Dieser positive Befund lässt sich auch daran festmachen, dass Österreich mit jährlichen Pflegeausgaben von rund zwei Prozent (öffentlich und privat) des Bruttoinlandsprodukts gleich nach den skandinavischen und den Benelux-Ländern im europäischen Spitzenfeld liegt.
Die Taskforce Pflege legte mit 17 Zielsetzungen und 63 Maßnahmenvorschlägen sozusagen ein Zwischenresümee aus den umfangreichen Rückmeldungen und Forderungen der Stakeholder vor, das auch auf der Website des Sozialministeriums abrufbar ist.
Eine Einigung über ein Reformpaket stellt dieser Bericht jedoch nicht dar, sondern vielmehr eine Sammlung möglicher, teilweise noch recht abstrakt formulierter Reformansätze und Ideen.
Kernpunkte der Reform
Zentral sind die Stärkung der Pflegekräfte und eine Entlastung der pflegenden Angehörigen. Darüber hinaus möchte der Sozialminister (ähnlich wie im Gesundheitsbereich) auch für den Bereich der Pflege eine gemeinsame Zielsteuerung (Bedarfsplanung, Finanzierung, Vergleichbarkeit und Transparenz bei den Leistungen etc.) mit Bund, Ländern und Gemeinden einrichten.
Ähnlich sieht es der Österreichische Gemeindebund: Die drei zentralen Herausforderungen, denen man sich im Rahmen des Reformprozesses stellen muss, sind aus kommunaler Sicht:
- Deckung des deutlich steigenden Bedarfs an Pflege- und Betreuungspersonal sowie Entlastung der Pflegeberufe von Administrativaufgaben und Dokumentationspflichten.
- Pflegende Angehörige entlasten, besser informieren und sozialrechtlich absichern, um somit das familiäre Pflegepotenzial so gut wie möglich zu erhalten.
- Sicherstellung einer nachhaltigen Finanzierung, wobei künftig angesichts der Herausforderungen eine wesentlich höhere Finanzierungsbeteiligung des Bundes als bisher erforderlich sein wird.
Bei der vom Bund geplanten gemeinsamen Bedarfsplanung und Zielsteuerung und bei vielen anderen Themen (u. a. die vom Bund gewünschte Community Nurse) wird der Sozialminister beim Wort zu nehmen sein: „Es wird keine Umsetzung am Schreibtisch sein, sondern eine, die mit den Betroffenen akkordiert ist“ (APA, 18.2.2021). Denn schließlich enthält der Bericht auch Vorschläge, die das aktuelle Leistungsangebot (auch abseits der Pflege) deutlich erweitern, und die Sorge ist nicht unbegründet, dass Harmonisierungsmaßnahmen (Schlüssel, Qualitätskriterien etc.) zumeist zu einem Nivellieren nach oben und deutlich steigenden Kosten führen.
Weiterer Zeitplan der Reform
Laut Sozialministerium soll es nun rasch in technische und politische Gespräche zur Umsetzung verschiedener Vorschläge gehen. Noch heuer aufgesetzt werden soll die sogenannte „Zielsteuerungskommission Pflege“, in der Bund, Länder, Gemeindebund und Städtebund vertreten sind und die auch das Format für die Reformdiskussion darstellt – wobei auch die Trägerorganisationen mit am Tisch sitzen sollen. Bis zum Sommer sollen die einzelnen Etappen der Reform fixiert sein, im Herbst soll dann das Thema der langfristigen Finanzierung des Pflegesystems angegangen werden.
Herausforderungen in Zahlen
Die dargestellten statistischen Daten und Prognosen sollen auch zahlenmäßig verdeutlichen, wie groß die aktuellen Herausforderungen bereits sind und künftig noch werden:
- Der Anteil der Generation 80+ liegt aktuell bei rund fünf Prozent der Gesamtbevölkerung, er wird sich in den nächsten 30 Jahren verdoppeln. Hinzu kommt, dass mit dem stetigen Anstieg demenzieller Erkrankungen auch eine deutliche Erhöhung der Pflege- und Betreuungsintensität einhergeht.
- Jährlich steigt die Anzahl von Personen über 65 Jahren, die in einem Einzelhaushalt leben, um zwei bis drei Prozent an. Im Jahr 2030 werden es laut Statistik Austria rund 677.000 solcher 65+-Singlehaushalte sein (aufgrund der höheren Lebenserwartung zu rund 70 Prozent Frauen). Auch dies trägt dazu bei, dass Pflege und Betreuung innerhalb der eigenen Familie stetig abnehmen und die Inanspruchnahme von Pflegeleistungen (siehe auch die beigefügte Entwicklung 2013-2018) deutlich steigt.
- Im Rahmen der 2019 durchgeführten Personalbedarfserhebung für das Jahr 2030 wurde prognostiziert, dass der zusätzliche Personalbedarf im Langzeitpflegebereich – ohne Nachbesetzungen – gegenüber dem Jahr 2017 bei rund 21.000 Personen liegen wird. Inklusive Nachbesetzungen dürften es fast 40.000 Personen sein, die in den nächsten zehn Jahren für eine Pflegeausbildung und einen Pflegeberuf begeistert werden sollten. Hinzu kommt, dass es auch in den Spitälern großen Mehr- und Ersatzbedarf beim Krankenpflegepersonal gibt.
- Obwohl die Entlohnung bei der Frage der Attraktivierung der Pflegeberufe nicht die primäre Rolle spielt, wird dennoch der Wunsch nach höheren Gehältern (auch im Lichte der Pandemie) wachsen. Darüber hinaus wird es Modellen bedürfen, die etwa Quereinsteigern nicht nur die Ausbildungskosten, sondern auch einen gewissen Lebensunterhalt ermöglichen.
- Die Bruttoausgaben für Betreuungs- und Pflegedienste betrugen im Jahr 2018 rund 3,9 Milliarden Euro, davon gut 80 Prozent für den stationären Bereich. Die Dienste der Langzeitpflege wurden laut Statistik Austria zu 59 Prozent von den Ländern und Gemeinden, zu 36 Prozent von den betreuten/gepflegten Personen (v. a. Pensionen und Pflegegeld) und zu 5 Prozent aus sonstigen Quellen finanziert.
- Zwischen 2013 und 2018 sind die Nettoausgaben der Länder und Gemeinden für Pflegesachleistungen um über 35 Prozent auf 2,1 Milliarden Euro angestiegen, während Maßnahmen des Bundes wie die stärkere Berücksichtigung demenzieller Erkrankungen bei der Pflegegeld-Einstufung oder eine substanzielle Erhöhung desselben auf sich warten lassen.
Zum Autor: Konrad Gschwandtner ist Fachreferent der Abteilung Recht und Internationales beim Österreichischen Gemeindebund.