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Weißbuch Junckers – Wie kann man die EU weiterentwickeln?

15.3.2017 – Mit einem Weißbuch startet ein längerer Diskussionsprozess in der EU. Juncker macht mit der Veröffentlichung klar, dass unsere Entscheidungen der nächsten Jahre die Zukunft aller Menschen in Europa bestimmen werden. Auch Kommunen werden dezidiert aufgefordert, sich an diesem Prozess zu beteiligen.

Wie soll die Zukunft Europas aussehen? Wollen wir mehr Europa oder weniger? Welche Auswirkungen hätte ein weniger? Warum müssen wir unsere Reflexe bezüglich Nationalismen überwinden, um in der globalen Welt nicht auf der Strecke zu bleiben? Derzeit versucht die EU einen Brandherd nach dem anderen zu löschen und hat dabei nicht mehr die Kraft, sich den wichtigen Zukunftsthemen und auch der Behebung der Mängel am derzeitigen System zu widmen. Genau aus diesem Teufelskreis möchte sich Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker mit dem am 1. März präsentierten Weißbuch zur Zukunft Europas befreien.

Mit einem Weißbuch wird traditionell ein längerer Diskussionsprozess angestoßen. Beispielhaft sei das Governance-Weißbuch aus dem Jahr 2001 erwähnt, das nach der Frustration des Gipfels von Nizza entstanden ist und letztlich in EU-Verfassungskonvent und Vertrag von Lissabon mündete. Ob auch das aktuelle Weißbuch zur Einberufung eines Konvents führen wird, ist offen. Sicher ist aber, dass es die europäischen Institutionen und die europäische Öffentlichkeit länger beschäftigen wird. In diesem neuen Weißbuch wirft Juncker fünf Optionen für die mögliche Weiterentwicklung der EU auf. Dieses Dokument bildet die Grundlage für weitere Debatten, die bis zu den Europawahlen im Jahr 2019 abgeschlossen werden sollen.

Bestandsaufnahme

Im ersten Teil des Weißbuchs findet eine Bestandsaufnahme Europas statt. Errungenschaften werden Herausforderungen gegenübergestellt, man wagt aber auch den Blick in die Zukunft. Dieser soll v.a. verdeutlichen, dass Europas Bedeutung in einer globalisierten Welt abnimmt, Einfluss daher nur durch gemeinsames und geeintes Auftreten gewahrt werden kann. Untermalt wird dies durch Statistiken zur Entwicklung des europäischen BIP-Anteils, des Euro als Weltwährung und zur globalen Bevölkerungsentwicklung. Interessant, rechtlich aber bedenklich, ist die ausschließliche Bezugnahme auf die EU der 27 Mitgliedstaaten. Dies umso mehr, als das Weißbuch noch vor der Übermittlung des offiziellen Austrittsgesuchs des Vereinigten Königreichs veröffentlicht wurde.

Dass die EU gerade in Krisen hinter den Erwartungen zurück bleibt, wird mit beschränkten Handlungsmöglichkeiten, etwa bei der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, und der geltenden Kompetenzordnung begründet.

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Wie soll Europa in Zukunft gestaltet sein? Fünf Szenarien geben den Blick in Kristallkugel frei.

Wie Europa die Krisen besser bewältigen kann

Im zweiten Teil des Weißbuchs wird daher keine Gelegenheit ausgelassen, für ein gemeinsames Migrationsmanagement zu werben, sollten sich die Mitgliedstaaten für mehr bzw. ein effizienteres Europa aussprechen.

Insgesamt problematisch für die Wahrnehmung der EU werden Kommunikation und Information auf nationaler Ebene angesehen. Europa wird vielerorts darauf reduziert, sich in den Alltag der Menschen einzumischen, ansonsten aber zu weit weg zu sein. Probleme werden auf „Brüssel“ geschoben, Erfolge national verbucht. Offen bleibt die Frage, ob sich die Mitgliedstaaten kommenden technologischen und gesellschaftlichen Veränderungen und Herausforderungen alleine stellen können.

Fünf Szenarien für die Zukunft Europas

Im zweiten Teil stellt die Kommission fünf mögliche Szenarien für die Zukunft der EU vor. Diese sollen als Denkanstoß dienen und sind nicht als starre Vorgaben zu verstehen. Ideen zur zukünftigen Gestaltung Europas könnten anhand dieser Szenarien entwickelt werden, die dargestellten Vorschläge zur Neuordnung bzw. Vertiefung der Zuständigkeiten spiegeln die Wünsche der Kommission wider.

Szenario 1: Weiter wie bisher

Dieses Szenario schlägt eine Fortsetzung des status quo vor. D.h. die Schwerpunkte und Arbeitsweise der Juncker-Kommission fortführen, auch wenn die Beschlussfassung „großer“ Angelegenheiten nicht einfach ist und die Kluft zwischen Wunsch und Wirklichkeit aufrecht bleibt. Das Primärrecht müsste nicht geändert werden, die aktuelle Kompetenzverteilung bliebe aufrecht.

Szenario 2: Schwerpunkt Binnenmarkt

Die EU könnte sich auf den gemeinsamen Waren- und Kapitalmarkt beschränken und Politikbereiche wie Verbraucher-, Sozial- und Umweltrecht der Regelungskompetenz der Mitgliedstaaten überlassen. Sicherheitsfragen wären bilateral zu lösen, der Schengenraum könnte ganz aufgegeben werden. Freizügigkeit, freier Dienstleistungsverkehr und die Unionsbürgerrechte könnten eingeschränkt werden.

Szenario 3: Wer mehr will, tut mehr

Dieses Szenario ist unter dem Begriff „Europa der vielen Geschwindigkeiten“ zusammenzufassen. So wie bereits jetzt (Euro, Schengen), könnte es in Zukunft Gruppen von Mitgliedstaaten geben, die etwa in den Bereichen Sicherheit, Verteidigung, Justiz oder Steuerharmonisierung vorangehen. Dies würde zwar zu einer stärkeren Fragmentierung führen, hätte aber keine Auswirkungen auf die geltende Zuständigkeitsverteilung.

Szenario 4: Weniger, aber effizienter

Die Kompetenzen wären neu zu ordnen, die EU könnte mehr ausschließliche Zuständigkeiten erhalten und bisher geteilte Zuständigkeiten an die Mitgliedstaaten übertragen. Vorgeschlagen wird etwa, Innovation, Handelspolitik, Sicherheit, Migration, Grenzmanagement und Verteidigung auf die EU zu übertragen und ihr auch die dafür nötigen finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen. Regionalentwicklung, Gesundheits- und Sozialpolitik sowie neue Standards in den Bereichen Verbraucher-, Umwelt- oder Arbeitsschutz fielen in den Zuständigkeitsbereich der Mitgliedstaaten, die hier auch unterschiedliche Akzente setzen könnten.

Szenario 5: Viel mehr gemeinsames Handeln

Hier geht das Weißbuch davon aus, dass die Mitgliedstaaten im Rahmen der geltenden Zuständigkeitsverteilung mehr Machtbefugnisse und Ressourcen teilen und auf allen Gebieten enger zusammen arbeiten. Hervorgehoben werden die gemeinsame Außenpolitik und ein gemeinsames Migrationskonzept sowie gemeinsame Investitionen in Forschung und Innovation.

Richtungsweisende Entscheidung: Auch Kommunen sollen mitreden

Die Kommission geht mit dem Weißbuch in die Offensive. Nachdem die EU von einer Krise in die nächste taumelt und aufgrund der Kompetenzverteilung nicht in der Lage ist, schnelle Lösungen zu produzieren, werden Mitgliedstaaten und europäische Öffentlichkeit nun vor die Wahl gestellt: Soll sich die EU wieder rein auf den Binnenmarkt konzentrieren, soll es ein Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten geben oder ist man bereit, wichtige Zuständigkeiten auf die europäische Ebene zu übertragen?

In jedem Fall sollte ehrlich und offen über die verschiedenen Optionen und deren Auswirkungen auf den Einzelnen diskutiert werden: Was bedeutet es, wenn sich die EU von der Kohäsionspolitik verabschiedet und Umweltschutz national geregelt wird? Ist die Unionsbürgerschaft sinnvoll oder bringt die Beschränkung der Freizügigkeit dem Einzelnen mehr? Hält nur der Binnenmarkt Europa zusammen oder gibt es höhere Erwartungen an die EU? Was bedeutet es für die Gemeinden, wenn der Binnenmarkt wieder oberste Priorität hat?

Die Kommunen sind ausdrücklich aufgefordert, sich an diesem Prozess zu beteiligen. Dem Ausschuss der Regionen kommt dabei eine nicht unwesentliche Rolle zu, da er die Debatte im Rahmen dezentraler Bürgerdialoge in die Regionen bringen will. Auch der europäische Dachverband der Gemeinden, RGRE, befasst sich mit der Zukunft Europas aus kommunaler Sicht und wird im Juni eine Position dazu verabschieden.

Der Diskussionsprozess über die Zukunft der Europäischen Union ist enorm wichtig für die Zukunft aller Menschen in Europa. Umso mehr muss sich jeder einzelne einbringen. ©European Union, 2014 / Source: EC-Audiovisual Service / Photo: Georges Boulougos