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Prozessfinanzierung Baukartell: Stolpersteine auf dem Weg zum Recht

In Österreich wurde das größte Kartell der Wirtschaftsgeschichte aufgedeckt, bei dem über 15 Jahre hinweg wettbewerbsbeschränkende Absprachen bei Vergabeverfahren von Bauaufträgen stattgefunden haben. Obwohl das Kartellgesetz Erleichterungen für die Geltendmachung von Schadenersatz vorsieht, ist es für viele Betroffene unklar, ob und in welchem Ausmaß sie geschädigt wurden. Eine Möglichkeit, das Risiko und die Kosten zu minimieren, besteht in der Inanspruchnahme eines Prozessfinanzierers, was allerdings aufgrund von Ausschreibungspflichten im Vergaberecht komplex sein kann.

Da ist das gesamte Ausmaß des größten Kartells der österreichischen Wirtschaftsgeschichte noch gar nicht absehbar, sind Betroffene und potentiell Geschädigte infolge der unklaren Verjährungsfristen bereits jetzt schon angehalten, allein aus Vorsichtsgründen Vorkehrungen zu treffen und möglichen Schadenersatzansprüchen nachzugehen.

Mehr als eine Milliarde Euro Schaden

Derzeitigen Schätzungen zufolge beläuft sich der Gesamtschaden durch die zumindest über 15 Jahre andauernden wettbewerbsbeschränkenden Absprachen bei Vergabeverfahren auf mehr als eine Milliarde Euro. Gleich ob Bund, Länder, Städte, Gemeinden, Gemeindeverbände, öffentliche oder ausgegliederte Unternehmen: jeder der im Zeitraum Juli 2002 bis Oktober 2017 Bauaufträge vergeben hat – vom Tiefbau bis zum Hochbau, vom Kanal- und Straßenbau bis zum Schulbau, von Aufträgen im Wert von ein paar hundert Euro bis zu Aufträgen von vielen Millionen Euro – ist potentiell Geschädigter.

Unklar, wer geschädigt wurde

Zwar hält das Kartellgesetz bestimmte Erleichterungen für die Geltendmachung von Schadenersatz parat. So stellt das Kartellgesetz die (widerlegbare) Vermutung auf, dass ein Kartell zwischen Wettbewerbern einen Schaden verursacht hat und wird die Rechtswidrigkeit des Verhaltens durch wettbewerbsbehördliche, kartell- und strafgerichtliche Entscheidungen bestätigt.

Wer aber überhaupt und in weiterer Folge hinsichtlich welcher Projekte und in welchem Ausmaß Betroffener bzw. Geschädigter ist, ist völlig unklar. Nachdem die kartellgerichtlichen (Geldbuß-)Entscheidungen bis dato nur auszugsweise Auftraggeber aufzählt, die von den Zuwiderhandlungen betroffen sind, wissen viele (Städte, Gemeinden, öffentliche Unternehmungen) gar nicht, ob sie von kartellrechtlichen Verstößen betroffen und weiterer Folge durch diese geschädigt wurden.

Damit stellt sich auch schon die Frage, wie ein vermeintlich Geschädigter zu seinem Schadenersatz kommt. Neben dem generellen Kosten- und Prozessrisiko kommt im Fall des Baukartells noch hinzu, dass viele Auftraggeber erst in Erfahrung bringen müssen, ob sie überhaupt und von welchen Bauunternehmen hinsichtlich welcher Bauaufträge sie geschädigt wurden (Anwaltskosten). In weiterer Folge muss die Höhe des Schadens erhoben werden (Gutachten) und der Schadenersatz vergleichsweise oder gerichtlich erstritten werden (Verfahrens- und Anwaltskosten).

Inanspruchnahme eines Prozessfinanzierers ist ausschreibungspflichtig

Um all dieses Risiko zu minimieren bzw. erst gar nicht aufkommen zu lassen, führt in vielen Fällen kein Weg vorbei, sich durch einen Prozessfinanzierer absichern zu lassen. Letztlich trägt dieser dann die Kosten und auch das Risiko, sichert sich aber freilich – dem Wesen und dem Geschäftsmodell der Prozessfinanzierung entsprechend – einen Anteil des „Erstrittenen“.

Nachdem das Vergaberecht für Überraschungen immer gut (oder weniger gut) ist und selbiges keine Ausnahme der Prozessfinanzierung vom Anwendungsbereich vorsieht, ist die Inanspruchnahme eines Prozessfinanzierers grundsätzlich ausschreibungspflichtig.  Was wie ein Schildbürgerstreich klingt, ist auch nach Meinung namhafter Experten im Bereich des Vergaberechts wohl tatsächlich so.

Das Problem dabei ist aber gar nicht so sehr die Ausschreibung selbst (die freilich an Komplexität nicht zu überbieten ist), sondern vielmehr die Tatsache, dass man als vermeintlich Geschädigter im Vorfeld einer Ausschreibung wissen sollte, wie hoch denn der geschätzte Auftragswert ist. Letztlich bestimmen die Schwellenwerte die möglichen und zulässigen Vergabeverfahren.

Zahlreiche Hürden

Anhaltspunkte dazu, was denn überhaupt der Auftragswert im Falle einer Prozessfinanzierung ist und wie er zu berechnen ist, lassen sich zwar aus dem Vergaberecht ableiten. So ist davon auszugehen, dass es sich dabei im Wesentlichen um die Provision des Prozessfinanzierers und damit um den zugesicherten Anteil am „erstrittenen“ Schadenersatz handelt.

Um aber zu wissen bzw. abzuschätzen, wie hoch die Provision ist, müsste der vermeintlich Geschädigte vorab prüfen, ob er überhaupt betroffen und inwieweit er geschädigt ist. Damit fielen aber nicht unwesentliche Kosten an, die die vermeintlich Geschädigten verständlicherweise einem Prozessfinanzierer auferlegen wollen.

Hinzukommt, dass Prozessfinanzierer nicht selten erst dann und zu guten Konditionen überhaupt nur dann Verträge abschließen, wenn sie hohe Volumina beieinanderhaben, die sie finanzieren können. Unsicherheiten auf Seiten der vermeintlich Geschädigten gibt es auch aufgrund des Umstandes, dass gar nicht klar ist, ob und in welchem Rahmen die Schwellenwerteverordnung verlängert wird, die dem derzeitigen Stand nach Ende Juni 2023 ausläuft, aber gerade in diesem Bereich ein wesentlicher Faktor ist.

Öffentliche Auftraggeber wurden jahrelang von Auftragnehmern in ordnungsgemäß durchgeführten Vergabeverfahren kartellrechtlich geschädigt und stolpern nunmehr an vergaberechtlichen Absurditäten bei der Geltendmachung ihres Schadenersatzanspruchs.“

Alles in allem lässt sich diese skurrile Situation derart zusammenfassen: Öffentliche Auftraggeber wurden jahrelang von Auftragnehmern in ordnungsgemäß durchgeführten Vergabeverfahren kartellrechtlich geschädigt und stolpern nunmehr an vergaberechtlichen Absurditäten bei der Geltendmachung ihres Schadenersatzanspruchs.

Gemeinsam mit dem Österreichischen Städtebund und dem Verband der öffentlichen Wirtschaft und Gemeinwirtschaft arbeitet der Österreichische Gemeindebund intensiv an einer Lösung dieses Problems – Kommunal wird berichten.

bernhard haubenberger rund

 

Über den Autor: Bernhard Haubenberger ist Fachreferent in der Abteilung Recht und Internationales des Österreichischen Gemeindebundes.

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