Anlässlich des Europatages, der am 9. Mai begangen wird, wurde Europaministerin Karoline Edtstadler von Kommunalnet und dem Kommunal-Magazin zum Interview gebeten. Mit dem Europatag gedenkt man der Schuman-Erklärung, die in der Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) mündete. Diese sollte nämlich den Grundstein der heutigen Europäischen Union bilden.
Bundesministerin Karoline Edtstadler, zuständig für EU und Verfassung, ist jüngst zweimal mit Bürgermeister/innen in den Schlagzeilen gewesen. Zum einen wegen des Neustarts der erfolgreichen Initiative der „Europa-GemeinderätInnen“ und zum anderen mit dem Entwurf zum Informationsfreiheitsgesetz.
Europa fängt in der Gemeinde an
Frau Ministerin, Sie haben vor Kurzem die Initiative EU-GemeinderätInnen aus dem Außenministerium (BMeiA) übernommen. Diese Initiative ist von Anfangs rund 200 auf mittlerweile deutlich über 1000 gewachsen. Was sind ihre Ziele mit der Initiative? Oder soll bei 2095 EU-Gemeinderät/innen Schluss sein?
Ich habe die Initiative von Beginn dieser Regierung an gemeinsam mit dem BMeiA intensiv betreut und vorangetrieben. Jetzt ist sie federführend im Bundeskanzleramt, aber natürlich setzt auch das Außenministerium Angebote und Initiativen. Wir behandeln weiterhin Themen gemeinsam, wie zum Beispiel die Westbalkan-Erweiterung oder den Brexit.
Mein Ziel ist, in jeder Gemeinde zumindest eine EU-Gemeinderätin oder einen EU-Gemeinderat, wenn möglich aber natürlich einen von jeder im Gemeinderat vertretenen Partei, zu haben. Bei 2095 ist also nicht Stopp. Nach oben hin gibt es keine Grenze, und wir konnten ja schon dreistellige Zuwächse bei den eingetragenen EU-Gemeinderäten verzeichnen.
Auf der neuen Website europagemeinderaete.at heißt es, dass die EU-GemeinderätInnen den „European Spirit“ weitergeben sollen. Das stelle ich mir ziemlich schwierig vor, weil das vermutlich für jeden etwas anderes sein wird. Was ist beispielsweise für Sie der European Spirit?
„In Vielfalt geeint” ist der European Spirit. Das ist auch das, was uns als Europäische Union stark macht. Jeder Mitgliedsstaat, jede Region und jede Gemeinde bringt eine eigene Kultur und Sprache mit sich und hat unterschiedliche Traditionen. Dieser Spirit ist ungeachtet von Krisen immer da und immer spürbar, nur müssen wir ihn manchmal ein bisschen entstauben. Die Union hat manchmal das Dilemma, dass Dinge, die funktionieren, als selbstverständlich hingenommen werden.
Die Regierungen in Polen und Ungarn beispielsweise halten weniger von Diversity. Deren eigenwillige Politik birgt viel Sprengkraft für die EU. Wie sollen EU-Gemeinderäte so etwas kommunizieren?
Die EU-Gemeinderäte haben in Österreich vor allem die Aufgabe, die Idee Europa bzw. die Initiativen, die es auf europäischer Ebene gibt, auch tatsächlich unter die Menschen zu bringen. Die Europäische Union ist weder in Brüssel, noch in Straßburg. Sie ist da, wo die Menschen Probleme haben, wo sie Lösungen wollen, wo es auch Förderungen für Projekte abzuholen gibt. Darüber wollen wir die EU-Gemeinderäte informieren und ihnen das entsprechende Wissen und die notwendigen Instrumente zur Verfügung stellen, ihnen als Ansprechpartner dienen und sie aktiv in ihrer Arbeit unterstützen. Dann ist es auch viel leichter diesen European Spirit zu leben und sichtbar zu machen, als wenn immer nur dann auf die EU geschaut wird, wenn etwas nicht funktioniert.
Wir haben insbesondere während der Krise gesehen, dass wir Dinge, wie zum Beispiel offene Grenzen, längst als ganz selbstverständlich hingenommen haben. Andererseits verhehle ich nicht, dass wir natürlich innerhalb der Europäischen Union auch Politikfelder haben, die insbesondere in der letzten Zeit schwierig waren. Ich denke an die Verhandlungen um das Budget. Da haben wir zuerst einen großen Erfolg erzielt, dann gab es die mühsame Diskussion um Konditionalität und Rechtsstaatlichkeit und die Frage, ob Polen und Ungarn mitstimmen oder das gesamte Budget blockieren. Ich bin froh, dass wir diese Themen überwunden haben.
Was die Rechtsstaatlichkeit in Polen oder Ungarn betrifft, habe ich immer eine klare Linie verfolgt. Wir müssen ständig unsere gemeinsamen europäischen Werte verteidigen und sie weiterentwickeln. Und wir müssen auch schauen, dass niemand zurückbleibt, oder den Weg verlässt.
Auf der Europagemeinderäte-Homepage steht, dass jeder EU-Gemeinderat mindestens einmal nach Brüssel kommen sollte, und dass diese Reisen gesponsert werden. Früher war im Gespräch, dass auch Schulklassen nach Brüssel kommen sollen. Ist angedacht, dass das ausgeweitet wird?
Ich unterstreiche das voll und ganz. Es ist im Regierungsprogramm enthalten, dass Schülerinnen und Schüler im Alter zwischen 15 und 20 Jahren vermehrt nach Brüssel gebracht werden sollten. Wir wollen natürlich auch, dass Gemeinderätinnen und Gemeinderäte von unserem Angebot Gebrauch machen.
Vor dem Hintergrund von Covid-19 mussten wir nur leider sehen, dass die Reisen nicht möglich waren, dafür finden diese als Ersatz nun teilweise in digitaler Form statt. Unter Normalzeiten ist das eines der zahlreichen Angebote für die EU-Gemeinderäte. Ich habe es selbst als Studentin erlebt. Wenn man einmal bei einer Institution war, in meinem Fall war das damals eine des Europarats, dem EGMR, dann hat man einfach eine konkrete Vorstellung, und man weiß, was sich dort abspielt.
Sie meinen im Interview in der ersten Ausgabe der Zeitung „Unser Europa, unsere Gemeinde“, dass Sie „mehr Begeisterung für die EU brauchen. Wie sollen die EU-Gemeinderät/innen das vermitteln?
Indem wir breit informieren, können wir aktiv gegen Desinformation vorgehen und man bekommt ein klareres Bild von den oft komplexen Abläufen in Brüssel. Damit kann die Kritik, die ja in vielen Fällen auch notwendig und berechtigt ist, ausbalancierter formuliert werden. Ein direktes Feedback ist auch unglaublich wichtig für meine Arbeit. Das habe ich auch bei meinen Österreich-Dialogen gemerkt, zu denen ich im Juni letzten Jahres, im Vorfeld der Konferenz zur Zukunft Europas geladen habe.
Es ist sehr viel Wissen da, aber sehr oft hat ein Ankerpunkt gefehlt, wo man nachfragen kann. Wo bekommt man detailliertere Informationen, oder auch einmal etwas erklärt, wenn man etwas nicht weiß? Wo kann man Kritik anbringen? Wo soll man sich hinwenden oder wie soll man jemanden beraten? Das muss besser werden, daran arbeite ich. Alleine schon durch diese Dinge entsteht wieder mehr positiverer Zugang.
Auf ein vergilbtes Pickerl, auf dem „Unterstützt mit Mitteln der Europäischen Union“ steht, achtet kaum jemand. Wenn man aber immer wieder verdeutlicht „diese Straße gibt es nur, weil sie durch die Europäische Union kofinanziert wurde“, dann ist das Verständnis ein anderes, und dann reden die Leute auch anders, weil sie plötzlich Beispiele dafür nennen können, was die EU macht.
Laut der von Ihnen zitierten Eurobarometer-Umfrage treten 70 Prozent der Befragten für eine Veränderung der EU ein. Wurde da auch gefragt, was die Menschen verändert haben wollen?
Es ist abgefragt worden, ob man mit der EU, wie sie derzeit gestaltet ist, zufrieden ist, oder ob es eine Veränderung braucht, und man sich dann vorstellen könnte aktiv mitzuarbeiten und mit den Inhalten d’accord zu gehen.
Die Menschen wollen Veränderung, ich will Veränderung und diese soll im Rahmen der Konferenz zur Zukunft Europas auch angestoßen werden.
Die EU-Gemeinderäte sollen auch „Stoff liefern“ für die Reformdiskussion im Vorfeld der geplanten Konferenz Zukunft Europa. Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Themen, bei denen Reformen wirklich wichtig wären?
Es sind sicher die großen Herausforderungen wie der Klimawandel oder Migration, die kein Mitgliedsstaat alleine lösen kann. Ein wichtiges Feld für eine notwendige, enge Zusammenarbeit ist außerdem die Digitalisierung. Denn es gibt eine Schattenseite der Digitalisierung, den Hass im Netz, da ist Kooperation unerlässlich. Dazu existiert auch ein konkreter Gesetzesvorschlag, den wir derzeit auf EU-Ebene bereits verhandeln.
Auch beim Thema Cyber-Security können wir von den Erfahrungen der anderen lernen. Es gibt keine Grenzen im Netz, da müssen wir zusammenarbeiten. Die Frage ist etwa, wie man Europa so aufstellen kann, dass man in einer Krise nicht von anderen Kontinenten oder Playern abhängig ist. Die Gefahr besteht, dass Medikamente ausgehen oder nur verzögert geliefert werden können. Da gibt es viele dazwischen gelagerte Themen, bei denen ich mir von den EU-Gemeinderäten nicht nur erwarte, sondern wo ich es schon erlebt habe, dass sie Ideen haben oder auf praktische Probleme hinweisen, die man zuvor gar nicht realisiert hat.
Ein kleines Beispiel: Ich habe Gespräche mit Gemeindevertretern aus Kärnten geführt, die mir erzählt haben: „Wir wissen, dass es tolle Fördertöpfe für grenzüberschreitende Radwege gibt, aber immer nur für zwei Länder. Wir haben hier ein Dreiländereck. Warum geht das nicht für drei Länder?“ Ich wusste bis dahin gar nicht, dass das nicht geht.
Ein anderes Beispiel: In Tirol wurde mir gesagt, dass zwar jeder Arbeiter auch in Deutschland arbeiten kann, es aber ein unglaublich bürokratischer Aufwand ist, dass man diese anmeldet und zurückmeldet, und dass da nach wie vor enorme Hürden gibt. Das erfährt man nur, wenn man mit den Leuten redet, die diese Probleme in ihrem täglichen Leben spüren.
Wenn Vorschläge für Themen kommen, werden die dann über die Homepage zu Ihnen geleitet, oder wie kommen Sie zu den Themen?
Es gibt unterschiedliche Kanäle. Einerseits die direkten Gespräche, die ich führe – physisch oder digital, in allen Bundesländern. Zudem starte ich eine monatliche „Europa-Sprechstunde“, eine regelmäßige Videokonferenz, wo ich direkt mit den EU-Gemeinderäten im Kontakt bin, die mir Anliegen der Bürgerinnen und Bürger in den Gemeinden und Regionen gleich weitergeben.
Wer bei der Konferenz zur Zukunft Europas direkt mitmachen will, hat auch die Möglichkeit, über eine Bürgerbeteiligungsplattform der Europäischen Kommission einzusteigen. Jeder und jede kann aber auch selbst Veranstaltungen abhalten und Ideen in der Schule, im Betrieb, im Verein sammeln und uns übermitteln. Dazu wird es eine Website geben, wo sämtliche Infos bereitstehen.
Es gibt natürlich auch immer die Möglichkeit mir ein E-Mail zu schreiben oder über mein Team einzuleiten, und wir schauen dann was wir machen können, wo die Probleme liegen, und wie wir helfen können. Alle Österreicherinnen und Österreicher sind dazu aufgerufen, am neuen Europa mitzuarbeiten. Dazu lade ich herzlich ein!
Sie sagen im Interview auch, dass „die Stärken Europas Europa zum Sehnsuchtsort für Millionen Menschen auf der ganzen Welt machen. Und dass sie diese Menschen schützen und mit ihnen mutig in die Zukunft gehen.“ Und dann liest man von Schülern, die abgeschoben werden, weil sie keinen Platz haben. Das Bild wackelt ein bisschen.
Europa ist ein Sehnsuchtsort für Millionen von Menschen auf der Welt. Für Flüchtlinge genauso wie für Menschen, die sich ein besseres Leben, auch in wirtschaftlicher Hinsicht, wünschen. Das ist ein Faktum. Andererseits gibt es in Österreich eine klare Rechtslage. Gerade was die grundsätzliche Frage der Migration betrifft, ist das eine, die wir als Europa sicher nur gemeinsam lösen können. Auf EU-Ebene haben wir noch immer keine Lösung. Das ist etwas, das ich sehr wohl auch eigenkritisch wahrnehme. Hier braucht es dringend Fortschritte in den Verhandlungen.
Das andere Thema, das Sie ansprechen, ist, dass die Rechtsstaatlichkeit eine unserer Grundwerte in der Europäischen Union, neben den Menschenrechten und der Demokratie, ist. Auf die gilt es auch zu schauen.
Ich war fast zwei Jahre am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) tätig und wenn es einen negativen Asylbescheid gibt, nachdem alle Instanzen durchlaufen wurden und auch nicht mehr anfechtbar ist, dann ist der auch umzusetzen. Ich sehe es als das größere Problem an, dass das oft lange Zeit nicht passiert. Das ist das Problem, nicht etwa eine unklare Rechtslage.
Im von Ihnen angesprochenen Fall ging es um eine Abschiebung nach Georgien. Selbstverständlich berühren mich solche Fälle zutiefst, insbesondere, wenn Kinder betroffen sind. Man muss aber auch sehen, dass Georgien ein sicheres Land ist, in dem die europäische Menschenrechtskonvention gilt und das damit auch der Gerichtsbarkeit des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte unterworfen ist. Ich habe auch selbst genügend Fälle gesehen und bearbeitet, wo genau solche Fälle vom EGMR nicht zugelassen worden sind, weil das Asylrecht darauf abzielt, dass man Menschen Schutz bietet, die aufgrund ihrer Ethnie, ihrer Religion oder der Angehörigkeit zu einer Minderheit verfolgt sind.
Es gibt Grundwerte, es gibt Regeln, und es gibt vor allem eine Rechtsstaatlichkeit, die zu verteidigen ist. Und wenn eine gerichtliche Entscheidung getroffen ist, dann ist sie auch ehest möglich zu vollstrecken.
Es gibt aber auch Fälle in Gemeinden, wo Menschen Petitionen schreiben, damit eingegliederte Migranten bleiben können. Wie würden sie reagieren, wenn ein EU-Gemeinderat sich damit an sie wendet?
Selbstverständlich sind viele dieser Fälle oft sehr emotional und lassen niemanden kalt. Weder ich, eine Kirche, ein Verein oder irgendjemand anderer steht über dem Recht, und wenn eine gerichtliche Entscheidung getroffen worden ist, dann steht es der Politik nicht zu, hier willkürlich eine andere Vorgehensweise zu wählen.
Kommissionspräsidentin Von der Leyen meint in einem Interview auf gemeinderaete.at, dass die „verborgene Stärke Europas in den Gemeinden liegt“. Da stellt sich die Frage, wieso diese Stärke Europas verborgen ist?
Ich glaube, dass die Kommissionspräsidentin damit richtigliegt. Ich war selbst Gemeindevertreterin in Henndorf am Wallersee. Ich weiß, dass die Stärke von den Gemeinden ausgeht, und dass die Gemeinden Österreich erst stark machen. Es sind die engagierten Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, die immer direkter Ansprechpartner für die Menschen sind und von denen derzeit unglaublich viel verlangt wird.
Es ist bezeichnend dafür, dass wir in Österreich ein System haben – mit den Bürgermeistern und EU-GemeinderätInnen, auf das mittlerweile alle schauen, auch in Europa. Von dem selbst die Vizepräsidentin Dubravka Šuica gesagt hat, es wäre etwas, das wir auch bei der EU-Zukunftskonferenz einbringen sollten, als Möglichkeit um die Europäische Union näher an die Bürger zu bringen.
Gibt es eigentlich Anfragen aus anderen EU-Ländern, wie die Initiative gestartet worden ist, was die Learnings sind? Ist geplant, dieses Modell zu exportierten?
Es gibt ein großes Interesse an den EU-Gemeinderäten. Insbesondere deshalb, weil auch so die EU-Zukunftskonferenz unmittelbar zu den Menschen vor Ort gebracht werden kann. Also ja, das Interesse gibt es, die Nachfrage gibt es, und ich würde es mir wünschen, dass wir in Österreich noch stärker werden und wir es dann in anderen Mitgliedsstaaten Europas auch hinbekommen.
Kürzlich hat der Gemeindebund in einer Umfrage die Vertrauenswerte der Menschen zu den politischen Ebenen abgefragt. Während die Bürgermeister/innen sehr hohe Werte haben, ist die EU am unteren Ende der Skala. Sollen die EU-Gemeinderät/innen dieses Bild gerade rücken?
Das spiegelt genau meinen Eindruck wieder. Dort, wo man am nächsten dran ist in der Politik, ist das Vertrauen am größten. In Gemeinden geht man halt zum Bürgermeister, oder zu einem Gemeindevertreter und bringt sein Anliegen direkt an. Die Landesebene ist schon weiter weg, und die Bundesebene sowieso. Die EU ist oft schon nicht mehr zu erklären.
Eine der großen Aufgaben, und da lasse ich auch die Medien selbst nicht aus der Pflicht, ist immer wieder zu erklären, was passiert in der EU, warum passiert das und warum dauert es so lange? Warum kann man das nicht beschleunigen? Warum braucht es für manche Dinge einen breiten Konsens, damit auch die Umsetzungswilligkeit in den Mitgliedsstaaten gegeben ist? Ja, ich will genau in diese Kerbe hinein. Mehr Information durch das Angebot des Heftes „Unser Europa, unsere Gemeinde“ vier Mal im Jahr, durch das Angebot der Intranet-Seite, aber auch der allgemein zugänglichen Webseite, durch die Gespräche mit den EU-GemeinderätInnen und Bürgermeister/innen und durch meine Reisen in die Gemeinden und Regionen mit direkten Gesprächen vor Ort.
Es gibt ja Erfahrung mit bestimmten Medien, dass teilweise Informationen völlig verdreht wiedergegeben werden. Beispielsweise die Schlagzeilen der Kronenzeitung, wonach „die EU den Kellnerinnen verbietet, Dekolletee zu zeigen“. Es ging damals aber um eine Initiative der EU, dass Arbeitnehmern, die im Freien arbeiten Sonnenschutzmittel zur Verfügung zu stellen seien.
Das sind genau diese Verkürzungen. Wir erinnern uns an die Gurken-Krümmung, die ursprünglich gar keine Initiative der Kommission war. Das ist von der Industrie gewünscht worden, damit man mehr Gurken schlichten kann. Also lauter solche Sachen. Es gibt aber darüber hinaus, und das möchte ich auch nicht verheimlichen, sehr wohl Initiativen von Seiten der EU, wo man sich wirklich fragt, warum die EU das alles so im Detail regeln muss, anstatt es den Mitgliedstaaten zu überlassen.
Deshalb steht Österreich auch ganz klar für die Subsidiarität. Dass man die großen Dinge gemeinsam angeht und auf eine Lösung hinarbeitet, und die kleinen Dinge die Region oder den Mitgliedsstaat entscheiden lässt. Ich will Griechenland nicht vorschreiben, wie sie ihre Olivenöle abfüllen und nachfüllen.
Stichwort Subsidiarität. Der EU-Recovery-Fonds hält drei Milliarden Euro an Geldern für Österreich bereit. Diese sind für gewisse Bereiche reserviert. Haben Sie konkrete Bereiche schon formuliert, beispielsweise wie die 500 Millionen für die digitale Infrastruktur in den ländlichen Gebieten investiert werden sollen?
Es ist derzeit der Plan in Ausarbeitung. Wir werden ihn bis 30. April auch fristgerecht der Europäischen Kommission vorlegen. Ich habe im Februar Stakeholdergespräche geführt, von NGOs bis zu den Sozialpartnern, vom Gemeindebundpräsident bis zum Städtebund. Wir haben eine digitale Plattform dazu eingerichtet und viele Projekte eingemeldet bekommen. Jetzt geht es darum, den Plan so aufzustellen, dass er den sehr engen Vorgaben der Kommission entspricht. Das sind sechs Säulen, die die Kommission vorgibt, auf denen der Plan fußen muss, von der Bildung bis zur Digitalisierung.
Sie geben ganz klar vor, dass zwanzig Prozent in die Digitalisierung, und 37 Prozent in die Bekämpfung des Klimawandels einzahlen müssen. Zusätzlich müssen wir die länderspezifischen Empfehlungen beachten. In diesem Gesamtkonvolut versuchen wir jetzt gemeinsam mit dem Koalitionspartner ein gutes Paket zu schnüren, um diese Bereiche abzudecken und Reformprojekte anzustoßen. Es geht ja nicht darum, mit dem Geld einzelne Projekte umzusetzen, sondern nachhaltige Reformen anzustoßen und dann die einzelnen Meilensteine nach Brüssel zu melden, damit das Geld überhaupt ausbezahlt wird.
Abschließend hätten wir noch eine Frage zum Informationsfreiheitsgesetz. Die Gemeinden haben größere Bedenken und sehen noch Handlungsbedarf, vor allem weil ein riesiger Verwaltungsaufwand befürchtet wird. Und es stellt sich die Frage, ob nun der Datenschutz wichtiger ist oder die Informationsfreiheit?
Es geht um beides! Es geht genau um die Kombination dieser zwei scheinbar widersprüchlichen Dinge. Die Verwaltung muss, was die Auskunftspflicht betrifft, auf die Höhe des 21. Jahrhunderts gebracht werden.
Wir leben in einer Informationsgesellschaft und die Informationen wollen schnell vermittelt werden. Ich weiß es, dass es hier Sorge gibt, und ich habe dafür großes Verständnis. Es ist mit der Abschaffung des Amtsgeheimnisses eine der größten Änderungen des Bundesverfassungsgesetzes in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren. Dementsprechend genau muss man hinschauen. Ich habe den Dialog vorher geführt, und wir führen ihn auch jetzt, während des Begutachtungsverfahrens. Ich werde mir jede Stellungnahme dazu genau anschauen.
Meine Maxime ist von Anfang an gewesen, die Verwaltung handlungsfähig zu halten. Es kann und darf nicht sein, dass künftig überbordende Anfragen herangetragen werden können, und die Zuständigen in Anfragebeantwortungen untergehen, sondern es braucht Missbrauchsklauseln und klare Vorgaben, was nicht beauskunftet werden muss oder darf – aus datenschutzrechtlichen Gründen, aus sicherheitstechnischen Gründen wegen der Landesverteidigung, oder auch hinsichtlich Inneres, Justiz usw. Deshalb ist es relativ komplex und wir werden uns die Zeit nehmen, die Bedenken von den Gemeinden bestmöglich zu berücksichtigen.