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4.8.2017 – Was Digitalisierung und neue Informations- und Kommunikationstechnologien für die Gemeinden bedeuten können, schlüsselte Peter Filzmaier auf.

Gleich mit drei Outings startete Peter Filzmaier in sein Impulsreferat am Freitag – und war damit vermutlich mit den meisten Zuhörern auf einer Wellenlänge. Zum einen bekannte er, dass er keine Ahnung habe, wie die Informationstechnologien (IKT) technisch funktionieren. Zum zweiten sei er ein „digitaler Einwanderer“, was nichts anderes bedeutet, als dass er aus einer Zeit vor der Digitalisierung und Social Media stammt – was auf die allermeisten Zuhörer auch zutraf. Und die technischen Hintergründe des „Datenhighways“ könne er auch nicht erklären, er wisse nur, dass er funktioniere.

©event-fotograf
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Warum er also als Politik-, Kommunikations- und Sozialwissenschaftler den Impulsvortrag hält? Zum einen beschäftigt er sich seit vielen Jahren mit dem ländlichen Raum und hat den Masterplan für den ländlichen Raum wissenschaftlich mitbetreut. Und der dritte Punkt dieses Masterplans ist explizit die „Digitalisierung des ländliche Raums“. Noch wichtiger: Seine Habilitierungsarbeit an der Uni drehte sich um das Thema „Internet und Demokratie“ und behandelte die (demokratie- und gesellschafts-) politischen Auswirkungen von IKT.

Wichtig ist vor allem, so Filzmaier, dass es zu keinem Abblocken der digitalen Entwicklung kommen darf. „Die ‚Kopf in den Sand‘-Strategie wird nicht funktionieren“. Für einen Bürgermeister oder eine Bürgermeisterin wäre das kein sonderlich guter Ansatz. In dem Zusammenhang beklagte Filzmaier die Begriffsüberflutung, unter der wir alle im Zusammenhang mit Digitalisierung zu leiden haben. „Open Government, e-democracy, e-administration, Kommune 4.0, Industrie 4.0, Bildung 4.0 und so weiter. „ Und er stellte die provokante Frage: Kennen Sie sich aus?“ Die Begriffe seien bekannt, so Filzmaier, aber wirklich erklären könne er sie auch nicht. Um dann doch zu präzisieren: „Elektronische Demokratie besteht zuerst aus digitaler Verwaltung, dass ein Akt auch digital zugänglich ist oder sogar automatisch – wie bei der Familienbeihilfe – abgewickelt wird. Daneben geht es auch um elektronische Beteiligung, also um die Frage, ob Bürger durch die Nutzung neuer digitaler Medien mehr partizipieren können.

Wir reden, so Filzmaier, von Digitalisierung als Überbegriff für technische Veränderungen der Infrastruktur und veränderte Nutzungs- und Verhaltensweisen mittels neuen Informations- und Kommunikationstechnologien (IKTs/ICTs), insbesondere des Internets. Man sollte Digitalisierung als Chance und Herausforderung für Wirtschaft, Arbeit, Bildung, Gesundheit, Verwaltung usw. in politischen Strategien auf europäischer, nationaler und regionaler Ebene sehen. Verweigern oder ignorieren wir das, gäbe das den selben Effekt wie bei einem Dorf voller Analphabeten: Unsere Chancen in der modernen Zeit würden drastisch schwinden. Filzmaiser unterstrich das mit einem Zitat von Ulrich Sarcinelli, Doyen der schweizerischen Kommunikationswissenschaft: „Medienkompetenz als ‚Basisqualifikation in der demokratischen Gesellschaft‘ … gilt das nicht auch für digitale Kompetenzen?“

Auch als Gemeinde müsse man sich dieses Zitat zu Herzen nehmen. Man müsse sich die Frage stellen, ob man als Gemeinde diese digitale Basiskompetenz hat. Im Grund stelle sich dann nämlich die Frage, wie benachteiligt man in der Verwaltung, der Politik, vielleicht auch bei Wahlkampagnen, wirklich ist. Damit endet die Benachteiligung ja auch nicht, es betrifft dann ja auch den Wirtschafsstandort.

Filzmaier zeigte dann mehrerer Trennlinien auf, die in Österreich bestehen. Diese Trennlinien verlaufen nicht nur zwischen digitalen Ureinwohnern (die mit der Digitalisierung aufgewachsen sind) und den digitalen Zuwanderern. Die Trennlinien verlaufen als regionale Differenz als Stadt – Land-Gegensatz. Früher habe man diskutiert, welche Gemeinde im Netz ist und welche nicht, das habe sich, so Filzmaier, aufgelöst.

Heute verlaufe der Klassenunterschied dort, wo es die bessere, schnellere Breitbandanbindung gibt. Es gebe in der Internetnutzung auch soziale Trennlinien. Die Männer – Frauen – Unterschiede (früher hatten eher die Männer Zeit, das Internet zu nutzen) seien rückläufig. Allerdings seien – bei rund 80 Prozent regelmäßiger Internetnutzer – Frauen im ländlichen Raum immer noch weniger als ein Drittel der User. Und immer noch aktuell sind Differenzen nach Alter. Und je höher die Bildung und je höher der berufliche Status, das Einkommen ist, desto stärker ist die Nutzung des Internets.

Eine Trennlinie hat sich entlang der Verfügbarkeit aufgetan – Stichwort Breitbandausbau.

Ein weiteres Manko ist für Filzmaier das Faktum, dass es zwar jede Menge Studien über die „Onliner“ gibt, über jene, die im Netz sind, aber kaum welche über die „Offliner“. Immerhin seien das 20 Prozent der Bevölkerung – in absoluten Zahlen rund 1,6 Millionen. „Offenbar interessieren die kaum jemanden, obwohl ja das eigentliche Ziel ist, die hereinzuholen“, so Filzmaier. Dabei lägen hier Forschungsfragen auf der Hand: Haben die Menschen die Kompetenz, digitale Medien zu nutzen? Oder hat es mit fehlender Motivation zu tun?

Für die Gemeinden sei es ein Dilemma, diese „diffuse Scheu“ (O-Ton Filzmaier) vor dem Neuen, der Digitalisierung, anzusprechen. „Es ist die Scheu, zuzugeben, dass ich über eine neue Technologie nur unzureichend informiert bin und eigentlich nicht wirklich damit umgehen kann. Diese Unsicherheit auszusprechen ist nicht leicht.“

In Folge führe diese Scheu und was damit einhergeht für die Gemeinden zur Gefahr einer demokratiepolitischen Trennlinie. Gerade die Kommunen könnten sich nicht leisten, einen Teil ihrer Bevölkerung als „nicht oder nur sporadisch am öffentlichen Leben teilnehmende“ abzuschreiben. Wenn die Bürgerinnen und Bürger am kommunalen Leben aktiv teilnehmen wollen, brauchen sie die spezifische Mediennutzungskompetenz und die technischen und inhaltlichen Voraussetzungen dazu.
Völlig unmöglich erscheint für Filzmaier jedenfalls die Option, dass vor einer Wahl – sei es auf kommunaler Ebene oder wie bei der bevorstehenden Nationalratswahl – eine Partei sagt „Wir machen online nichts.“

Chancen und Gefahren für die Gemeinden. Die Gemeinden haben nun selbst die Chance, in einem digitalen Universalmedium ihre Inhalte – Text, Ton, Bild – zu veröffentlichen und in eine Diskussion mit den Wählern zu treten. Diese Informationen kommen in Echtzeit und mit einem hohen Aktualitätsgrad – Gemeinden können also selbst Medien machen und sind nicht mehr auf „andere Medienmacher“ angewiesen. Filzmaier: „In dieser Welt herrscht für die Gemeinden weitgehend Gleichberechtigung – und zwar in jeder Richtung. Und gerade digital ist die überregionale Gruppenbildung ohne Grenzen oder weit über die Grenzen hinaus erst möglich, was theoretisch zu viel mehr Beteiligungsmöglichkeiten führt.“

Der Haken daran sei, dass man in der digitalen Welt vermeiden sollte, der „Hamster im Laufrad“ zu sein. Nur weil man viele Informationen versendet und teilt, hat sie noch keiner gelesen – das ist das „Lost in Cyberspace-Phänomen“, wie es Filzmaier nennt. Eine Strategie dagegen wäre eine zielgerichtete Whats-app-Kommunikation. In dieser Variante kann man auch Gerüchten leichter gegenüber treten. Nicht nur argumentativ, sondern man kann auch leichter sagen, dass dieses oder jenes Gerücht schlicht falsch ist.

Generell, so Filzmaier, sollte man im Internet Ironie, Zynismus oder Sarkasmus ohne klare Kennzeichnung tunlichst vermeiden, weil es immer Leute gibt, die derartiges für bare Münze halten und dann entstünden die aberwitzigsten Gerüchte.

Eine weitere Gefahr sei, dass digitale Kommunikation mit einem inhaltlichen Mehrwert Hand in Hand gehen sollte. Dazu bräuchten die Gemeinden aber auch die sozio-mediale Kompetenz. Vermeiden sollte man als Kommune, dass man in digitaler Isolation nur mehr via Netz kommuniziert und den tatsächlichen Meinungsaustausch mit den Menschen vernachlässigt. Beides sei wichtig.

Die digitale Trennlinie zwischen Stadt und Land und daraus resultierende Herausforderungen. Dauerhafte und teilweise wachsende Unterschiede in Infrastruktur und Nutzung zwischen städtischen und ländlichen Gebieten verstärken die oftmals schon vorhandenen strukturellen Nachteile des ländlichen Raums. Somit kommt der Digitalisierung für nachhaltige ländliche Entwicklung eine zentrale Rolle zu.

Allerdings zeigen die Daten seit 2008, seit es Initiativen auf Bundes- und Bundesländerebene in Österreich gibt, dass sich die Unterschiede zwischen Stadt und Land eher noch verstärkt haben. Den schlagendsten Beweis dafür liefert ein Blick auf Statistik Austria, die immer wieder Grafiken zum Thema „Haushalte mit mobilen Breitbandverbindungen bzw. mit Internetzugang“ erstellen. Die volle Anbindung eines Ortes ans Breitband ist auch ein Wirtschaftsfaktor. Bestes Beispiel wären Bad Aussee und die Sommergespräche: „Ohne Internet würde die hier nicht stattfinden.“

Daraus resultieren für die Gemeinden einige Herausforderungen. Auf der Hand liegen, so Filzmaier, offensichtliche wie Bereitstellung der Infrastruktur, die Befähigung der Bürgerinnen und Bürger, die Datensicherheit – und ethische Fragen. Vor allem der letzte Punkt wird immer wichtiger, denkt man an die Bundespräsidentenwahl 2016. Einer der Gründe für die Aufhebung der Wahl war das Vorab-Veröffentlichen von Ergebnissen in Social Media, die das Wahlverhalten beeinflussen „hätten können“. Eine ethische Frage stelle sich auch, wenn man die Möglichkeit von „shitstorms“ in Betracht zieht. Als Beispiel nannte Filzmaier das Facebook-Posting der damaligen Bildungs- und Frauenministerin Heinisch-Hosek als Reaktion auf die Verweigerung des neuen Bundeshymnentextes durch einen bekannten Volksmusikanten. Der folgende Shitstorm sprengte jeden Rahmen und sei durch absolut gar nichts zu rechtfertigen.

Das sei auch etwas, womit eine Gemeinde, die an der Digitalisierung teilnimmt und Social Media lebt, immer berücksichtigen müsse. „Damit müssen sie rechnen und umgehen können“, so Filzmaier.

Potenziale der Digitalisierung im ländlichen Raum und Handlungsoptionen – ein Resümee. Filzmaier nennt als Potenziale beispielsweise den Ausgleich von Standortnachteilen und des Mangels an Zentralität, die Aufrechterhaltung von Gesundheits-/Daseinsvorsorgeangeboten, die Diversifizierung des Dienstleistungsangebots, die Attraktivierung des ländlichen Raums als Wohn- und Freizeitort, neue Formen der Kommunikation und Informationsbereitstellung, neue Formen der Zusammenarbeit von lokalen Akteuren oder die Modernisierung und Erreichbarkeit von Verwaltungseinrichtungen.

Daraus resultieren einige Ziele und Handlungsoptionen, wie sie auch im kürzlich präsentierten „Masterplan ländlicher Raum“ (siehe auch Seite ?? dieser Ausgabe) formuliert wurden. Ziele müssten unter anderem die 5G-Versorgung des ländlichen Raums (5G erreicht im Vergleich zum aktuellen 4G-Standard, der eine Übertragungsrate von bis zu 125 MB pro Sekunde ermöglicht, eine Rate von 1,25 GB pro Sekunde, ist also ums zehnfache schneller) sein. Dazu brauche es hochwertige und kostengünstige Breitband-Infrastruktur für Haushalte und Betriebe und die Schaffung investitionsfreundlicher Rahmenbedingungen. Worum Gemeinden nicht herum kommen werden, ist die kostenfreie WLAN-Nutzung/WLAN-Hotspots in öffentlichen Einrichtungen, die sogenannten digitalen Hot Spots in Gemeinden, wofür es auch EU-Förderungen gibt.

Als Maßnahmen für die Politik nannte Filzmaier folgenden Punkte: Eine Änderung des Telekommunikationsgesetz (Mitverlegung in Leer-Verrohrungen, „one-stop-shop“-Genehmigungen pro Bundesland, Förderungen von Sendern an öffentlichen Einrichtungen) wird sich als notwendig erweisen. Für Gemeinden hilfreich wäre die Schaffung eines „Zertifikats Digitale Gemeinde“. Und unabdingbar sind Fortbildungsprogramme für digitale Inklusion – dies stellt aber „nur eine Auswahl dar“, wie Filzmaier abschließend bemerkte.