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Frauen an der Gemeindespitze: Vernetzung stärkt, reicht aber nicht!

Von 11. bis 12. April fand in Wien zum zweiten Mal die Bundestagung der Bürgermeisterinnen statt, an der erstmals auch Vizebürgermeisterinnen teilnahmen. Der Einladung von Schirmherrin Doris Schmidauer und Gemeindebund-Präsidentin Andrea Kaufmann folgten rund 150 Bürgermeisterinnen und Vizebürgermeisterinnen. Bundespräsident Alexander Van der Bellen und Wiens Bürgermeister Michael Ludwig freuten sich, die Räumlichkeiten der Tagung – das Wiener Rathaus und die Hofburg – zur Verfügung zu stellen und sprachen den Kommunalpolitikerinnen damit ihre Anerkennung aus. Als Ehrengäste nahmen auch Bundeskanzler Karl Nehammer, Bundesratspräsidentin Bürgermeisterin Margit Göll und Frauenministerin Susanne Raab an der Tagung teil.

Social Media als Chance

Bereits beim Abendempfang von Bürgermeister Michael Ludwig im Wiener Rathaus gab es reichlich Input, der zum Diskutieren und Nachdenken anregte. Ludwig betonte die verschiedenen Lebensrealitäten von Frauen, die sich in der politischen Repräsentation widerspiegeln sollten: „Frauen sind nicht einfach Frauen. Sie sind unterschiedlicher Herkunft und haben unterschiedliche Erfahrungen, sind unterschiedlich stark benachteiligt und haben unterschiedliche Bedürfnisse. Diese sollten aber alle von der Politik gesehen und vertreten werden!“

Zur Einstimmung auf die inhaltlichen Themen der Tagung gab Anna Storrer, 1. Vizepräsidentin des Verwaltungsgerichtshofes einen historischen Überblick über die Gleichberechtigung von Frauen vor dem österreichischen Recht. Sie zählte dabei Meilensteine auf, wie etwa die Einführung des Wahlrechts für Frauen 1918, die Familienrechtsreform der 70er Jahre oder das Gleichbehandlungsgesetz 1993.

Die Journalistin und Expertin für Hass im Netz, Ingrid Brodnig, nahm die Teilnehmerinnen in ihrem Vortrag mit in einen konkreten und wachrüttelnden Einblick in die Sozialen Medien. Welche Risiken einerseits und Chancen andererseits Social Media speziell für Kommunalpolitikerinnen darstellen, wurde anhand von konkreten Beispielen aufgezeigt. Das Fazit: Frauen sind in den Sozialen Medien besonders vielen Anfeindungen ausgesetzt, was strafrechtlich leider nicht immer verfolgbar ist. Dennoch kann Social Media auch dafür nützlich sein, der Diskriminierung von Frauen gezielt entgegenzuwirken und, im Falle von Kommunalpolitikerinnen, eine große Reichweite für Frauen und ihre Vorbildwirkung erzielen. „Man kann Facebook und Co. super nutzen, um mal öffentlich zu zeigen, wie viele Aufgaben man als Bürgermeisterin eigentlich übernimmt und damit den Kritikern ein Stück weit entgegentreten“, so Brodnig.

Bei einer abschließenden Talkrunde diskutierten Anna Sporrer, Ingrid Brodnig, Politikwissenschaftlerin Kathrin Stainer-Hämmerle und die Vorsitzende des Arbeitskreises „Frauen in der Kommunalpolitik“ des Deutschen Städte- und Gemeindebundes Ramona Schumann über mögliche Hebel, um den Frauenanteil in der Politik zu erhöhen. Die Argumente aus Sicht von Wissenschaft, Recht, Bundes- und Kommunalpolitik bewegten sich vor allem um die Fragen, was Frauen selbst machen können, und wie sich die Rahmenbedingungen ändern müssen. Hindernd sind demnach oft fehlendes Selbstbewusstsein von Frauen, männlich geprägte Parteikulturen, die Vereinbarkeit von Familie, Amt und Beruf. Als förderlich für mehr politische Partizipation wurden das Internet und die sozialen Medien genannt, wo Vorbilder eine gute Plattform haben. Auch die direkte Ansprache von Frauen und gegenseitige Unterstützung von Frauen ist hilfreich. Gleichzeitig wurde betont, dass Frauenförderung nicht nur Frauensache ist. So gut exklusive Frauenveranstaltungen auch sind, schlussendlich müsse man sich Verbündete suchen und auch bei den Männern eine Sensibilisierung für Themen der Gleichberechtigung erreichen. Ingrid Brodnig warf den Vorschlag ein, Social Media Schulungen in Gemeinden zu fördern und Kommunalpolitikerinnen auf Social Media als Vorzeigebeispiele vor den Vorhang zu holen.

Spitzenpolitik mit Wertschätzung für Frauen in Gemeinden

Das Haupttagungsprogramm ging am Freitag in der Wiener Hofburg auf Einladung der Schirmherrin Doris Schmidauer über die Bühne. Wir starteten mit hohem Besuch – Bundespräsident Alexander Van der Bellen begrüßte die Bürgermeisterinnen und Vizebürgermeisterinnen als Hausherr, darauf folgten Begrüßungsworte von Doris Schmidauer. Beide betonten die immer noch herrschenden ungleichen Voraussetzungen von Männern und Frauen und sprachen den Kommunalpolitikerinnen ihren Dank für deren Engagement aus. Schmidauer: „Es gilt, männlich geprägte Umgangsformen mit den uns bereits bekannten Hebeln aufzubrechen.“ Damit nahm sie Bezug auf die Rahmenbedingungen in der Politik, betonte aber auch, dass man Frauen aktiv Mut zusprechen müsse, nach dem Motto: „I dare, I can, I will.“

Bundeskanzler Karl Nehammer dankte der Initiatorin des österreichischen Bürgermeisterinnen-Netzwerks, Sonja Ottenbacher. Er sprach auch die finanziellen Sorgen der Gemeinden an, sowie die Schwierigkeiten von Frauen durch ihre Mehrfachbelastung. Auch der Kanzler mahnte zu einer Veränderung von Sitzungskulturen – mehr im Sinne von nordischen Polit-Kulturen, die mit flexiblen und kreativen Lösungen vorangehen. Gemeindebund-Präsident Johannes Pressl betonte in seinem Begrüßungs-Statement die Bedeutung von Vernetzung und Austausch unter Amtsträgerinnen.

Auch Frauenministerin Susanne Raab zeigte die Relevanz von weiblicher Partizipation in der Politik auf, da diese sich direkt auf das Leben der Menschen auswirkt und wertvoll für die Demokratie und den Staat ist. Einer der wichtigsten Hebel sei die Vorbildwirkung von Frauen in Spitzenämtern, die sich auch in der medialen Berichterstattung niederschlägt. Sie erwähnte auch das Projekt „Girls in Politics“, das aus der letzten Bürgermeisterinnen-Tagung hervorgegangen ist und in Kooperation der Sektion für Gleichstellung im Bundeskanzleramt und dem Österreichischen Gemeindebund stattfindet.

Persönliche Ansprache für Nachwuchsförderung

Politikwissenschaftlerin Kathrin Stainer-Hämmerle präsentierte eine aktuelle Studie, die vom Österreichischen Gemeindebund in Auftrag gegeben wurde. Es wurden Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sowie Vizebürgermeisterinnen aus ganz Österreich befragt. Die wichtigsten Ergebnisse: Die Wahrnehmungen von Frauen und Männern unterscheiden sich signifikant. Hier müsse man ansetzen und auch Männer für mehr Gleichberechtigung sensibilisieren.

Die persönliche Ansprache ist laut Studie das wichtigste Instrument für Frauen- und Nachwuchsförderung. Insgesamt waren Frauen kritischer, wenn es um Maßnahmen zur Nachwuchsförderung geht. Sie wünschen sich mehr Unterstützung durch Parteien und Gemeindepolitik für Jugendliche und Frauen. Frauen sehen niederschwellige Angebote der Nachwuchsförderung wirkungsvoller als Männer. Interessant ist, dass die Frauenquote in der Politik sowohl von Frauen als auch von Männern skeptisch gesehen wird. Derselben Meinung sind die Geschlechter auch, wenn es darum geht, dass Frauenförderung nicht nur die Verantwortung von Frauen ist.

Zwei Handlungsempfehlungen

Die Studie bestätigt zwei Problemfelder: „Entweder gibt es zu wenig Frauen, oder sie wollen nicht. Wenn es sie nicht gibt, ist etwas an den Rahmenbedingungen zu ändern. Wenn sie aber da sind, aber nicht wollen, so braucht es mehr aktive Maßnahmen des Empowerments, z.B. der persönlichen Ansprache“, so Kathrin Stainer-Hämmerle.

Ein interessantes Ergebnis: die Mehrheit der befragten Vizebürgermeisterinnen hat keine Ambition auf das Bürgermeisterinnen-Amt. Die Gründe dafür sind vielfältig, die Vereinbarkeit von Amt und Familie ist jedoch weniger relevant. Bei den Belastungen im Amt sieht man: die befragten Männer leiden grundsätzlich mehr. Die Bürokratie wird von Männern stärker als Belastung empfunden. Frauen leiden hingegen stärker unter männlich geprägten Sitzungs- und Parteikulturen.

Empfehlungen aus Deutschland und der Schweiz

Die deutsche Politologin Helga Lukoschat und der Schweizer Forscher Dario Wellinger gewährten uns einen Einblick in die Situation der Frauenbeteiligung in unseren beiden Nachbarländern. Hier zeigte sich, dass der Anteil der Frauen in Deutschland ebenso zu wünschen übriglässt und dass sich der Anstieg sehr langsam gestaltet. Auch bei unseren deutschen Nachbarn leiden die Kommunalpolitikerinnen unter gestiegenen Belastungen. Das Fazit lautet: es gibt Aufholbedarf bei der Frauenförderung. Die Hebel sind bereits bekannt: Sichtbarkeit von Frauen erhöhen – etwa durch Kampagnen, Vereinbarkeit von Amt, Beruf und Familie fördern, Schutz vor Hass und Angriffen, Netzwerke bilden und parteiübergreifende und überregionale Unterstützung von Frauen.

Dario Wellinger vom Zentrum für Verwaltungsmanagement der FH Graubünden berichtete von einer Schweizer Studie, bei der politische Nachwuchsbestrebungen erforscht wurden – die Ergebnisse zeigten, dass die Kommunen große Probleme haben, junge Menschen für die Gemeindearbeit zu finden. Es wurden sowohl Kommunen als auch Jugendliche befragt. Hier zeigte sich, dass junge Menschen viel mehr niederschwellige Angebote und direkte Ansprache brauchen, um ihr Interesse für Kommunalpolitik zu wecken. Die Kommunen müssen sich aktiv darum bemühen, Junge in der Region zu halten und zu motivieren. Die FH Graubünden hat hierfür einen Leitfaden für Gemeinden erarbeitet.

Praxisbericht als Motivation

Einen praktischen Einblick in den Alltag als Bürgermeisterin gewährten Gemeindebund-Vizepräsidentin Andrea Kaufmann und Bundesratspräsidentin Margit Göll. Beide stehen seit vielen Jahren an der Spitze einer Gemeinde und hatten es nicht immer leicht. Sie sprachen über die Herausforderungen im Amt, aber auch über die schönen Seiten des Gestaltens und das erfüllende Gefühl, wenn ein Projekt erfolgreich umgesetzt wird. Sie erwähnten auch die vielfältigen Aufgaben, die damit zusammenhängende Verantwortung, und wie man in der Rolle wächst. Andrea Kaufmann: „Das Geschäft der Politik lernt man nur in der Kommunalpolitik.“ Die Kommunalpolitik sei die beste Schule, um politische Mehrheiten und Kompromisse zu finden und Wechselwirkungen zu verstehen.

Um mehr junge Frauen für das Bürgermeister-Amt zu motivieren, brauche es Vorbildwirkung, so Margit Göll. „Ich habe Spaß, wenn ich gestalten kann, wenn ich Ansprechpartner für die Menschen bin, das ist sehr lohnend. Und das Herausfordernde kann man lernen“. Dies müsse man vor den Vorhang holen. Göll: „Frauen, glaubt an euch und macht euren Weg!“ Andrea Kaufmann betonte auch die Rolle von Vorbildern für Kinder und besonders Mädchen. Auch in der Verwaltung und im Gemeinderat müsse man sich bemühen, mehr Frauen zu gewinnen.

Silvia Drechsler, Vizebürgermeisterin von Mödling (NÖ) und die Vizebürgermeisterin von Ottensheim (OÖ), Michaela Kaineder, berichteten aus der Sicht aus der 2. Reihe. Sie beklagten, dass man als Bürgermeister-Stellvertreterin oft nicht miteingebunden wird oder wenig Wertschätzung für die geleistete Arbeit erhält. Gleichzeitig hoben sie auch die schönen Seiten hervor. Drechsler: „Es ist so eine schöne Aufgabe, man kann so viel gestalten und weitergeben – viel mehr noch als in der Privatwirtschaft.“ Kaineder: „An diesem Berufsbild ist besonders schön, welche Bandbreite an Themen man bedient und dass man mit Menschen in Kontakt kommt, um für sie direkt zu gestalten. Wir haben eine Strahlkraft für die Menschen, auch um ihr Interesse an der Politik zu wecken.“

Was wünschen sich junge Frauen?

Um die Sicht der Jugend drehte es sich in einer Podiumsdiskussion, zu der junge, politisch engagierte Frauen geladen waren: Lena Schilling (Klimaaktivistin und Grünen-Spitzenkandidatin für die EU-Wahl, Flora Schmudermayer (ehemalige Bundesschulsprecherin) und Sonja Jöchtl (Gründerin von Love Politics) erzählten, warum sie sich politisch engagieren und was es braucht, um weitere junge Frauen zu gewinnen. Demnach braucht es schon früh Kontakt mit der Politik, bestenfalls bereits in der Schule.

Einen Rückblick boten die zwei Ex-Bürgermeisterinnen Angelika Schwarzmann und Sonja Ottenbacher. Sie erzählten vom steinigen Weg, den sie als Pionierinnen vorangegangen sind. Ihr Fazit: Frauen müssen sich gegenseitig unterstützen. Sonja Ottenbacher schlug zudem vor, Anlaufstellen für die emotionale Unterstützung von Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern zu schaffen.

Zum Abschluss resümierten Schirmherrin Doris Schmidauer, Gemeindebund-Vizepräsidentin Andrea Kaufmann, Bundesratspräsidentin Margit Göll und Susanne Hoyer von der deutschen Plattform „Frauen führen Kommunen“, die Erkenntnisse der Tagung. Die Schlussfolgerung: Frauen müssen Frauen fördern – doch nicht nur sie. Auch im Rahmen anderer kommunaler Veranstaltungen – etwa dem Österreichischen Gemeindetag – würde es sich anbieten, Fragen der Gleichberechtigung zu thematisieren und dadurch auch die männlichen Politiker zu sensibilisieren. „Wir müssen die Männer in die Verantwortung ziehen“, so Doris Schmidauer. Andrea Kaufmann zog zwei Learnings aus der Tagung: „Einerseits müssen wir in den eigenen Gemeinden und im Gemeindebund stärker auf junge Menschen zugehen und ansprechende Formate schaffen. Andererseits müssen wir bestehende Formate nutzen, um mehr Bewusstsein zu schaffen.“

Aktuell gibt es in Österreich 227 Bürgermeisterinnen. Von insgesamt 2.093 Gemeinden sind das 10,8 Prozent. Die meisten weiblichen Bürgermeister gibt es in NÖ (83), gefolgt von Oberösterreich (49), der Steiermark (26) und Tirol (21). Im Burgenland gibt es aktuell 17, in Salzburg 14, in Kärnten 10 und in Vorarlberg 7 Bürgermeisterinnen. Betrachtet man die Gesamtzahl der Kommunalpolitikerinnen in Österreich, so zeigt sich ein durchaus starker Frauenanteil: Aktuell gibt es rund 500 Vizebürgermeisterinnen und rund 10.300 Mandatarinnen (von insgesamt 39.330) in den 2.093 Gemeinden in ganz Österreich. Zusammengerechnet sind also rund 26 Prozent aller Kommunalpolitiker*innen Frauen.

Eva Schubert

Eva Schubert

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