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Reportage: Wie Asylwerber in Buchschachen integriert werden

2.10.2014 – „Sasirakal!“ Sechs lächelnde, etwas exotisch anmutende Gesichter begrüßen mich mit gefalteten Händen und einem leichten Beugen des Kopfes als ich das Haus gemeinsam mit Bürgermeister Hermann Pferschy betrete. Gut versteckt hinter den Beinen ihres Vaters schaut mich aus großen dunklen Augen auch ein kleines zweijähriges Mädchen an.

Ich habe mich mit vielen Fragen im Kopf von Wien ins 121 Kilometer entfernte Buchschachen (560 Einwohner) aufgemacht. Welche Prozesse laufen in der Bevölkerung ab, wenn sie kurzfristig erfährt, dass Flüchtlinge aufgenommen werden? Wie kann ein Bürgermeister reagieren, damit er die Stimmung positiv beeinflusst? Was kann die „Zivilgesellschaft“ tun, damit sich diese oft vom Krieg traumatisierten Personen in Österreich einleben und diese doch oft sehr langwierige Situation des Wartens auf eine Aufenthaltsgenehmigung überbrücken? In Buchschachen, einem Ortsteil der südburgenländischen Gemeinde Markt Allhau, kamen im Dezember 2012 vier afghanische Flüchtlingsfamilien an. Dass auch hier nicht alle Bürger von Anfang an begeistert waren, erzählt mir Bürgermeister Pferschy bereits bei der Autofahrt zum Quartier der Flüchtlingsfamilien.

Bürgermeister erst drei Tage vorher informiert

„Ich habe selbst erst drei Tage, bevor die vier Familien in der Gemeinde angekommen sind, vom Plan meines Amtsleiters erfahren. Er hat sich bereit erklärt, sein Haus in Buchschachen, das eine ehemalige Jugendherberge ist, für Asylwerber zur Verfügung zu stellen und hat mir aus Angst vor meiner Reaktion nicht früher davon erzählt. Ich bin jedoch von Beginn an hinter ihm gestanden“, so Pferschy. Der erste Weg, nachdem er dies erfahren hat, war, so schnell wie möglich alle Gemeindebürger zu einer Versammlung einzuladen. „Die Stimmung war nicht nur positiv, es gab auch Stimmen, die dagegen waren. Doch es hat einiges bewirkt, dass mein SPÖ-Vizebürgermeister und ich von Anfang an hundertprozentig hinter der Sache gestanden sind. Wichtig war sicherlich auch, dass wir die Familien, die aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit – sie gehören der Religion der Sikh an – aus Afghanistan geflüchtet sind, den Bürgerinnen und Bürgern vorgestellt haben“, erinnert sich Pferschy. Dass der Weg der richtige war, hat sich im Nachhinein gezeigt: „Dadurch haben wir wirklich viel Staub weggeblasen. Die Leute haben gleich von Beginn an gesehen, wer die Asylwerber sind, und dass man sich nicht vor ihnen fürchten muss.“

Fröhlichkeit, die verblüfft

Kurz bevor wir in Buchschachen zum Quartier der Asylwerber einbiegen, instruiert mich der Bürgermeister noch in die üblichen Begrüßungsformeln: „Derzeit haben wir dort drei Familien, die den Sikh angehören. Sie begrüßt man mit „Sasirakal“. Und eine hinduistische Familie ist nun dazu gekommen. Sie begrüßt man mit „Ram Ram“. Das ist ganz wichtig, finde ich, damit man ihnen zeigt, dass man ihre Kultur respektiert.“

Gesagt, getan. Ich begrüße sie in ihrer Sprache und sie mich in meiner. Beide Seiten lachen. Mit dieser freundlichen Begrüßung und den lächelnden Gesichtern hätte ich nicht gerechnet. Ich hatte mich eher auf traurige Augen eingestellt. Noch immer verblüfft von der Fröhlichkeit der Menschen, werde ich in ein kleines Esszimmer geführt, das gleichzeitig auch für die Kühlung der Lebensmittel genutzt wird. Die männlichen Bewohner weisen mir sogleich den Platz neben dem Bürgermeister zu, als ich mich auf die andere Seite zur ehrenamtlichen Helferin setzen wollte. Die frühere Sozialmanagerin Gabi Hutterer gibt den Erwachsenen ein- bis zweimal die Woche Deutschunterricht.

„Sind sehr, sehr glücklich in Österreich“

Da sitze ich nun und zwölf dunkle Augenpaare schauen mich groß an. Die Männer tragen die für Sikh typischen Turbane, die Frauen haben einen Seidenschal locker über das Haar gelegt. Gabi Hutterer, die Teil eines ganzen Teams an ehrenamtlichen Helfern ist, bemerkt wohl meine Unschlüssigkeit und fordert mich auf, meine Fragen an die Anwesenden zu stellen. Sie deutet zu ihrer rechten und meint nur kurz, dass Gurmeet, eine ungefähr 30-jährige Frau, am besten Deutsch könne. Nach meiner Eingangsfrage, woher sie denn alle kommen, beginnt sie zu erzählen: „Wir kommen in 2012 in Österreich. Österreicher sind sehr gut und die Buchschachenleute sind auch sehr gut, sehr freundlich“, sie lächelt mich strahlend an und erzählt weiter, „und wir alle lernen deutsch gerne und es ist sehr friedlich in Österreich. Auch meine Kinder sind sehr glücklich in Österreich. Sie gehen in den Kindergarten und die Schule. Alle, Männer und Frauen, sind sehr glücklich, nach Österreich gekommen zu sein.“

„Konnten das Haus nicht verlassen“

Auf die Nachfrage nach den Gründen für ihre Flucht herrscht kurze Stille, dann beginnt Gurmeet wieder zu erzählen, dass sie in ihrem Herkunftsland Afghanistan aufgrund des Krieges nicht vor die Türe konnte. Auch die Männer hatten es nicht gut und die Kinder konnten nicht zur Schule gehen. Sie erzählt, dass es prinzipiell schon die Schulpflicht für die Kinder in Afghanistan gibt, aber Sikh und Hindus davon ausgeschlossen sind. Diese Ausgrenzungen waren auch der Grund, warum sie nach Österreich gekommen sind. Nach diesen Erzählungen beginnt sie wieder zu lächeln und fügt an: „Wir alle sind sehr, sehr glücklich in Österreich.“

Zu den größten Einschränkungen zählte nicht nur die Besorgung der täglichen Dinge, sondern auch, zum Tempel zu gelangen, um zu beten. Gurmeet erzählt, wie wichtig es in ihrer Religion ist, jeden Tag im Tempel zu beten. Der Besuch des Gebetshauses war ihr jedoch in Afghanistan nur einmal in der Woche und das nur in Begleitung von drei bis vier Männern möglich, fügt ihr Mann hinzu. Allerdings ist der Tempelbesuch nun in Österreich noch seltener möglich, da der einzige Tempel in Wien steht und sie aufgrund der fehlenden Aufenthaltsgenehmigung und der geringen finanziellen Mittel dort nur alle zwei bis drei Monate hinkommen. Die tausendseitige Sikh Bibel „Guru Granth Sahib ji“ schreibt mir mein Gegenüber stolz auf meine Zettel. Stolz? Ja, weil sie unsere Schrift schon so gut beherrscht, dass sie mir dieses komplizierte Wort bereits aufschreiben kann. Auch Gabi Hutterer kann einen gewissen Stolz nicht verheimlichen und macht mich darauf aufmerksam, dass sie ja in Afghanistan mit arabischen Lettern schreiben.

Das Gespräch wird durch einen prominenten Besuch unterbrochen: Der Nachbar und bekannte ehemalige Schönbrunner Tiergartenchef Helmut Pechlaner betritt die kleine Stube. Auch ihm sind die neuen „Buchschachener“ ein Anliegen. Er nimmt sie öfter nach Wien mit, damit sie ihre Kräuter zum Kochen einkaufen und den Tempel besuchen können.

Glaube im Zentrum des Lebens

Pechlaner setzt sich neben mich, Gurmeet fährt mit der Beschreibung ihres Alltags in Österreich fort: „Wir alle beten von sechs bis acht Uhr. Dann machen wir die Kinder für Schule und Kindergarten fertig. Dann kochen wir und putzen, gehen einkaufen. Wenn die Kinder zurückkommen, machen wir mit ihnen die Hausaufgaben.“ Alle erzählen durcheinander, was sie so den ganzen Tag machen und lachen. Am Abend, erzählen sie, wird noch einmal eine Stunde lang gebetet. „Und dann kochen, essen, waschen und schlafen“, fügt sie lachend an. Die Männer erzählen, dass sie auch mit den Kindern Fußball spielen, auf den Spielplatz gehen, spazieren. Und das, was am öftesten erwähnt wird, ist, dass sie ein- bis zweimal in der Woche Deutschunterricht bei Frau Hutterer haben.

Auf die Grundversorgung angesprochen, sagt Gurmeet: „Das Geld ist nicht zu wenig, und nicht zuviel.“ Für zusätzliche Dinge, wie Kleidung, reicht das Geld allerdings nicht. Das erhalten sie zum Teil von der Nachbarschaft und zu einem anderen Teil von der Caritas. Der Bürgermeister erzählt mir nachher, dass sie mit nicht mehr als der Kleidung, die sie am Leib trugen, in Buchschachen angekommen sind.

Frauen genießen ihre Freiheit in Österreich

Auf die Frage nach ihren Wünschen, herrscht einige Momente Ratlosigkeit. Die erste Wortmeldung ist ein Tempel, Gurmeet fügt an „vieles lernen deutsch“. Von den Männern kommt auch gleich „arbeiten“. Alle stimmen mit ein. Pechlaner weiß: „Arbeiten ist eigentlich das Wichtigste. Sonst fällt ihnen noch die Decke auf den Kopf.“ Gurmeets Wunsch ist, noch viel Deutsch lernen zu wollen und dann arbeiten zu gehen. Das gestaltet sich nur leider nicht so einfach. Und hier werden auch die ersten Problemfelder deutlich. Die Männer in der Familie, die auch vor ihrer Flucht einer Erwerbsarbeit nachgegangen sind, waren Händler oder Verkäufer. Die Frauen konnten keine staatlichen Schule besuchen, sondern lernten Lesen und Schreiben wenn, dann nur in den Schulen der Sikh. Trotzdem sind es gerade die Frauen, die besonders wissbegierig sind und mittlerweile am besten Deutsch sprechen und schreiben.

Ein weiteres Problem ist die Motivation, erzählt die ehemalige Sozialmanagerin Hutterer: „Wenn sie hier ankommen, dann sprühen sie nur so vor Tatendrang. Dann sitzen sie hier, wie manche dieser Familien, zwei Jahre und dürfen nichts arbeiten. Und wenn dann doch endlich ein positiver Asylbescheid eintrudelt, sollen sie von einem Tag auf den anderen auf eigenen Beinen stehen.“

Mehr als „nur“ Deutschunterricht

Bei der ersten Bürgerversammlung, als die Flüchtlinge angekommen sind, hat sich eine kleine Runde ehrenamtlicher Helfer gebildet, die sich von Beginn an um die Familien gekümmert hat. Eine von ihnen ist Gabi Hutterer. Für sie ist der Deutschunterricht mehr als das reine Beibringen von Grammatik und Vokabeln: „Man muss sich vorstellen wie das ist. Die Frauen konnten ihre Häuser nicht verlassen, weil sie körperlich bedroht waren – also jetzt nicht nur unangenehm, sondern wirklich zu Tode bedroht. Hier mussten wir ihnen zeigen, wie man einkaufen geht, wie man spazieren geht – sehr viel, was für uns eigentlich selbstverständlich ist. Ich denke, wenn man so aufgewachsen ist, ist das ein weiter Weg. Und jetzt die Vorstellung, dass sie einen Beruf ausüben will – das wird schon eine gewisse Form der beruflichen Orientierung brauchen.“ Im Deutschunterricht wird ihnen zudem die europäische Kultur, aber auch Dinge wie, was eine Sozialversicherung ist oder dass man sich anmelden lassen muss, wenn man in Österreich arbeiten will, vermittelt.

Wollen sie in Buchschachen bleiben, wenn sie ihren Asylbescheid bekommen? „Besser ist Wien, weil Wien hat Kirche, Wien hat Arbeit. Buchschachen auch schön, Ruhe“, antwortet einer der Männer. Gabi Hutterer hakt nach: „Aber wenn es hier einen Sikh-Tempel gäbe? Dann würdet ihr da bleiben?“ Wie aus der Pistole geschossen antworten alle: „Jaa ja ja. Dann wir da bleiben!“ Derzeit gibt es sechs bis sieben Sikh-Familien im Burgenland.

Fantastische Schulnoten

Bis auf Gurmeet haben alle Frauen den Raum verlassen, um ihre Kinder vom Kindergarten abzuholen. Die Sprache kommt auf den Nachwuchs. „Die kleinen Kinder sind im Kindergarten, auch jetzt können gutes Deutsch. Und die großen auch in Schule“, erzählt Gurmeet. Helmut Pechlaner fügt an: „Die Kinder haben fantastische Noten im Zeugnis, es ist unfassbar. Wenn ich eineinhalb Jahr da bin und mit null Deutsch herkomme, und dann die Neue Mittelschule abschließe mit einem Zweier und sonst lauter Einsern und ins Gymnasium aufgenommen werde, dann ist das ein Wahnsinn.“ Ich denke an meinen letzten Besuch in der Gemeinde, als ich bereits einigen der afghanischen Kinder bei den zusätzlichen Deutschlernstunden in der Neuen Mittelschule Markt Allhau begegnet bin. Damals dachte ich nicht daran, dass ich wieder in diese Gemeinde zurückkehre.

Missverständnisse sofort aus dem Weg räumen

Und wie werden Probleme im Alltag gelöst? „Durch reden“, lautet die einfache Formel von Gabi Hutterer. „Wenn sich die Leute bei mir aufregen, weil die Kinder am Gehsteig Rad fahren, dann frage ich sie, ob sie das auch schon den Kindern selbst gesagt haben. Und dann lautet die Antwort oft „Nein“. Also viele Missverständnisse lassen sich durch Reden einfach lösen. Aber es braucht halt schon jemand, der hier immer wieder vermittelt. Ob das nun wir Helfer sind, natürlich werden auch die Gemeindepolitiker angesprochen. Aber wenn man diese Missverständnisse beständig aus dem Weg räumt, dann lässt es sich sehr gut miteinander leben.“ Der Bürgermeister fügt an: „Hier wissen die Leute, wie die Familien heißen. Sie sind in unsere Gemeinschaft eingegliedert. Sie kommen zu unseren Festen, die Mütter sind mit ihren Kindern beispielsweise bei den Kindergartenfesten dabei. Die Familien sind bei uns richtig integriert. Und das geht aber nur, wenn eine Gemeinde nicht 50 oder 100 Flüchtlinge aufnehmen muss, sondern wenige Flüchtlinge auf viele Einheiten aufgeteilt werden. Und es lassen sich auch bestimmt immer Leute finden, die sich um die Flüchtlinge kümmern.“

Aber es gibt auch nicht nur Erfolgsprojekte. Am Beginn haben beispielsweise die Nachbarn ein Stück ihrer Gärten hergegeben, damit sich die Familien ihr eigenes Gemüse anbauen können. „Das hat leider nicht geklappt“, erzählt Pechlaner, „am Anfang hieß es nämlich, dass die Familien in Afghanistan in der Landwirtschaft tätig waren. Es hat sich aber herausgestellt, dass sie aus Handelsberufen kommen und eben mit Gartenarbeit nichts anzufangen wissen. Aber bei uns in der Gemeinde wird schon stark diskutiert, ob es nicht sinnvoll wäre, sie gemeinnützige Tätigkeiten machen zu lassen, damit sie wenigstens irgendwie sinnvoll ihre Tage gestalten können. Vor allem für die Männer wäre das wichtig, glaube ich. Allerdings ist das auch gemeindeintern sehr umstritten.“

Die aktuelle Flüchtlingswelle ist nicht die erste, die Österreich je erlebt hat. Dennoch scheinen wir trotz der weltweit zunehmenden Krisengebiete ähnlich von den Flüchtlingsströmen überrascht worden zu sein, wie die Wiener Linien jedes Jahr, wenn es zum ersten Mal schneit. Obwohl die Kommunen hier oft als die „Aufnahmeverweigerer der Nation“ hingestellt werden, gibt es bereits über 500 Gemeinden, die Asylwerber versorgen.

Vier afghanische Familien wohnen derzeit in Buchschachen. Manche warten bereits seit zwei Jahren auf positive Entscheidung des Asylgerichts. (l. a.: Gabi Hutterer, Gurmeet Kaur, r. m.: Dr. Helmut Pechlaner, r. a.: Bgm. Hermann Pferschy) ©Gemeindebund