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Was bedeutet ein Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung für Gemeinden und Eltern?

Eine flächendeckende und qualitätsvolle pädagogische Kinderbetreuung ist ohne Zweifel wichtig, um die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsleben zu verbessern. Die Politik hat in diesem Bereich Rahmenbedingungen zu schaffen, um die Familien organisatorisch und finanziell entlasten zu können. Aber soll es einen Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung ab dem ersten Geburtstag des Kindes geben? Und welche Gefahren impliziert er?

Das Dilemma der Eltern

Kaum ein Thema wird so kontrovers und emotional diskutiert wie die Frage, ab welchem Alter man Kinder fremdbetreuen lassen sollte. Es hat den Anschein, als würden Eltern in dieser Angelegenheit nichts richtig machen können.

Geben sie das Kind zu früh außer Haus, werden sie als Rabeneltern bezeichnet und müssen sich vielerorts die Frage stellen lassen, warum sie ein Kind bekommen haben, wenn sie es so früh fremdbetreuen lassen wollen. Entscheidet sich eine Mutter, länger zu Hause zu bleiben, um das Kind selbst zu betreuen, wird ihr schnell unterstellt, ein Heimchen am Herd zu sein und die Sinnhaftigkeit ihrer vorangehenden Ausbildung und beruflichen Tätigkeit angezweifelt. Geht die Frau gar arbeiten und der Mann bleibt beim Kind, wird ihr übertriebener Ehrgeiz und ihm übermäßige Faulheit attestiert.

Jede und jeder hat eine Meinung zu diesem Thema und schnell werden jene – die anders dazu stehen bzw. es anders handhaben als man selbst – abgewertet. Dies ist wohl darauf zurückzuführen, dass jedes Elternteil das Beste für sein Kind möchte und daher gut und genau überlegt, welchen Weg es in diesem Bereich einschlagen möchte. Andere Wege als ebenso gangbar zu werten, würde womöglich die eigene Entscheidung weniger klar erscheinen lassen. Aber gibt’s den einen richtigen Weg? Und was hat das alles mit den Gemeinden zu tun?

Diskussion über Rechtsanspruch

Seit einigen Monaten wird in Österreich intensiv über einen Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung diskutiert. Ganz aktuell wird seitens der SPÖ Oberösterreich, mittlerweile unterstützt von jener in Tirol, ein Rechtsanspruch auf eine dreiwöchige Sommerschule gefordert.

In der Steiermark bildete sich im Juni eine gemeinsame Initiative von Arbeiterkammer, Gewerkschaftsbund, Landwirtschaftskammer, Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung, die für einen Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung ab dem ersten Geburtstag des Kindes eintritt.

In Vorarlberg wird gerade an einem neuen gesetzlichen Rahmen für die Bildung und Betreuung von Kindern gefeilt. NEOS und Grüne fordern in diesem Zusammenhang, Eltern einen Rechtsanspruch auf einen Kinderkrippen- bzw. Kindergartenplatz zu gewähren. Landeshauptmann Markus Wallner sieht das anders und meint, der persönliche Rechtsanspruch wäre in Deutschland spektakulär gescheitert und zwar, weil man nicht einfach von einen Tag auf den anderen einen Rechtsanspruch per Gesetz definieren könne und dann weder Personal noch Betreuungsplätze habe.

Blick nach Deutschland

In Deutschland gibt es seit dem Jahr 2013 einen Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung. Dieser ist bundesgesetzlich als Teil der „öffentlichen Fürsorge“ geregelt, die Länder haben dazu Ausführungsgesetze beschlossen. Die Kreise und kreisfreien Städte müssen dort Betreuungsplätze bereitstellen (entweder in Kindertagesstätten – sogenannten KITAs – oder bei Tageseltern). Sollte Eltern ab dem ersten Lebensjahr des Kindes kein Betreuungsplatz zur Verfügung gestellt werden können, kann von diesen Schadenersatz in Höhe des Verdienstausfalls geltend gemacht werden. Die Kosten für die Kreise, kreisfreien Städte und Gemeinden im Bereich der Kinderbetreuung stiegen seit der Einführung des Rechtsanspruchs von 23,8 Milliarden auf 36,9 Milliarden Euro.

Bedarfsgerechte Kinderbetreuung

Der Rechtsanspruch ist zeitlich pro Tag oder Woche nicht begrenzt, sondern richtet sich nach dem individuellen Bedarf der Familie, er kann beispielsweise auch täglich zehn Stunden betragen. Vor der Einführung wurden unter fünf Prozent der unterdreijährigen Kinder fremdbetreut, nun sind es 36 Prozent.

Wer zahlt für die Betreuung?

Neben der finanziellen Herausforderung für die Kreise, kreisfreien Städte und Gemeinden sind vor allem die personellen Ressourcen ein großes Problem, bis zum Jahr 2030 werden in Deutschland ca. 300.000 neue pädagogische Fachkräfte benötigt.

Rechtsanspruch auf Ganztagesbetreuung auch für Grundschulkinder

Diese Problematik wird dadurch verschärft, dass die deutsche Bundesregierung – wie im Koalitionsvertrag festgelegt – ab dem Schuljahr 2026/2027 auch einen Rechtsanspruch auf einen Ganztagesbetreuungsplatz für jedes Grundschulkind einführen will, was den Bedarf an pädagogischem Fachpersonals zusätzlich enorm steigern wird.

Langfristige Überlegungen notwendig

Wie man am Beispiel Deutschland sieht, sind gesetzliche Schnellschüsse auch – oder vielleicht sogar besonders – in diesem Bereich kontraproduktiv. Vielmehr bedarf es langfristiger Überlegungen, die einerseits den Bedürfnissen der Eltern und – ganz wichtig – auch der Kinder und andererseits der Unternehmen und Betriebe nachkommen und vor allem für die Gemeinden als Kindergarten- und Schulerhalter finanziell und organisatorisch machbar sind. Deshalb müssen die Gemeinden auch an den Verhandlungstisch geholt werden, um eine gemeinsame Vorgehensweise zu besprechen und zu beschließen. Ansonsten drohen uns ähnliche Probleme wie in Deutschland.

Echte Wahlfreiheit für Frauen

Ein Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung ab dem ersten Geburtstag würde klarerweise zu einer verstärkten Erwerbstätigkeit von jungen Müttern führen, was positive Auswirkungen – beispielsweise im Bereich der Altersarmut von Frauen – hätte. Allerdings besteht die Gefahr, dass der Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung dazu führt, dass Frauen die Wahlfreiheit genommen wird und Druck auf sie ausgeübt wird, ab dem ersten Geburtstag ihres Kindes – unabhängig davon, ob sie das wirklich wollen und ob es für ihr Kind gut ist – wieder ins Erwerbsleben einzusteigen.

Kristina Mandl

Zur Autorin: Kristina Mandl ist Fachreferentin in der Abteilung Recht und Internationales des Österreichischen Gemeindebundes.

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