Bayern ist in vielerlei Hinsicht Österreich ganz ähnlich. Leider auch bei der Anzahl der Bürgermeisterinnen. Mit neun Prozent gibt es zwar um ein Prozent mehr Frauen an der kommunalpolitischen Spitze, das reicht aber auch den Bayern noch nicht.
2020 wählen die bayerischen Gemeinden. Das dritte Bürgermeisterinnentreffen der bayerischen Bürgermeisterinnen – organisiert von Dr. Cornelia Hesse, Direktorin im Bayerischen Gemeindetag, stand daher vor der Frage, welche Ansätze es braucht, um mehr Frauen in die Kommunalpolitik zu bekommen. Einig waren sich die rund 70 anwesenden Bürgermeisterinnen (auch unter Beteiligung von zwei österreichischen, einer Südtiroler Ortschefin und des Österreichischen Gemeindebundes), dass die geringe Beteiligung von Frauen an den politischen Entscheidungsstrukturen auch ein Demokratiedefizit ist. „Wir wollen durch solche Veranstaltungen wie heute erreichen, dass mehr Frauen motiviert werden, zu kandidieren“, so Hesse bei der Eröffnung.
Motiviert ist sie: 1996 gab es in Bayern noch 2,2 Prozent, und jetzt sind es schon neun Prozent Bürgermeisterinnen im Freistaat. „Wenn wir in diesem Tempo weitermachen, dann haben wir 2050 erst 50 Prozent erreicht“, stellte sich provokativ fest und erntete bedauerndes Nicken bei den anwesenden Ortschefinnen.
Frauen, die nichts fordern..
Damit es nicht so lange dauert, bis die Kommunalpolitik weiblicher wird, hat sich eine sehr hochkarätige Runde an Vortragenden im Starnberger Landratsamt eingefunden, um ihre Sichtweisen und Erkenntnisse aus den unterschiedlichsten Richtungen einzubringen. Am 11. März kam Caroline Trautner, Staatssekretärin im Bayerischen Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales, anstelle der kurzfristig verhinderten bayerischen Staatsministerin Kerstin Schreyer. Anhand der Lucrezia Borgia zeigte sie, wie es ist, wenn sich zu Frauen nur Männer äußern: Außer der oftmals verheirateten Papsttochter war sie nämlich auch erste Gouverneurin einer Handelsstadt und eine gewiefte Unternehmerin. Trautner rief die anwesenden Bürgermeisterinnen auf, schon jetzt aktiv auf Frauen zuzugehen und sie anzusprechen. „Ganz nach Simone de Beauvoir: „Frauen, die nichts fordern, werden beim Wort genommen, denn sie bekommen auch nichts. Daher fordere ich Frauen auf, Chancen nicht aufgrund der Selbstzweifel verstreichen zu lassen“, so die Staatssekretärin.
Wirtschaft arbeitet an „Diversity“
Ansätze aus der Wirtschaft brachte Claudia Scheerer, die Leiterin der Unternehmenskommunikation der Versicherungskammer ein. Auch in der Wirtschaft gilt immer noch: Umso höher die Führungsebene, umso weniger Frauen finden sich. In der Versicherungskammer, die in Deutschland zu den zehn größten Versicherungsunternehmen gehört, wird die Teilung der Führungsaufgabe praktiziert: Hier haben beispielsweise zwei Frauen, die in Teilzeit arbeiten, eine Führungsposition inne. „Das war zwar am Anfang gerade für die Mitarbeiter etwas gewöhnungsbedürftig, aber mittlerweile funktioniert es“, erklärt Scheerer. Weitere Modelle sind Generationen Tandems und ein „Reverse-Mentoring“ – ein Mentoring von Trainees für Führungskräfte.
FRIDA – Mehr Frauen in die Kommunalpolitik
Prof. Dr. Barbara Thiessen von der Hochschule Landshut stellte gemeinsam mit ihrer wissenschaftlichen Mitarbeiterin Mina Mittertrainer – ganz nach dem Motto, dass man auch die Frauen, die in der zweiten Reihe aktiv sind, nicht hinter dem Vorhang verstecken darf – ein wissenschaftliches Projekt zur Steigerung der Frauen in der Kommunalpolitik vor. Dabei werden bestehende Mentoring-Programme analysiert, qualitative Interviews und Diskussionen mit Kommunalpolitikerinnen geführt, mit dem Ziel, am Ende eine Handreichung zur gendersensiblen und familienfreundlichen Sitzungsgestaltung und Kommunikationskultur zu erarbeiten.
Frauen auch im Sprachgebrauch sichtbar machen
Neue Sichtweisen auf das Gender-Thema brachten auch die Vorträge am 12. März: Prof. Dr. Eva-Maria Graf, Professorin für Angewandte Sprachwissenschaft an der Alpen-Adria Universität Klagenfurt, zeigte anhand praktischer Beispiele, dass wir uns unserer eigenen Zuschreibungen bewusst sein müssen, um sie auch zu überwinden. Kritisch stellte sie auch die Frage auf, ob es überhaupt ein „undoing gender“ geben kann. Klar war aber schon, dass man durch eine bewusst genderneutrale Sprache auch Gruppen ansprechen kann, die sich bisher von einer einseitigen Sprachgestaltung nicht angesprochen fühlten: Wer nur von Kindergärtnerinnen schreibt, wird auch nur von Frauen Bewerbungen bekommen. Ähnlich verhält es sich beispielsweise bei technischen Berufen mit Frauen.
Landtagspräsidentin persönlich vor Ort
Eine besondere Auszeichnung erfuhr die Veranstaltung auch von Ilse Aigner, der früheren Landwirtschaftsministerin und heutigen bayerischen Landtagspräsidentin, die sich viel Zeit für die Fragen der Bürgermeisterinnen genommen hat. „Wir feiern heuer 100 Jahre Frauenwahlrecht. Dieses Jubiläum macht deutlich, dass wir viel erreicht haben, aber noch nicht alles“, so Aigner vor den rund 70 Bürgermeisterinnen. Sie als Praktikerin hält rechtliche Vorgaben zur Herstellung einer gerechteren Aufteilung von politischen Ämtern für nicht umsetzbar. Aus ihrer Sicht zeigen bereits SPD oder die Grünen im bayerischen Landtag, dass man die Parteien hier viel stärker in die Pflicht nehmen müsste – Stichwort Reisverschlussprinzip. Aus ihrer Sicht bietet sich die kommunale Ebene als Tätigkeitsfeld für Frauen geradezu an: „Wir wissen, dass sich Frauen gerne an konkreten Projekten engagieren und ihnen die reine Sammlung von Funktionen oder Ämtern nicht nahe liegt. Die Kommunen sind jene Ebene, in der das am direktesten möglich ist. Das müssen wir den Frauen in unseren Gemeinden und Regionen klar machen.“ Sie selbst versucht auch in ihrem direkten Umfeld Frauen für den Einstieg in kommunale Ämter zu begeistern.
Fehlende Attraktivität der Politik kein reines Frauenproblem mehr
Dass das nicht so einfach ist, wissen auch die Bürgermeisterinnen, die sich ihrer Rolle als Vorbilder durchaus bewusst sind. Eine der Hemmschwellen für viele junge Familien, sich ehrenamtlich zu engagieren, ist die starke Beanspruchung im Alltag. „Heute müssen beide arbeiten gehen, um sich das Leben zu finanzieren, daneben steigen auch die Anforderungen an die Betreuung und Ausbildung der Kinder. Da bleibt kaum noch Kraft, sich anderweitig zu engagieren. Das ist nicht nur ein Problem der Frauen“, bringt es eine Teilnehmerin auf den Punkt.
Ein Ansatz ist, Frauen stärker zu motivieren, in die gewachsenen Karrierestrukturen für Politiker zu gehen. Ein anderer Ansatz, wäre aber auch, nicht zu überlegen, die Menschen in die bestehenden Strukturen zu bringen, sondern vielmehr die Strukturen so zu adaptieren und offen zu machen, dass sie wieder attraktiv für die Menschen werden: Das bedeutet, Sachpolitik in den Vordergrund rücken, auszuprobieren, die politische Verantwortung auf mehrere Schultern zu verteilen oder gewisse Pflichten zu entschlacken und diesem Betätigungsfeld auch wieder mehr Wertschätzung zukommen zu lassen. Denn am Ende gestalten diese von uns gewählten Personen unser direktes Lebensumfeld.