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Warum das Durchgriffsrecht ein Pfusch ist

7.10.2015 – Das Durchgriffsrecht des Bundes im Asylbereich ist vor wenigen Tagen in Kraft getreten. Damit will man schneller Quartiere schaffen und Widerstände bei den Bürgermeister/innen ausschalten können. Doch wird das helfen?

Mit 1. Oktober, also heute, tritt das so genannte “Durchgriffsrechts des Bundes” in Kraft (Gesetzestext hier). Der Nationalrat hat dafür sogar die Verfassung geändert bzw. um dieses Gesetz ergänzt. Zeitlich befristet. Ein Vorgehen, das unter die Rubrik “besondere Herausforderungen erfordern besondere Maßnahmen” fällt.

Für die Gemeinden sind die Folgen dieser Verfassungsänderung weitreichend.

Im Artikel 3 des Gesetzes geht es darum, dass der Bund auf eigene oder ihm angebotene Liegenschaften zugreifen können soll, um Flüchtlinge unterzubringen. Der Bund verfügt über gar nicht so wenige Gebäude, die geeignet oder adaptierbar wären, um Flüchtlinge unterzubringen. In vielen Fällen stehen dieser Eignung bestehende Widmungen gegenüber, die das nicht zulassen. Zur Klarstellung: Die Änderung einer Widmung ist nichts, das ein Bürgermeister mit einem Federstrich durchführen kann. Das dauert einige Monate. Auch Bauvorschriften wie Brandschutz oder Hochwasserschutz können von einem Ortschef nicht ignoriert werden.

Lässt ein Bürgermeister die widmungsfremde Nutzung von Gebäuden oder Flächen zu, dann macht er sich strafbar und muss mit einem Verfahren wegen Amtsmissbrauch rechnen. Mit Widerstand hat das nichts zu tun.

In dieser Hinsicht ist das Durchgriffsrecht gut und ein geeignetes Mittel, um rascher Gebäude des Bundes zur Nutzung heranziehen zu können.

Containersiedlung im Grünland

Die Details dazu sind im Verfassungsgesetz handwerklich schlecht gelöst und nicht präzise genug. Es ist beispielsweise künftig möglich, dass der Bund eine Containersiedlung ins Grünland stellt. Auf eine Alm. Auf eine Wiese. In einen Wald. Grünlandwidmungen sind (auch) dazu da, um Grünland vor Verbauung zu schützen. Eine Containersiedlung braucht trotzdem Fundamente, Wasseranschluss, Kanalanschluss, Strom und eine Zufahrt. Ich glaube nicht, dass es gescheit war, die Nutzung von Grünland gesetzlich zu ermöglichen. Abgesehen davon, dass alle Nachbarn und Grundeigentümer rundherum ihre Nachbarschaftsrechte verlieren. Kein Verfahren, keine Parteienstellung. Klingt für viele nach “langweilig” und “egal”. Ist aber ein Teil unseres Rechtsstaates, den man nicht mir-nix-dir-nix aushebeln sollte. Es wäre einfach gewesen, Grünland im Gesetz dezidiert auszuschließen.

Richtwerte und ihre Folgen

Im Gesetz ist pro Gemeinde ein Richtwert von 1,5 % der Bevölkerung angegeben. Soviele Flüchtlinge soll jede Gemeinde aufnehmen. Erfüllt eine Gemeinde diese Quote, kann der Bund trotzdem ein Quartier für bis zu 450 weitere Flüchtlinge am Gemeindegebiet einrichten. Genau genommen sogar mehrere, wenn er will. Im Gesetz ist nämlich von “pro Grundstück” die Rede.

Der Grund dafür ist erneut handwerkliche Schlampigkeit in der Formulierung des Gesetzes. Der Bund räumt sich dieses Durchgriffsrecht nämlich dann ein, wenn das Bundesland und/oder der Bezirk die Quote nicht erfüllen. Es kann also so enden, dass eine Gemeinde die Quote erfüllt, der Bund aber trotzdem auf Grundstücke oder Liegenschaften im Gemeindegebiet zugreift, weil eben Land und Bezirk die Quote nicht erfüllen. Im Gesetzestext klingt das zwar relativ klar, die Erläuterungen schwächen jedoch deutlich ab und ermöglichen den Zugriff auch auf Gemeinden, die ihre Quote bereits erfüllen.

Notschlafstellen für Transitflüchtlinge auf dem Weg in andere Länder werden übrigens in der Quote nicht berücksichtigt. Die Gemeinde Nickelsdorf, in der täglich mehrere tausend Transitflüchtlinge ankommen, hat beispielsweise ihre offizielle Quote nicht erfüllt. Es wäre absurd zu behaupten, dass es hier kein Engagement oder keine Bereitschaft gäbe.

Umkehr der Kostenverantwortung

Im Artikel 2 ist ausgeführt, dass jede Gemeinde im Bedarfsfall Quartiere im Ausmaß von 1,5 Prozent der Bevölkerungszahl bereitzuhalten hat. Das ist in zweifacher Hinsicht problematisch.

Erstens: Gemeinden, die über keine eigenen geeigneten Gebäude verfügen, können diese Bestimmung nicht erfüllen. Oder müssen Quartiere selbst bauen.

Zweitens: Die Formulierung “hat bereitzuhalten” kann auch bedeuten: “hat zu bezahlen”. Das wäre eine völlige Umkehr in der Kostenverantwortung. Diese Verantwortung hat bislang der Bund getragen und würde sie damit auf die Gemeinden abwälzen. Wenn also Quartiere neu errichtet werden müssen (Containersiedlung) müssten Gemeinden oder Länder das vorfinanzieren. So sieht es das BMI. Bund oder Land mieten sich dann zu den üblichen Tagsätzen ein (20 Euro pro Person und Tag).

Was eine Gemeinde in einigen Jahren mit diesen Containern anfangen soll, ist dem Gesetzgeber egal. Nicht sein Problem. Die angebene Quote von 1,5 Prozent kann vom Bund übrigens jederzeit erhöht werden.

In der parlamentarischen Debatte wurde mehrfach gesagt, dass keine Kosten auf die Gemeinden zukommen. In der Realität stimmt das nicht. Das BMI gibt völlig andere Auskünfte, die Länder ebenso. Es nutzt nichts, wenn die Abgeordneten des Nationalrats Dinge verbal ausschließen, das Gesetz aber so unklar ist, dass es in der Vollziehung anders gehandhabt wird.

Bürokratischer Wahnsinn bei Quartierzuteilung

Tausende angebotene Quartiere werden nach wie vor nicht genutzt, weil die Bürokratie diese Nutzung behindert. Ich habe vor einigen Wochen einen Beitrag gebloggt, der dieses Problem beschreibt. Zum einen dauert es Wochen und Monate bist Quartiere begutachtet werden. Zum anderen dauert es danach erneut mehrere Wochen bis sie belegt werden. Und zum dritten sind die bürokratischen Erfordernisse immer noch abschreckend hoch. Tausende Plätze könnten rasch bereitgestellt werden, wenn man diese Hürden beseitigt bzw. die nötigen personellen Ressourcen in den Ländern schafft. Wer weiß, wie wenige Menschen in den Flüchtlingsabteilungen der Länder beschäftigt sind, der wundert sich nicht darüber, warum Zuteilungen Wochen und Monate dauernd.

Das Motiv des Bundes für diese Verfassungsänderung ist zumindest nachvollziehbar. Die handwerkliche Ausführung ist miserabel und inkludiert weit reichende Folgen und Kompetenzverschiebungen.

Die Frage der politischen Bewertung einer solchen Vorgangsweise, die Frage, ob ein solches Gesetz Verständnis und Hilfsbereitschaft bei der Bevölkerung stärken, ist dabei noch gar nicht berücksichtigt.

Dieses Gesetz ist ein Pfusch. Es ist legistisch schlecht, politisch fragwürdig und wird weder der Sache, noch der öffentlichen Stimmungslage dienlich sein.

Kommentar von Daniel Kosak.