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Polit-Talk: Mehr Freiheit, weniger Regeln

28.7.2015 – Die Regulierung jedes kleinsten Details muss aufhören, war eine zentrale Forderung, die Gemeindebund-Präsident Helmut Mödlhammer auch im Hinblick auf die Verhandlungen zum zweiten verpflichtenden Kindergartenjahr formulierte. Die bei der Abschlussdiskussion der Kommunalen Sommergespräche anwesende Familienministerin Sophie Karmasin nahm diese Kritik an, sah das naturgemäß – vor allem was das zweite verpflichtende Kindergartenjahr anging – aber etwas anders. Darüber, dass Familienfreundlichkeit ein wesentlicher Standortfaktor ist, waren sich aber alle Podiumsteilnehmer einig. Neben Mödlhammer und Karmasin nahmen auch die Tiroler Landeshauptmann-Stellvertreterin Ingrid Felipe und Politikwissenschaftler Peter Filzmaier an der von Moderatorin Martina Salomon geführten Diskussion teil.

Familienfreundlichkeit als Standortfaktor

„Familienfreundlichkeit ist ein ganz zentrales Element und hat in der Vergangenheit zu wenig Bedeutung erfahren. Diese Bedeutung hat das Ressort nun mit einem eigenen Ministerium bekommen“, betont Familienministerin Sophie Karmasin. Dass die Bemühungen der letzten Jahre fruchten, zeige sich auch in den steigenden Geburtenzahlen, so Karmasin. Ob das auf die Zuwanderung oder tatsächlich auf die Maßnahmen (z.B. Erhöhung der Familienbeihilfe, Gelder für den Ausbau der Kinderbetreuung, etc.) zurückführen ist, ließ sich im Laufe der Diskussion nicht verifizieren.

Tatsache ist, dass Familienfreundlichkeit nicht nur von oben „diktiert“ werden kann. Am meisten ist hier die Ebene vor Ort und damit die Gemeinde gefragt. „Immer mehr Frauen sind gut ausgebildet. Wenn sie vor Ort keinen Job, keine passende Kinderbetreuung, keine gute Schulstruktur – schlichtweg kein familienfreundliches Umfeld – finden, werden sie eine Gemeinde nicht als Wohnort wählen“, betont Tirols Landeshauptmann-Stellvertreterin Ingrid Felipe. Den Gemeinden steht mit dem Audit familienfreundlichegemeinde ein passendes Tool zur Seite. „Gemeinden werden in diesem Prozess nicht allein gelassen. Wir haben mit dem Audit erfahrene Prozessbegleiter und eine Vielzahl an Best-Practice Beispielen. Man braucht die Welt nicht ständig neu erfinden, sondern kann von den Erfahrungen anderer Gemeinden profitieren. Ich lade alle Gemeinden ein, sich bei dieser Initiative zu beteiligen“, fügt Karmasin an. 

Um eine optimale Kinderbetreuung vor Ort zu organisieren, die von Alleinerziehern bis hin zur Hausfrau – allen Lebensmodellen und Anforderungen – gerecht wird, eignen sich gerade für ländliche und kleinere Gemeinden Kooperationen. Auch die Zusammenarbeit mit Unternehmen möchte die Familienministerin künftig weiter forcieren: „Es geht ja nicht nur darum Wegzug zu verhindern, sondern Weggezogene zu motivieren, wieder zurückzuziehen.“ Felipe geht noch ein Stück weiter: „Arbeitsplätze alleine werden keine Menschen anlocken, es braucht auch die Software. Denken wir nur an Tourismusgemeinden. Dort gibt es zwar viele Arbeitsplätze, aber die Leute wohnen dort nicht gerne, weil das Rundherum nicht passt. Damit sich neu Hinzugezogene wohl fühlen, muss das Engagement gestärkt und wertgeschätzt werden, wo es geht. Das bringt Leben und hält Leben im ländlichen Raum. Derzeit engagieren sich zu wenige Frauen in der Zivilgesellschaft.“

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Mödlhammer: „Lasst uns in Ruhe arbeiten und regelt nicht alle bis in die kleines Ebene.“

Die kleinen Einheiten arbeiten lassen, statt immer neue Regulierungen zu erfinden

Im Hinblick auf den Finanzausgleich fordert Gemeindebund-Präsident Helmut Mödlhammer einmal mehr, die Aufgaben zu entflechten. „Gerade im Kindergartenbereich muss das Geld direkt dort ankommen, wo es gebraucht wird. Es kann nicht sein, dass vier Ministerien und neun Landesregierungen mitmischen. Für 80 Prozent der Kinderbetreuungseinrichtungen sind die Gemeinden zuständig, die das großartig und je nach Bedarf erfüllen. Die Gemeinden sind nicht die Reformverweigerer, weil sie tagtäglich beweisen müssen, dass sie den Anforderungen der Bürger entsprechen. Wir wollen die Qualität steigern, wir wollen flexible Betreuungszeiten, aber wir brauchen auch mehr Freiheiten. Lasst uns in Ruhe arbeiten und regelt nicht alles bis in die kleinste Ebene. Lasst uns die Arbeit vor Ort machen, wie es den Menschen am besten zugutekommt.“ Im selben Atemzug sprach Mödlhammer auch die strengeren Vorschriften für Vereine an, die das ehrenamtliche Engagement in den kleinen Einheiten Schritt für Schritt unmöglich machen würden.

Karmasin konterte, dass sie gerade die 15a-Vereinbarung zum Ausbau der Kinderbetreuung so gestaltet habe, dass Gemeinden die lokalen Anforderungen berücksichtigen können. Dass es sich doch des öfteren bei den verschiedenen Zuständigkeitsebenen spießt, zeigt das Beispiel aus Oberösterreich, wo ein Bürgermeister berichtet, dass er bereits ab dem elften Krabbelkind eine neue Gruppe eröffnen müsse. Er wünscht sich hier mehr Freiheit, zum Beispiel eine Bandbreite bei der Kinderanzahl für die Eröffnung neuer Gruppen.

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Ingrid Felipe sieht die Frauen als wichtigen Zukunftsfaktor für Gemeinden.

Chancengleichheit zwischen Stadt und Land

Im Rückblick auf die Kommunalen Sommergespräche nimmt Gemeindebund-Präsident Mödlhammer eines mit: „Wir brauchen mehr Chancengleichheit. Im Bereich des Breitbands, des öffentlichen Nahverkehrs und auch bei der Finanzzuteilung.“ Um wirkliche Chancengleichheit zu erreichen, muss man allerdings an vielen Punkten ansetzen. Ein Beispiel ist die Wohnbauförderung, für die es bis vor wenigen Jahren im Zentralraum mehr Geld gab. Steuernd könnte man genauso bei der Wirtschaftsförderung eingreifen.

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Peter Filzmaier forderte mehr positive Kommunikation für Gemeinden.

Mehr „wow“-Kommunikation für die Gemeinden

Von der Aufgabe der stark von Abwanderung betroffenen Regionen hält Politikwissenschaftler Peter Filzmaier wenig: „Ich sehe den Sinn der Sache nicht, ständig zu kommunizieren, ich bin so arm, ich krepiere. Denn was sagen Sie in einem Jahr? Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder Sie sind dann schon tot, dann hat sich das erledigt. Oder Sie sagen dann, ich bin noch ärmer und krepier noch mehr. Glauben Sie mir, das nützt sich, strategisch gesehen, irgendwann einmal ab. Wenn das nun ein Workshop und kein Schlusswort wäre, dann würde ich Ihnen raten, dass Sie auf einen Zettel drei Dinge schreiben, die „wow“ in Ihrer Region sind. Reden wir viel mehr über jene Dinge, die in Ihrer Region „wow“ sind. Durchaus auch kritisch, ob das die restlichen Leute auch so „wow“ empfinden. Aber generell rate ich den Gemeinden hier zu viel mehr „wow“-Kommunikation.“

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Das Thema berührte: Es gab zahlreiche Wortmeldungen vom Publikum.
Die Familienfreundlichkeit ist mittlerweile ein Standortfaktor in Sachen Attraktivität für Gemeinden. ©event-fotograf/Gemeindebund