Wenn Bürgermeisterin Gisela Mayr von den Energieprojekten ihrer Gemeinde erzählt, gerät sie ins Schwärmen. Seit 2014 leitet sie die Geschicke der 1.000-Einwohner-Gemeinde Tollet in Oberösterreich – und hat in dieser Zeit bewiesen, dass nachhaltiges Energiemanagement und wirtschaftliche Vernunft keine Gegensätze sind. „Wir haben uns ja schon intensiv mit dem Thema Energie und Energieeinsparung beschäftigt, und waren daher sehr überrascht, an wie viele Dinge wir noch nicht gedacht haben“, berichtet Mayr. „Ein Blick von außen ist daher Gold wert.“
Wenn die Katastrophe zum Wendepunkt wird
Ein einschneidendes Erlebnis hat die Gemeinde zusätzlich motiviert: Die Hagelkatastrophe von 2022, bei der nahezu alle Dächer in Tollet beschädigt wurden. „Wir waren über Tage im Krisenmodus und mussten erleben, was es bedeutet, wenn man nicht vorgesorgt hat“, erinnert sich die Bürgermeisterin. Diese Erfahrung machte deutlich: Vorausschauendes Handeln ist gerade in turbulenten Zeiten unverzichtbar – besonders bei der gemeindeeigenen Energieversorgung.
Gemeindebetrieb mit 100 Prozent erneuerbarer Energie
Die Gemeinde Tollet hat bereits Bemerkenswertes erreicht. Schon heute versorgt sie ihre gemeindeeigenen Gebäude und Infrastrukturanlagen bilanziell zu 100 Prozent mit PV-Strom aus dem eigenen Photovoltaikspeicherkraftwerk. Auch die Wärmeversorgung erfolgt vollständig aus erneuerbarer Energie – mittels einer Hackschnitzelanlage, die mit gemeindeeigenem Holz betrieben wird.
„Wir waren über Tage im Krisenmodus und mussten erleben, was es bedeutet, wenn man nicht vorgesorgt hat“
Die Zahlen sprechen für sich: Mit bereits sehr geringen Energiekosten von rund 26.000 Euro pro Jahr für Strom, Wärme und Mobilität liegt Tollet weit unter dem Durchschnitt vergleichbarer Gemeinden. Doch Bürgermeisterin Mayr gab sich damit nicht zufrieden.
10.000 Euro Einsparung
Obwohl die Gemeinde schon viele Maßnahmen umgesetzt hatte, wurden durch externe Unterstützung noch deutlich mehr Potenziale erkannt – und viele davon können rasch und ohne großen Aufwand realisiert werden. Das Ergebnis: Würden alle erfassten Maßnahmen umgesetzt, könnten die Kosten nochmals um rund 10.000 Euro gesenkt werden. Eine beachtliche Summe, die die Frage aufwirft: Wie viel Potenzial schlummert noch in anderen Gemeinden?
Der Schlüssel zum Erfolg liegt in der ganzheitlichen Betrachtung von Strom, Wärme, Mobilität und Verwaltungsabläufen – verbunden mit der konsequenten Nutzung von Digitalisierungspotenzialen. Das Ziel: keine zusätzliche Belastung für die Mitarbeitenden, sondern echte Entlastung.
- Die identifizierten Potenziale sind vielfältig und pragmatisch:
- Automatisierte Energiebuchhaltung mit aussagekräftigen Auswertungen
- Zusammenlegung von Anlagen für effizienteren und kostengünstigeren Betrieb
- Warmwasseraufbereitung außerhalb der Heizsaison mit eigenem PV-Strom
- Elektronisches Fahrtenbuch und konsequente E-Mobilität mit eigener Stromproduktion
- Umstellung auf einen elektrischen Geräte- und Werkzeugpark
Der größte Handlungsbedarf liegt im Bereich Mobilität und der Ausweitung der Sektorenkopplung. Im vernetzten Energiever-sorgungsplan ist detailliert beschrieben, wie die vollständige Klimaneutralität erreicht werden kann.
Innovation trifft Tradition: Moderne Technik für ländliche Gemeinden
Besonders für ländliche Gemeinden mit eigenem Wald bieten sich zusätzliche Chancen: Moderne Blockheizkraftwerke mit hocheffizienten Holzvergaseranlagen können neben Wärme auch Strom produzieren – gerade im Winter, wenn wenig PV-Strom verfügbar ist, ein entscheidender Vorteil.
Auch das Thema Energiegemeinschaften gewinnt in Österreich zunehmend an Bedeutung. Hier sieht Bürgermeisterin Mayr dringenden Handlungsbedarf: „Diese Gemeinschaften müssen zu funktionalen Einheiten weiterentwickelt werden, wo es nicht nur um die Abrechnung geht, sondern auch um einen bestmöglichen dezentralen Ausgleich.“ Denn schon heute muss bei Überproduktion von PV-Strom Wasserkraft ungenutzt abfließen – ein Zeichen dafür, dass dringend lokale Speicherlösungen und ein besseres Echtzeitenergiemanagement benötigt werden.
„Nutzen Sie die Angebote über die verschiedenen Initiativen wie LEADER oder KEM, aber holen Sie sich auch eine externe Expertise, um wirklich einmal von außen draufzuschauen“
Die Strommarktentwicklung zeigt zunehmende Volatilität: In sonnigen Zeiten sinken die Preise durch hohe PV-Einspeisung ins Bodenlose, während Morgen- und Abendspitzen immer teurer werden. Gleichzeitig plant die Regierung, zukünftig auch Einspeiser zur Kasse zu bitten. Dadurch würden viele PV-Anlagen unwirtschaftlich werden. Mit einem aktiven Energiemanagement und hohem Automatisierungsgrad können Gemeinden jedoch diese Schwankungen nutzen und profitieren.
Die Echtzeit-Überwachung ermöglicht zudem eine schnelle Erkennung von Anomalien und Fehlern, wodurch sich ebenfalls Geld sparen lässt. Solche Systeme amortisieren sich binnen kürzester Zeit – und helfen gleichzeitig, Dokumentations- und Berichtspflichten effizienter zu erfüllen. Ein oft übersehener Punkt: Viele Gemeinden führen zwar eine Energiebuchhaltung durch, diese ist aber nicht mit der Finanzbuchhaltung verknüpft – unnötiger Mehraufwand, der vermieden werden kann.
„Der Nutzen für die Bevölkerung ist vielfältig: Weniger Arbeitsaufwand in der Verwaltung, bessere Serviceangebote und deutliche Kostensenkungen. Eine kleine Gemeinde mit großer Wirkung – und ein Vorbild für viele andere.“
Wie sich in vielen Gemeinden zeigt, führen unvernetzte Einzelmaßnahmen oft zu hohen Aufwänden ohne echten Mehrwert. Falsche Annahmen und Erwartungen führen dazu, dass überlastete Mitarbeitende abblocken oder glauben, bereits alles getan zu haben. „Hier braucht es einen offeneren Zugang“, betont Mayr. „Auch wenn sich Dinge ändern und vereinfachen, wird es weiterhin genug zu tun geben – aber wir können die Zeit und Ressourcen sinnvoller einsetzen.“ Wichtig ist auch die Zusammenarbeit zwischen Infrastruktur- und Energie-Ressourcenplanung sowie dem Katastrophenschutz, um Potenziale optimal zu nutzen und potenzielle Risiken frühzeitig zu berücksichtigen.
Und was empfiehlt Tollet anderen Gemeinden?
Bürgermeisterin Mayr hat eine klare Empfehlung an ihre Amtskolleginnen und -kollegen: „Nutzen Sie die Angebote über die verschiedenen Initiativen wie LEADER oder KEM, aber holen Sie sich auch eine externe Expertise, um wirklich einmal von außen draufzuschauen und vor allem eine vernetzte und integrierte Energieplanung sicherzustellen. Also weg von geförderten Einzelmaßnahmen, hin zu einem Gesamtkonzept.“
Sie richtet ihren Appell auch an die Förderstellen: „Hier sind natürlich auch die verschiedenen Förderschienen gefordert, das besser abzubilden. Denn letztlich kommen die Ressourcen immer aus dem gleichen Topf. Und daher sollten wir darauf achten, dass mit diesen geringer werdenden Mitteln die beste Wirksamkeit erzielt wird.“
Fazit: Vorausschauen lohnt sich
Die Gemeinde Tollet zeigt eindrucksvoll, dass langfristiges Denken und vorausschauende Planung sich auszahlen – finanziell, ökologisch und für die Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger. Bürgermeisterin Mayr bringt es auf den Punkt: „Leider wird noch zu oft nur kurzfristig geplant. Aber gerade in turbulenten Zeiten sind der Blick nach vorne und Gestaltungswille wichtig – und das betrifft ganz besonders die gemeindeeigene Energieversorgung.“
Der Nutzen für die Bevölkerung ist vielfältig: Weniger Arbeitsaufwand in der Verwaltung, bessere Serviceangebote und deutliche Kostensenkungen. Eine kleine Gemeinde mit großer Wirkung – und ein Vorbild für viele andere.
Herbert Saurugg
Herbert Saurugg ist führender Experte für Blackout und Krisenvorsorge.