11.3.2015 – Andreas Haitzer, Bürgermeister von Schwarzach im Pongau, hatte viele Ämter und Funktionen. Er ist u.a.
- Landtagsabgeordneter
- Vorsitzender der Naturfreunde Salzburg
- stellvertretender Bezirksparteivorsitzende
- Mitglied des Vorstands des Salzburger Gemeindeverbands
- Mitglied des Vorstandes des Abfallwirtschaftsverbands
- Mitglied des Vorstands des Regionalverbands
- Mitglied des Vorstand des Reinhalteverbands
- Mitglied des Landesparteivorstands der SPÖ
- Mitglied des Landesparteipräsidiums
- Präsidiumsmitglied der Arbeitsgemeinschaft der sozialdemokratischen Gemeindevertreter
- Vizepräsident der ASKÖ Salzburg
- Mitglied des Landessportrats Salzburg
- Mitglied der Bürgermeisterkonferenz
All das ist Vergangenheit, denn Haitzer hat am 5. März 2015 überraschend den Rückzug aus den meisten der oben genannten politischen Ämter erklärt. Von den Medien als „Zukunftshoffnung der SPÖ“ hochgepusht, schlitterte der ehemalige ÖBB-Fahrdienstleiter in den letzten Monaten am Rande eines Burnouts dahin. Was den Ausschlag für seine radikale Entscheidung gab und wie man erkennt, dass es zu viel wird, erzählt Haitzer im Interview mit Redakteurin Carina Rumpold.
Gemeindebund: Wie hat ein typischer Tag in Ihrem Leben vor der Entscheidung ausgesehen?
Haitzer: Ich bin um 5:30 Uhr aufgestanden, habe Zeitung gelesen, mit meiner Frau einen Kaffee getrunken und bin um 7 Uhr ins Büro in die Gemeinde gefahren. Wenn Landtag war, bin ich zwischen 7 und 7:30 Uhr nach Salzburg aufgebrochen und zwischen 18 und 22 Uhr wieder heim gekommen. In der Früh im Büro checke ich den Terminkalender und arbeite den ganzen Tag Termin für Termin ab. Zu Mittag habe ich mir bewusst eine Stunde Pause genommen. Am Nachmittag ging es dann weiter mit den Terminen. Am Abend hab ich dann eine Kleinigkeit zu Abend gegessen. Oft bin ich dann noch zu weiteren ein, manchmal sogar zwei Abendsitzungen oder -veranstaltungen aufgebrochen. Zwischen 20 und 22 Uhr bin ich in der Regel heimgekommen, hab mich noch kurz mit meiner Frau hingesetzt und über den Tag gesprochen. Manchmal bin ich auch auf der Couch eingeschlafen und zwischen 23 und 24 Uhr dann endlich ins Bett gekommen.
Wie viele Stunden hatte die Woche?
70 Stunden in der Woche sind keine Seltenheit gewesen. Dabei rechne ich aber nicht nur die Termine als Bürgermeister und Landtagsabgeordneter, sondern auch damit verbundene Sitzungen wie Klubsitzung oder das Landesparteipräsidium mit ein.
Aus welchen Gründen haben Sie denn so viele Funktionen übernommen?
Die Antwort ist relativ einfach: Weil ich überall „Ja“ gesagt habe. Ich habe 2004 als Gemeinderat mit der politischen Tätigkeit begonnen. Mich hat damals vieles interessiert. Aufgrund des Interesses und der Mitarbeit, bin ich in diese Funktionen reingekommen. Es ist ja nicht nur belastend, sondern auch eine befruchtende Arbeit. Wenn die Leute merken, dass es da jemand gibt, der sich wirklich engagiert, dann fragen einen immer mehr.
Wann hat es begonnen, zuviel zu werden?
Ich habe ein sehr gutes Zeitmanagement. Das ist mir schlussendlich auch zum Verhängnis geworden. Ich habe schon Ende des letzten Jahres begonnen, die Termine hin und her zu schieben, damit ich mehr im Terminkalender unterbekomme. Umso mehr Termine man rein schachtelt, umso weniger Zeit hat man für die Vorbereitung. Da fängt der Teufelskreis an. Irgendwann beginnt man am Wochenende auch noch Unterlagen mitzunehmen und vorzubereiten. Dann kommt es soweit, dass man am Sonntagvormittag noch ins Büro fährt, um Termine vorzubereiten oder die liegen gebliebenen Sachen von der letzten Woche aufzuarbeiten. In der letzten Zeit war ich sicher fünf Mal in der Nacht munter und habe überlegt, was ich am nächsten Tag nicht vergessen darf. Die besten Argumente habe ich mir in der Nacht überlegt. Man merkt dann, dass man tagsüber immer müder ist. Man wird grantig, ist nicht mehr so tolerant, gereizt, man gähnt andauernd. Ganz stark hab ich es auch daran gemerkt, dass ich vorher doch fünf Mal die Woche Sport gemacht habe. Das ging sich nun nur mehr maximal zwei Mal in der Woche aus.
Was hat dann den Auslöser gegeben, dass Sie alle Ämter bis auf das des Bürgermeisters zurückgelegt haben? Welche Rolle spielte die Familie?
Auslöser hat es keinen gegeben. Ich habe das für mich über einige Monate genau beobachtet. Im Dezember ist es mir zum ersten Mal so richtig bewusst geworden, dass das so zuviel wird. Über die Weihnachtsfeiertage vergisst oder verdrängt man das wieder, denn der Stress ist ja dann für ganz kurze Zeit weg. Als ich dann aber im Jänner wieder voll im Alltagstrott drin war, kam das alles wieder.
Mein Vorteil ist wahrscheinlich, dass ich früher schon bei den ÖBB im Teambuilding gearbeitet habe und sogar die Trainerausbildung absolviert habe. Ich habe dort auch im Laienhelferteam gearbeitet und viel Burnout-Prävention gemacht. In den letzten Wochen hab ich gemerkt, dass es so nicht weitergeht. Da gab es zwei Wege: Entweder ich mache so weiter oder ich höre auf. Ich habe mich für zweiteres entschieden und mit meiner Frau gesprochen. Sie hat das genauso wie ich gesehen und mich voll unterstützt.
Wie schwer ist es, sich die Überlastung gerade als Erfolgsmensch selbst einzugestehen?
Ich gehöre nicht zu den machthungrigen Menschen. Für mich war es einfach und schwer zugleich. Einfach, weil ich die Müdigkeit und den Termindruck loswerden wolle. Schwer, weil man natürlich niemanden im Stich lassen möchte. Die meiste Kraft hat mir die Unterstützung von zu Hause gegeben. Alleine die Tatsache, dass meine Überlastung auch meiner Frau schon aufgefallen ist und sie meine Absichten voll unterstützt hat, hat das alles doch wesentlich erleichtert. Hinter einem erfolgreichen Menschen steht einfach ein erfolgreicher Partner.
Hat auch das Bürgermeisteramt darunter gelitten?
Ich hatte definitiv für das Bürgermeisteramt nicht mehr so viel Zeit, wie vor meinem Landtagsmandat. Alles andere wäre Schwindel. Die Bürger haben das aber toleriert, weil sie ja gewusst haben, dass ich Landtagsabgeordneter bin.
Wie war die Reaktion in der Landespartei auf Ihren Rücktritt?
Für Walter Steidl war es nicht einfach und sehr, sehr überraschend. Aber er hat meine Beweggründe verstanden und gesagt, dass er den Hut vor so einer Entscheidung zieht und dass er mich in allen Dingen unterstützen wird, damit es mir wieder gut geht.
Glaubt man den Salzburger Nachrichten, galten Sie als die große Zukunftshoffnung in der SPÖ. Haben Sie deshalb so viele Ämter angehäuft?
Nie und nimmer. Ich weiß, dass das die Medien über mich geschrieben haben. Das war für mich aber nie ein Thema. Erstens ist eine Zukunftshoffnung für mich jemand mit 25, 30 oder maximal 35 Jahren und nicht mit 47. Außerdem habe ich meinen Bürgern versprochen, dass ich maximal in den Landtag gehe. Daran wollte ich mich auch halten.
Ist das auch der Grund, warum Sie das Bürgermeisteramt nicht zurücklegen?
Ja, das Amt des Landesrats oder gar das des Landeshauptmanns habe ich nie angestrebt. Ich bleibe Bürgermeister, weil mich die Bürger 2008 mit 89,7 Prozent gewählt haben und ich ihnen versprochen habe, dass ich solange Bürgermeister bleibe, wie sie mich wollen.
Wie schaut ein Tagesablauf von Ihnen heute aus?
Ich stehe um 6 Uhr auf. Heute habe ich meine Frau um kurz vor 7 Uhr zum Bahnhof gefahren, und gehe seither wieder meinen normalen Amtsgeschäften nach. Ich genieße es, wieder mehr Zeit für die Bürgerinnen und Bürger zu haben. Dann war ich Mittagessen und nun telefoniere ich mit Ihnen. Es ist immer noch viel zu tun, aber es ist nicht mehr so gestresst.
Was würden Sie Kollegen antworten, die Ihre Entscheidung nun als „zu leicht gemacht“ kommentieren?
Es hat nicht einen einzigen Kollegen gegeben, der das gesagt hat. Ich habe eher die Rückmeldung bekommen, dass sich viele sowieso schon gefragt haben, wie ich das überhaupt so lange geschafft hab. Ich habe auch überparteilich nur positive Rückmeldungen bekommen.
Es gibt immer wieder Kollegen, die aus dieser Überlastungsschleife nicht mehr herausfinden, aus Angst, dann gesellschaftlich nicht mehr so geachtet zu sein, weitermachen und am Ende komplettes Burnout haben oder sich sogar das Leben nehmen. Sollte sich in der politischen Kultur etwas ändern? Wenn ja, was?
Wenn irgendwas nicht passt, suchen wir einen Schuldigen. Wenn ich 2013 meinen Einstieg in den Landtag anschaue, gibt es nur einen einzigen Schuldigen und der bin ich, weil ich hab „Ja“ gesagt. Es gibt natürlich Funktionen, die man mit einem Bürgermeisteramt automatisch übernimmt. So kann ich zum Beispiel nicht immer meinen Vizebürgermeister zu einer Bürgermeisterkonferenz oder in die Sitzungen des Regionalverbandes schicken.
Aber es gibt schon auch eine Tendenz, die so etwas begünstigt. Bekleidet man ein höheres politisches Amt, so bekommt man eine Gage. Gleichzeitig wird aber dann auch von einem erwartet, dass man vier oder fünf damit in Verbindung stehende ehrenamtliche Funktionen übernimmt. Würde man diese Funktionen, die ja auch wichtig sind, aufwerten und eine kleine Aufwandsentschädigung bezahlen, so wäre das auch attraktiv für die Vizebürgermeister zum Beispiel, die nicht so viele Sitzungstermine haben.
Sie haben ja auch das Bürgermeister-Gesundheitsseminar, das der Fonds Gesundes Österreich gemeinsam mit dem Österreichischen Gemeindebund veranstaltet, besucht. Hätten Sie dort nicht lernen sollen, mit dem ganzen Stress fertig zu werden?
Ich sehe das eher umgekehrt. Es war Teil des Seminars, zu erkennen, was man seinem Körper zumuten kann und wann es zu viel wird. Ich finde diese Gesundheitsseminare ganz wichtig und es hat mir auch persönlich sehr viel gebracht. Der Tag hat einfach nur 24 Stunden und ab einem gewissen Termindruck kann man das gar nicht mehr schaffen. Mir ist immer noch in Erinnerung, dass meine 15-jährige Tochter, als ich ihr erzählt habe, dass ich die meisten meiner Funktionen zurückgelegt habe, gesagt hat, dass sie das gut findet und selbst schon festgestellt hat, wie gereizt ich in letzter Zeit war. Das hat mir nochmal vor Augen geführt, dass dieser Schritt der richtige war.
Nächstes Bürgermeisterseminar zur Burnout-Vermeidung von 23. bis 25. April!Wann erkennt man, wenn es zuviel wird? Wie schafft man die bessere Balance von Arbeit, Familie und politischem Amt? Das Seminar, das von Fonds Gesundes Österreich und dem Österreichischen Gemeindebund veranstaltet wird, zeigt Ihnen die wichtigsten Techniken für den Alltag, lehrt die richtige Ernährung und vieles mehr. Anmeldung auf der Homepage des FGÖ noch bis 2. April möglich! |