leiss in seinen Begrüßungsworten bereits das Resümee vorweg.

Sammelband zum KWG-Symposium erscheint Anfang 2015

Einer der Vorträge hat Ihr Interesse geweckt? Ab Beginn des nächsten Jahres können Sie alle Details im Sammelband des MANZ Verlags nachlesen.

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Gemeindebund-Generalsekretär Walter Leiss fordert die Politik auf, die gesetzlichen Rahmenbedingungen an die modernen Anforderungen anzupassen.
Fünf spannende Vorträge erhielten die Teilnehmer des Symposiums der Kommunalwissenschaftlichen Gesellschaft. ©LPD Wien/Karl Schober