Monatelang war die Impfdebatte eher eine Neiddebatte. Dann kam die 180 Grad-Drehung: Seit es mehr Impfstoff als Impfwillige gibt, fragen sich Verantwortliche in Bund und Ländern, wie die Impfrate weiter gesteigert werden kann. Experten sagen, dass eine Durchimpfungsrate von mehr als 85 Prozent nötig ist, um gegen die Delta-Variante vor weiteren Lockdowns gewappnet zu sein.
Am 18. Juli hat der Gesundheitsminister eine wichtige Zwischenetappe verkündet: Vier Millionen Menschen oder 51 Prozent der impfbaren Bevölkerung sind in Österreich vollimmunisiert. Die Freude über das Zwischenziel war groß. Längst vergessen waren die aufgeregten Debatten um Impfvordrängler und die Vorreihung von Berufsgruppen.
Die meisten Bundesländer haben schon vor Wochen ihre Impfanmeldungen für alle Altersgruppen aufgemacht. Jetzt hat sich das Impftempo aber reduziert. Über die Gründe wird reiflich nachgedacht und manchmal wird es auch auf das schöne Wetter, die Sonne und den bevorstehenden Urlaub, den man sich nicht durch eine Impfung vermiesen lassen will, geschoben.
Klar ist allen: Die Impfung ist und bleibt der „Game-Changer“. Sie schützt – nach aktuellem Stand – auch vor der Delta-Variante und zeigt auch bereits deutlich ihre Wirkung. Beim Blick in die Spitäler und in die Intensivstationen zeigt sich, dass die Impfungen vor allem in den vulnerablen Gruppen am besten zu wirken scheinen. Die Spitäler waren im Juli – im Vergleich zu den vergangenen Monaten – regelrecht leer. Es ist also genau das eingetroffen, was man mit der Impfung immer bezwecken wollte.
Junge lassen sich weniger impfen
Heute ist jedenfalls mehr Impfstoff da, als gerade gebraucht wird. Über die Gründe, warum sich auf den letzten steilen Kilometern des Impf-Marathons jetzt weniger Menschen impfen lassen, kann man trefflich diskutieren. Klar ist, dass vor allem die jüngere Generation auf der Bremse steht, wenn es ums Impfen geht. Nach der Öffnung der Nachtgastro mit 1. Juli kehrte auch wieder mehr Partyleben in die Städte zurück und damit auch das Coronavirus.
Gemeinden wurden kreativ
Die langsam, aber doch steigenden Inzidenz-Zahlen und die im Juli vereinzelt aufgetretenen Corona-Cluster nach Partys unter Jungen haben die Bundesländer zur kreativen Lösungen veranlasst. So hat Wien etwa am Rathausplatz eine Impfbox eingerichtet, die das Impfen ohne Termin ermöglicht. Der Ansturm war so groß, dass sogar die Polizei einschreiten musste. Ähnliche Ereignisse gab es auch in anderen Bundesländern, wie etwa beim Impfwochenende in Tirol, wo sich an einem Sonntag 13.000 Menschen spontan für eine Impfung entschieden haben.
Dass die Kreativität keine Grenzen kennt, zeigen das Impfboot an der Alten Donau oder die Impfstraße im Wiener Stephansdom, wo es mit dem Segen von oben ein niederschwelliges Impfangebot gibt.
Verstärkte Kontrolle der 3G-Regel
Zusätzlich zu den niederschwelligen Angeboten, die alle Hürden der Anmeldung, die manche Bürger offenbar von der Impfung abgehalten haben, aus dem Weg räumt, wird auch die verstärkte Kontrolle der 3G-Regel und der Fokus auf PCR-Tests in der Nachtgastronomie einen Beitrag zur Hebung der Impfmoral leisten.
Der Epidemiologe Gerald Gartlehner äußerste bereits im Ö1-Morgenjournal vom 23. Juli auch seine Sorge bezüglich einer vierten Welle. Die Zahlen würden aufgrund der Delta-Variante weiter steigen, sagte er voraus. Doch das Risiko der Überlastung des Gesundheitssystems sei laut dem Wissenschaftler aufgrund der höheren Impfraten in den vulnerablen Gruppen sehr gering.
Diskussion über Impfpflicht
Mitte Juli nahm aber auch die Diskussion um eine Impfpflicht an Fahrt auf. Wurde der steirische Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer noch im Frühjahr für seine Aussagen, dass man über eine Impfpflicht für bestimmte Gruppen nachdenken sollte, gescholten, wurde die Diskussion zu dieser Frage im Juli immer breiter und auch erste Maßnahmen wurden gesetzt. So werden etwa in der Steiermark geimpfte Personen bei Neuanstellungen im Bildungsbereich bevorzugt.
Auch in Wien müssen ab Herbst bei Neuanstellungen in den Kindergärten Impfnachweise vorgelegt werden. Für Spitäler und Pflegeheime haben mehrere Bundesländer Maßnahmen gesetzt.
Und in Frankreich müssen sich bis 15. September alle Beschäftigten in Krankenhäusern und Pflegeheimen impfen lassen. Wer nicht will, wird vom Dienst freigestellt. Die Ankündigung des französischen Präsidenten hat innerhalb weniger Tage Hunderttausende Franzosen zur Impfung bewegt.
Impfpflicht emotionalisiert
In den Debattenbeiträgen zur Impfpflicht in Österreich war eine große Emotionalisierung spürbar, die eine sachliche Auseinandersetzung nicht unbedingt vereinfachte.
Klar ist aber, dass es die gesellschaftspolitische Debatte rund um die Impfpflicht für verschiedene Berufsgruppen und auch über Vorteile für Geimpfte ehrlich und transparent braucht. Ein Schnellschuss zur Pflicht noch vor Beginn des Schuljahres wäre rechtlich wahrscheinlich schwer durchführbar und würde auch das Ziel einer hohen Durchimpfung in weitere Ferne rücken, weil sich dann der Widerstand verstärken könnte.
Auch Bildungsminister Faßmann betonte, dass die Durchimpfung bei den Lehrern durchaus bei 80 Prozent plus liege und damit schon höher als in anderen Bereichen sei. Auch verwies er darauf, dass die Diskussion breiter geführt werden müsse und sicherlich nicht in wenigen Wochen abgeschlossen sei. Aber bei den Vorteilen und Erleichterungen für Geimpfte ist noch etwa Luft nach oben. Auch in Deutschland wird etwa diskutiert, ob es für Geimpfte einfachere Einreiseregelungen und damit keine Quarantäne- oder Testpflicht geben solle.
Die Richtung stimmt
Einen Sommer wie damals haben Regierungsvertreter herbeigesehnt und in vielen Bereichen war es auch möglich, wieder zu gewohnten Abläufen zurückzukehren. Kleine und auch größere Veranstaltungen sorgten im Sommer wieder für mehr Geselligkeit. Klar war allen stets, dass die Öffnungsschritte und das Fallen der Masken im Juli in Verbindung mit der ansteckenderen Delta-Variante für steigende Zahlen sorgen werden.
Der Blick in die Spitäler zeigt deutlich, dass die Impfung wirkt. Nun zeigt sich jedenfalls, dass das Ziel des Marathons gegen das Coronavirus schon in Sichtweite ist. Aber am Weg dorthin liegen noch einige anstrengende Bergwertungen, die einem viel Kraft und Energie rauben können. Der Weg zur neuen Normalität mit dem Virus ist noch gepflastert mit vielen Fragezeichen, vor allem mit der Sorge vor neuen Virus-Variationen aus Ländern, wo wenig geimpft wurde. Der Grundsatz für uns muss sein, mit einer Impfung sich selbst und auch andere vor schweren Verläufen der Erkrankung zu schützen.